Stromgesetz Nein: «Die Schweiz ist kein Land für Windenergie»
Am Stromgesetz hat er als Parlamentarier mitgearbeitet, dann ergriff Marcel Dettling dagegen Partei. "Das Gesetz ist teuer und schafft keine Sicherheit", sagt der SVP-Präsident.
Worum gehts beim Stromgesetz? In Zukunft wird die Schweiz mehr Strom brauchen. Gleichzeitig hat sich das Land in einer Volksabstimmung verpflichtet, klimaneutral zu werden. Ausserdem hat sie die Ambition, sich selbst mit Strom zu versorgen. Dazu hat das Parlament ein Massnahmenbündel beschlossen.
Das sogenannte Stromgesetz will, dass das Land bis 2035 pro Jahr 35 Terawattstunden Strom aus Sonne, Wind, Biomasse oder Geothermie produziert. Dagegen gab es Referendum. Darum entscheidet am 9. Juni 2024 das Schweizer Stimmvolk über die Vorlage. Nachfolgend erklärt Marcel Dettling, warum er Nein zu diesem Stromgesetz sagt.
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Stromgesetz: Die Schweiz braucht Energie, aber was für welche?
SWI swissinfo.ch: Im Parlament war die SVP noch für das Stromgesetz. Jetzt ist sie plötzlich dagegen. Woher der Stimmungswandel?
Marcel Dettling: Es gab auch im Parlament schon einen Anteil, der zu diesem faulen Kompromiss Nein sagte. Aber am Ende entschied die Delegiertenversammlung, und da war die Ablehnung klar.
Sie sagen «fauler Kompromiss». Dabei ist es ja ein geradezu idealtypischer, guteidgenössischer Kompromiss: Alle waren gleichfest unzufrieden.
Wir hatten schon bessere Kompromisse. Ja, man hat noch etwas nachgebessert, denn der erste Vorschlag war völlig unbrauchbar. Jetzt ist immerhin auch noch Wasserkraft dazugekommen. Aber wer ehrlich ist, muss sagen: Es geht vor allem um den Ausbau von Windrädern und Grosssolar-Anlagen. Der allerkleinste Teil geht um Wasserkraft, die ja positiv ist. Aber diese könnte man separat planen.
Nun geben wir sehr viel Geld für eine unsichere Energiezukunft aus, das leuchtet nicht ein. Die Schweiz ist kein Land für Windenergie. Und Solar funktioniert nur, wenn die Sonne scheint. Das Gesetz setzt also auf zwei enorm teure Infrastrukturen, die keine Sicherheit geben.
Der Wind steht nicht im Zentrum des Stromgesetzes, wo steht das?
Das Gesetz lässt es offen, es redet nur von erneuerbaren Energien: Wind, Solar und Biomasse. Im Kanton Zürich sind 120 Windräder geplant.
Aber Windräder sind nicht der Kern dieses Gesetzes, Sie malen den Teufel an die Wand.
Das sagen Sie.
Nein, Sie sagen dass die Schweiz kein Land für Windenergie ist. Ich ziehe daraus nur den logischen Schluss.
Das Gesetz spricht von den drei Erneuerbaren: Wind, Solar und Wasser. Wind und Solar müssen von heute knapp 6 Terawattstunden auf 45 TWh ausgebaut werden. Wasserkraft von heute 37 TWh auf 39 TWh. Aber es stimmt, wir haben in der Schweiz entweder zu viel oder zu wenig Wind, jedenfalls keinen regelmässigen. Und dafür verschandeln wir die Landschaft.
Die SVP sagt, der Strom, den das Gesetz bringt, reiche nicht. Aber ist es nicht besser, wenigstens das zu holen, was jetzt verfügbar ist, als vorderhand gar nichts zu haben?
Nicht für diesen Preis. Dieses Gesetz führt neben dem sehr teuren und ineffizienten Strom von Windrädern zu einem sehr aufwändigen Netzausbau. Man schätzt Kosten von 37 Milliarden Franken, das sind pro Kopf über 4000 Franken. Das Gesetz sorgt für keine sichere Stromversorgung, die rund um die Uhr verfügbar ist.
In Zukunft brauchen wir tatsächlich sehr viel Energie, aber wenn wir es so machen, gibt es zu viele Profiteure, die der Staat finanziert, allen voran die Betreiber von Gross-Solaranlagen.
Sie könnten auch ehrlich sein und sagen: Wir wollen das Gesetz nicht, damit die Atomkraft wieder bessere politische Chancen hat. Warum sagen sie das nicht direkt?
Sei es Atomkraft oder etwas anderes: Wir müssen in der Schweiz massiv mehr grosse Stromerzeuger zubauen. Also müssten wir tatsächlich ehrliche Politik machen und der Bevölkerung sagen: Ja, wir müssen über alle Technologien reden. Auch bei der Wasserkraft hätten wir noch Potenzial, sogar bei bestehenden Anlagen.
Gerade die Wasserkraft ist ja die schweizerischste aller Stromerzeugungs-Möglichkeiten. Und mit dem Nein zum Stromgesetz sagt die Schweizerische Volkspartei auch dazu Nein. Wie erklären Sie das?
Ich muss Sie korrigieren. Die SVP sagt seit Jahrzehnten Ja zur Wasserkraft. Seit 25 Jahren wollen wir etwa die Grimsel-Staumauer erhöhen. Für mich ist es ein Paradox, dass jetzt ausgerechnet dieselben Umweltschützer, die in einer Alphütte ein einzelnes Fenster verhindern wollen, für Gross-Solaranlagen in den Bergen sind.
Aber exakt mit zwei solchen kleinen Umweltverbänden zieht die SVP nun in den Abstimmungskampf. Ist Ihnen dabei wohl?
Wir haben eine unterschiedliche Strategie. Die Verbände argumentieren anders, aber auch mit der Verschandelung der Landschaft. Uns geht es vor allem um eine bezahlbare und sichere Stromversorgung in Zukunft.
Sie sagen auch, dass mit neuen Kraftwerken von nationalem Interesse die lokale Demokratie ausgehebelt werden könnte. Hier widerspricht der Bund aber ganz klar.
Der springende Punkt ist: Es ist nicht definiert. Wir wissen noch nicht, welche Anlagen der Bundesrat als solche von nationalem Interesse festlegen wird. Windanlagen? Gross-Solaranlagen? Wir wissen es nicht. Wenn wir dem Gesetz zustimmen, wird der Bund also flächendeckend kleine Gemeinden übersteuern können.
Der Präsident der Grünliberalen Partei, Jürg Grossen, spricht sich für ein Ja aus:
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