Strafrechtler warnt vor Rückgabe der Mobutu-Gelder
Sollten die auf Schweizer Banken angelegten Gelder von Mobutu Sese Seko, dem verstorbenen Diktatoren von Kongo-Zaire, an dessen Familie zurückgegeben werden, sei dies ein "schreckliches Signal", sagt der Strafrechtler Mark Pieth von der Universität Basel.
Der Korruptionsexperte Mark Pieth hat beim Bundesstrafbericht eine Aufsichtsbeschwerde eingereicht und an die Landesregierung appelliert, die Blockierung von Mobutus Vermögenswerten im Wert von 7,7 Mio. Franken zu verlängern.
Die Gelder sind seit 1997 auf Schweizer Bankkonten eingefroren und sollen am Donnerstag der Familie Mobutu zurückgegeben werden.
Die Schweizer Behörden haben die Sperrung wiederholt verlängert, weil sie nicht gewillt waren, die Gelder an Mobutus Familie auszuhändigen. Sie waren jedoch bereit, diese der heutigen Demokratischen Republik Kongo zu übergeben.
Am Montag hatte die Bundesanwaltschaft erklärt, allfällige Vergehen seien verjährt und die Mobutu-Gelder würden der Familie übergeben. Die kongolesischen Behörden verzichten offenbar darauf, gegen diesen Entscheid zu rekurrieren.
swissinfo: Wieso haben Sie diese Aufsichtsbeschwerde eingereicht und an den Bundesrat geschrieben?
Mark Pieth: Für einen privaten Bürger ist eine solche Massnahme eher ungewöhnlich. Normalerweise würden die Behörden oder Parteien der Demokratischen Republik Kongo (DRK) so handeln.
Wir alle wissen aber, dass die DRK es abgelehnt hat, die Gelder weiter zu verfolgen, da der Mobutu-Clan in der jetztigen Regierung eine sehr starke Rolle spielt. Einer von Mobutus Söhnen ist Vize-Premierminister, die Rückerstattung wurde wirksam torpediert.
Und die Schweizer Behörden, sprich die Bundesanwaltschaft, haben zu schnell nachgegeben, denn die Schweiz hat die Möglichkeit, illegale Gelder, die in der Schweiz aufgespürt werden, zu ahnden, falls ein Bezug zur Schweiz besteht. Und das könnte Geldwäscherei oder organisiertes Verbrechen sein.
Ich bin auch der Präsident des «International Center on Asset Recovery» (ICAR). Ich kann nicht einfach zusehen, wenn diese Gelder freigegeben und an einen der blutrünstigsten Tyrannen zurückfliessen.
Mehr
Geldwäscherei
swissinfo: Welches ist Ihr juristisches Argument?
M.P.: Wir stimmen mit der Bundesanwaltschaft und dem Bundesstrafgericht überein, dass ein Regime, das systematisch Menschenrechte untergraben und gestohlen hat, als kriminelle Organisation bezeichnet werden kann. Genau dies tat das Bundesgericht in den Fällen von Sani Abacha (Nigeria) und Jean-Claude Duvalier (Haiti).
Es besteht also eine relativ sichere Grundlage dazu, dass es sich bei diesen Diktatoren und ihrer Entourage um eine kriminelle Organisation handeln könnte. Einziger Streitpunkt ist, dass die Bundesanwaltschaft sagt, der Tod Mobutus bedeute das Ende der Organisation.
Wir aber sagen: dranbleiben, denn sein erstgeborener Sohn machte weiter – wir haben jede Menge an Beweisen für kriminelle Handlungen. Und jetzt sind auch andere Familienmitglieder zurück im Amt und fahren fort. Aus der Distanz nehme ich zahlreiche Indikatoren dafür wahr, dass diese kriminielle Organisation gesund und munter weiterlebt.
swissinfo: Wieso ist es so schwierig, diesen Fall zu lösen und das Geld einfach der kongolesischen Bevölkerung zurückzugeben?
M.P.: Ich glaube, alle bauten auf die gegenseitige Rechtshilfe. Die Schweiz versuchte, Kongo bei der Rückgewinnung seiner Gelder zu unterstützen und zahlte sogar einen Anwalt, um das zu erreichen.
Obwohl sie bereit waren, die Rechnung zu begleichen, glaubten sie nicht, dass sich die kongolesische Regierung plötzlich gegen sie wenden würde mit den Worten: ‹Wir brauchen das nicht, wir wollen nicht rekurrieren›, was die Schweiz in eine sehr heikle Lage bringt.
Wir gingen auf dem falschen Pfad, in der Annahme, das Land wolle sein Geld zurück. Wir realisierten nicht, wie stark der Mobutu-Clan noch immer ist und wie sehr er die Regierung (von Präsident Joseph Kabila) im Griff hat.
swissinfo: Die kongolesischen Behörden tragen also eine Schuld daran, dass die Vermögenswerte nicht zurückerstattet werden?
M.P.: Absolut. Diese Geschichte hat eine äusserst zynische Seite. Immer wieder gibt es Bürgerkriege im Land – einer ist im Osten Kongos im Gang. Menschen sterben, was sich zu einem grösseren Völkermord ausweiten könnte. Und diese Kerle weigern sich, das Geld anzunehmen, das ihre Bevölkerung so dringend brauchte.
Meine Idee ist also sehr logisch: Die Schweiz ist in der Lage, es zu nehmen und damit zu tun, was sie will. Sie kann es in die Bundeskasse legen und dann diese Summe der Organisation Ärzte ohne Grenzen überweisen, um so der leidenden Bevölkerung zu helfen.
swissinfo: Ist die Schweiz immer noch als sicherer Hafen für Diktatorengelder einzustufen?
M.P.: Offensichtlich ist es ein Problem, dass in der Schweiz solches Geld von früher gefunden wird. Aber wir haben viel unternommen, um solche Gelder zurückzugeben.
Es gibt weltweit nur sehr wenige Länder, die überhaupt in der Lage sind, gestohlene Regierungsgelder wieder zurückzugeben. Die Schweiz hat einen sehr guten Leistungsausweis.
Die Schweiz hat ein Problem mit dem Bankensektor, das bestreitet niemand. Aber einer der Bereiche, die sie in letzter Zeit relativ gut gemeistert hat, ist eben diese Rückgabe von Potentatengeldern.
Der Fall Ferdinand Marcos brauchte viel Zeit. Abacha aber lief viel besser, und Vladimir Montesinos war ein Erfolg, wie auch Duvalier und Kasachstan.
Es wäre ein schreckliches Signal an die Öffentlichkeit, wenn es die Schweiz nicht schaffen sollte, dieses Geld zu behalten. Warum ein schlechtes Image riskieren, wenn man die rechtlichen Instrumente hat, es zu behalten?
swissinfo-Interview: Simon Bradley
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein und Christian Raaflaub)
1997 blockierten die Schweizer Behörden nach einem Rechtshilfegesuch aus Kinshasa 10 Mio. Franken, die von Mobutu und seiner Familie einbezahlt worden waren.
2001 versteigerte die Schweiz die Villa von Mobutu am Genfersee für 3,1 Millionen.
2007 erklärte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey, auf dem Konto der Mobutus befänden sich rund 8 Mio. Franken.
Gemäss Schweizer Recht kann das Geld nicht ohne einen Gerichtsbeschluss in Kongo zurückgeschafft werden.
2003 beschied die Schweiz dem Land, die kongolesischen Behörden seien nicht in der Lage, eine verfassungsmässige Rechtsprechung aufzubauen.
Ohne Gerichtsbeschluss in Kongo hätte das Geld Ende 2008 an den Mobutu-Clan zurückgegeben werden müssen.
Die Schweizer Regierung hat die Konten bis zum 30. April 2009 blockiert, um dies zu verhindern. Ein Schweizer Anwalt reichte im Namen Kongos dagegen Klage ein.
Am 21. April erklärte die Bundesanwaltschaft, die Geldwäscherei Mobutus in der Schweiz sei verjährt, da er im Mai 1997 gestürzt worden sei.
Es gebe daher keine rechtliche Basis, die Gelder weiter zurückzuhalten.
Am 27. April reichte der Strafrechtsprofessor Mark Pieth Aufsichtsbeschwerde gegen die Bundesanwaltschaft ein und warf der Behörde inakzeptable Inaktivität vor.
Er forderte, die geplante Freigabe der gesperrten Mobutu-Gelder im Umfang von 7,7 Mio. Franken solle nochmals aufgeschoben werden.
General Mobutu Sese Seko kam im Kongo 1965 durch einen Putsch an die Macht.
Er taufte das Land, bis 1960 eine belgische Kolonie, 1971 in Zaire um.
Nach Jahrzehnten der Diktatur wurde Mobutu 1997 von einer Allianz unter Laurent-Désiré Kabila gestürzt.
Kabila erklärte sich selber zum Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo.
Mobutu wurde ins Exil geschickt und verstarb kurz danach in Marokko.
Die neuen Machthaber warfen Mobutu vor, Regierungsgelder unterschlagen und Milliarden von Franken illegal in die Schweiz geschafft zu haben.
Laut der Schweiz ist es viel weniger.
2001 wurde Kabila ermordet, worauf sein Sohn Joseph Kabila die Präsidentschaft des Landes übernahm.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch