Steuerstreit wirft Schatten auf Bilaterale
Der Streit um kantonale Steuerprivilegien zwischen der Schweiz und der EU konnte beim Besuch des Bundespräsidenten am Montag in Brüssel nicht beigelegt werden.
Beim Strom-Markt jedoch stimmten Moritz Leuenberger und EU-Kommissions-Präsident José Manuel Barroso überein, ab Herbst mit Verhandlungen zu beginnen.
Der Schweizer Bundespräsident Moritz Leuenberger und der EU-Kommissions-Präsident José Manuel Barroso wollen die anstehenden bilateralen Probleme weiterhin pragmatisch angehen.
Barroso ermahnte die Schweiz am Montag jedoch zu Beweglichkeit in den Divergenzen um die kantonalen Steuerprivilegien. Aus EU-Sicht verletzen solche Privilegien das 1972 abgeschlossenen Freihandels-Abkommen mit der Schweiz.
«Wir werden uns weiterhin mit dieser Frage beschäftigen, indem wir, hoffe ich, auf beiden Seiten versuchen eine Lösung zu finden», sagte Barroso nach dem Gespräch mit Leuenberger in Brüssel vor den Medien.
Leuenberger sieht «nichts zu regeln»
Der Bundespräsident bekräftigte demgegenüber, das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union werde durch die Steuerprivilegien für gewisse Unternehmen nicht verletzt.
Er wies nicht nur die juristische Sichtweise Brüssels, sondern auch politischen Druck zurück. Die Schweiz sei eben nicht Mitglied der EU, erklärte er. «Das heisst, dass sie in dieser Frage autonom ist. Es gibt nichts zu regeln.»
Regelungsbedarf beim Stromtransit
Regelungsbedarf wird hingegen von beiden Seiten beim Stromtransit geortet. Dazu will die EU-Kommission kommende Woche einen Mandatsentwurf verabschieden, wie der Sprecher von EU-Energieminister Andris Piebalgs nach dem Treffen mit Leuenberger sagte.
Die Zustimmung des Ministerrates und somit der Start von bilateralen Verhandlungen ist im Herbst zu erwarten.
Davon noch weit entfernt sind die Ideen des Bundesrats einer Alpentransitbörse, um die Güterverlagerung von der Strasse auf die Schiene voranzubringen. Nach dem positiven Gespräch mit EU-Verkehrskommissar Jacques Barrot will Leuenberger darüber als nächstes mit den Alpenländern weiter diskutieren.
Werben für ein Abstimmungs-Ja zur Kohäsionsmilliarde
Gemeinsam warben Leuenberger und Barroso für ein Ja zum Schweizer Solidaritätsbeitrag an die neuen EU-Länder. Eine übers Wochenende in der Schweiz veröffentlichte Meinungsumfrage, nach welcher derzeit rund die Hälfte der Befragten die gesetzliche Grundlage für die so genannte Kohäsionsmilliarde ablehnen, wies Leuenberger zurück.
«Wir stimmen nicht heute ab», betonte er. Die Kampagne habe noch gar nicht begonnen. Falls das Referendum formell zustande kommt, ist die Volksabstimmung für November vorgesehen.
Barroso wollte nicht über konkrete Konsequenzen spekulieren, falls dieser Beitrag an die neuen EU-Staaten vom Schweizer Stimmvolk abgelehnt werden sollte. Für alle, EU-Mitglied oder nicht, sei die wirtschaftliche und soziale Stabilität Europas wichtig, ergänzte er.
Brüsseler Vertretung in Bern
Leuenberger zeigte sich erfreut darüber, dass die EU-Kommission «sehr bald», wie Barroso sagte, eine Vertretung in Bern eröffnen will. Der Österreicher Michael Reiterer, derzeit stellvertretender Leiter der EU-Delegation in Japan, ist als Chef dieser Vertretung EU-intern bereits bestimmt.
Die Umsetzung der bilateralen Verträge I und II ist noch nicht abgeschlossen. Vor allem die Ratifizierung von Schengen/Dublin und der Betrugsbekämpfung sowie die Integration der Schweiz in die neuen Forschungs- und Bildungsprogramme der EU stehen noch aus.
EU: Kommission und Präsidentschaft haben Einfluss
Nicht nur die EU-Kommission, auch die EU-Präsidentschaft kann Einfluss darauf nehmen, ob offene Einzel-Fragen wie die Kohäsionsmilliarde oder der Steuerstreit die gesamte bilaterale Politik der Schweiz gegenüber der EU beeinträchtigen.
Am Freitag wird Leuenberger mit der neuen finnischen EU-Präsidentschaft in der Nähe von Helsinki zusammenkommen.
swissinfo und Agenturen
Das Freihandels-Abkommen von 1972 zwischen der Schweiz und der EU-Vorgängerin, der Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft (EWG), ist einer der tragenden Pfeiler der Beziehungen Bern–Brüssel.
Das im Dezember 1972 vom Schweizer Stimmvolk angenommene Abkommen war ein politisches Nebenprodukt des Übertritts Grossbritanniens und Dänemarks von der kleinen Europäischen Freihandels-Assoziation (EFTA) zur grossen Zollunion EWG. Der Deckungsbereich des Abkommens umfasst nur Industrie-Produkte.
Die EU-Kommission kritisiert das Schweizer Steuersystem, welches erlaubt, dass Kantone den Unternehmen Privilegien einräumen.
Besonders ausländischen Unternehmen, die zwar ihren Sitz in solchen Kantonen in der Schweiz haben, aber dort kaum wirtschaftliche Aktivitäten ausüben.
Die Schweiz hat den EU-Verhaltens-Kodex nicht unterzeichnet, der es den EU-Staaten untersagt, ausländische Firmen anzulocken, indem sie diesen günstigere Steuerregelungen anbieten als den einheimischen Firmen.
Brüssel bezieht sich nun auf den Freihandelsvertrag von 1972 und bezeichnet die Steuergeschenke als unerlaubte staatliche Subventionierung der Produkte solcher Unternehmen.
Bern erwidert, dass diese Argumentation einer soliden juristischen Basis entbehre.
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