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Stromkosten und Landschaftsschutz: Was das Ja zum Stromgesetz für die Schweiz bedeutet

Zwei Männer auf einem Dach mit einem Solarpanel in der Hand.
Die Montage von Solaranlagen boomt in der Schweiz, im europäischen Vergleich liegt das Land aber zurück. Keystone / Peter Schneider

Das am Sonntag an der Urne gutgeheissene Gesetz zur Sicherung der Stromversorgung wird den Ausbau der erneuerbaren Energien in der Schweiz fördern. Aber was sind die Folgen für das Klima, den Landschaftsschutz und die Stromrechnung?

In den nächsten 10 bis 15 Jahren wird die Schweiz die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien ausbauen, insbesondere Solar- und Wasserkraft. Sie wird damit die Abhängigkeit vom Ausland beim Strom verringern, wie sie heute im Winter vorherrscht.

Das ist das Ziel des Stromgesetzes (das in Wirklichkeit eher ein Bündel mehrerer Bundesgesetze ist), das am 9. Juni in der Volksabstimmung angenommen wurde.

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Werden in der Schweiz auf allen Gebäuden Sonnenkollektoren installiert?

Die erneuerbaren Energien (ohne Wasserkraft) müssen bis 2035 mindestens 35 Terawattstunden Strom pro Jahr erzeugen (und 45 TWh bis 2050), was etwa dem Sechsfachen der im Jahr 2022 erzeugten Menge entspricht.

Die Sonne wird den grössten Teil dieses grünen Stroms liefern. Es wird erwartet, dass mehr als 80% der geplanten Solarprojekte auf bestehender Infrastruktur errichtet werden, einschliesslich Dächern und Fassaden von Wohngebäuden und Einkaufszentren.

Die Verpflichtung zur Installation von Solarzellen wird jedoch nicht verallgemeinert, sondern gilt nur für neue Gebäude mit einer Grundfläche von mehr als 300 Quadratmetern.

Diese Bestimmung wurde vom Parlament 2022 bereits im Rahmen der Solaroffensive übergangsweise eingeführt.

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Wird die Schweiz neue Staudämme bauen?

Staudämme werden weiterhin eine wichtige Rolle bei der Stromversorgung im Winter spielen. Die Wasserkraftproduktion soll von 37,2 TWh im Jahr 2023 auf 39,2 TWh im Jahr 2050 steigen.

Das am Sonntag verabschiedete Gesetz beschleunigt die Realisierung von 16 bereits zwischen Bund, Kantonen, Umweltverbänden und Elektrizitätsversorgungsunternehmen vereinbarten Wasserkraftprojekten.

Dreizehn bestehende Kraftwerke sollen ausgebaut und drei neue Stauseen in den Alpen gebaut werden. Einer davon entsteht in der Gemeinde Zermatt im Wallis, gegenüber dem Matterhorn.

Verunstaltet die Schweiz die Alpen im Namen der Energiewende?

Solar- und Windparks von nationaler Bedeutung haben unter bestimmten Voraussetzungen Vorrang vor dem Natur- und Landschaftsschutz.

Es wird daher einfacher sein, diese Grossanlagen in den Alpen oder im Wald zu realisieren, wie es bereits der “Solarexpress“ und der ähnliche “Windexpress“ vorgemacht haben.

Die alpine Solarenergie hat den Vorteil, dass sie auch im Winter, wenn viele Solaranlagen im Flachland in Nebel gehüllt sind, viel Strom liefert. Auch die Windkraft produziert den Grossteil ihres Stroms in den Wintermonaten.

“Es wird Auswirkungen auf die Landschaft und die Artenvielfalt geben, weil diese Infrastrukturen Raum in geschützten Umgebungen einnehmen werden”, sagt Marc Vonlanthen, Professor an der Fachhochschule für Technik und Architektur in Freiburg. Biotope von nationaler Bedeutung bleiben weiterhin geschützt, auch wenn es Ausnahmen gibt.

Ein Szenario mit Tausenden von Windturbinen, wie es die Gegner:innen des Stromgesetzes skizzierten, ist jedoch unwahrscheinlich. Gemäss einer Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich würden rund 460 Turbinen ausreichen.

Solarpanele in den Bergen
Kontrovers: Alpine Solaranlagen sind ein Eingriff ins Ökosystem, liefern wegen ihrer Höhenlage aber auch bei Nebel Strom. Keystone / Jean-Christophe Bott

Wird die Bevölkerung mehr für Strom bezahlen müssen?

Das Gesetz sieht keine neuen Abgaben vor. Der Netzzuschlag, der derzeitige Finanzierungsmechanismus für die Förderung der erneuerbaren Energien, bleibt unverändert bei 2,3 Rappen pro Kilowattstunde.

“Die Bevölkerung wird von stabilen und tiefen Strompreisen ohne zusätzliche Kosten und von einer sicheren Stromversorgung profitieren können”, sagt Léonore Hälg, Expertin für erneuerbare Energien und Klima bei der Schweizerischen Energiestiftung.

Viele Stromversorgungsunternehmen rechnen hingegen mit Preiserhöhungen. Das Elektrizitätsgesetz bedeute mehr Regulierung und zusätzliche Aufgaben für die Netzbetreiber, was sich auf die Stromrechnungen auswirken werde, argumentieren sie.

Vorhersagen sind jedoch schwierig, da der Strompreis auch von der Marktentwicklung und geopolitischen Entwicklungen abhängt.

+ Der Strommarkt in der Schweiz: ein Ufo mitten in Europa

Wird die Schweiz ihren gesamten Strombedarf mit erneuerbaren Energien produzieren?

Das ist die grosse Frage. Die Schweiz will weg von den fossilen Energieträgern und wird deshalb mehr Strom für die Gebäudeheizung (Wärmepumpen) und die Mobilität (Elektrofahrzeuge) benötigen.

Hinzu kommt die schrittweise Stilllegung der Kernkraftwerke, die heute rund ein Drittel des Stroms liefern.

Die Szenarien für den künftigen Strombedarf sind vielfältig. Die Bundesbehörden schätzen den Stromverbrauch im Jahr 2050 auf 76 TWh pro Jahr (gegenüber rund 67 TWh heute).

Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen spricht von 80-90 TWh, während eine Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) sogar von 110 TWh ausgeht. Es ist daher schwierig, Vorhersagen über die Sicherheit der Stromversorgung in zwei bis 30 Jahren zu machen.

Sicher sei das Problem der Unterbrechung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu lösen, sagt Michaël Aklin, Professor für öffentliche Ordnung und Nachhaltigkeit an der EPFL.

“Wenn man das Licht anmacht, will man es sofort haben. Man braucht also eine ausreichende Produktion zu jeder Zeit, 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr”, sagt er.

Für Aklin müssen Wege gefunden werden, um erneuerbare Energie zu speichern. Zu den Lösungen gehören die Umwandlung von Elektrizität in überschüssige chemische Energie (“Power-to-X“-Technologien) und Pump-und-Turbinen-Anlagen.

Kann die Schweiz mit dem Elektrizitätsgesetz ihre Klimaziele erreichen?

“Der Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung ist die Grundlage für das Erreichen der Klimaziele, und das Elektrizitätsgesetz ist ein wichtiges Element der Schweizer Klimapolitik”, sagt Léonore Hälg: “Es braucht aber noch weitere Massnahmen, um Verbrennungsautos sowie Öl- und Gasheizungen effektiv durch erneuerbare Alternativen zu ersetzen.”

“Das an der Urne angenommene Gesetz wird dazu beitragen, dass nicht Gas oder Kohle die Kernenergie ersetzen, wie es in Deutschland der Fall war”, sagt Michaël Aklin.

Die Herausforderung des Klimawandels erfordere jedoch auch einen Wandel in anderen Sektoren als der Elektrizität, ergänzt er.

“Wir müssen einen Weg finden, die Technologien zur Herstellung von Zement und Beton zu ändern, Anreize zur Steigerung der Energieeffizienz zu finden und Zugang zu genügend Arbeitskräften zu haben, um all diese Arbeit zu erledigen”, sagt er.

Wird die Schweiz bei der Solar- und Windenergie mit dem Rest Europas mithalten können?

Die Schweiz gehört zu den europäischen Ländern mit dem höchsten Anteil an erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung (62 % im Jahr 2022Externer Link), vor allem dank der Wasserkraft. Der Rest stammt fast ausschliesslich aus Kernkraftwerken (36%).

Dagegen ist der Beitrag der Photovoltaik und der Windkraft begrenzt. In der Schweiz erzeugen Sonnenkollektoren und in geringerem Masse Windturbinen und Biomassekraftwerke weniger als 10% des Stroms. In der Europäischen Union hingegen lieferten Sonne und Wind im Jahr 2023 fast 27% des StromsExterner Link.

Die Schweiz sei nach wie vor das Schlusslicht in Europa, was die Stromproduktion aus Sonne und Wind angeht, so die Schweizerische Energiestiftung.

Mit dem Elektrizitätsgesetz verbessert die Schweiz die Rahmenbedingungen und reduziert die finanziellen und planerischen Risiken beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Damit kann sie im europäischen Vergleich Boden gut machen.

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Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Italienischen: Marc Leutenegger

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