SVP-Forderung berechtigt, aber…
Ein zweiter Bundesratssitz für die rechtsbürgerliche SVP könnte das Konkordanz-System gefährden. Allerdings braucht ein Verändern der Regierungs-Zusammensetzung breite Zustimmung der Parteien.
Für den Politologen Claude Longchamp verpflichtet die direkte Demokratie die Parteien zu Zusammenarbeit.
Nach ihrem Vormarsch in der Romandie ist die rechtsbürgerliche Schweizerische Volkspartei (SVP) nun gesamtschweizerisch stärkste Partei. Bereits kurz nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnung forderte Parteipräsident Ueli Maurer einen zweiten Sitz in der Konkordanz-Regierung – sonst werde die SVP ganz aus dem Bundesrat austreten und sich nur noch als Oppositionspartei profilieren.
Am 10. Dezember wählt das Parlament die Regierungsmitglieder. Gibt es eine neue Zusammensetzung der Konkordanz oder einen Systemwechsel hin zum Konkurrenzmodell?
swissinfo befragte dazu den Politikwissenschafter Claude Longchamp, dessen GfS-Forschungsinstitut für die SRG im Vorfeld der Wahl die verschiedenen Hochrechnungen durchgeführt hatte.
swissinfo: Die SVP droht mit dem Auszug aus dem Bundesrat, wenn sie keinen zweiten Sitz bekommt. Wird das Parlament am 10. Dezember den Mut haben, der SVP diesen zweiten Sitz vorzuenthalten?
Claude Longchamp: Ich denke, die Forderung der SVP hat 3 Bestandteile: Erstens reklamiert die SVP für sich einen zweiten Bundesratssitz. Nach dem gestrigen Wahlerfolg, kombiniert mit den Veränderungen von 1999, scheint mir das eine angebrachte Forderung zu sein.
Der zweite Bestandteil der Forderung war allerdings, dass sie das gleich mit einer Personenwahl verbinden will. Denn es gibt aus der Sicht der SVP nur einen zusätzlichen Kandidaten, und das ist Nationalrat Christoph Blocher.
Ich denke, das wird sich die Bundesversammlung in der Form nicht bieten lassen. Denn Christoph Blocher ist DIE polarisierende Figur in der Schweizer Politik, und zudem hat das Parlament eigentlich in der jüngsten Zeit bei allen Fraktionen durchgesetzt, dass man zwei Kandidaten oder Kandidatinnen präsentieren muss, damit die Bundesversammlung eine Auswahl hat.
Drittens hat die SVP am Wahlsonntag zu hoch gepokert und polarisiert, indem sie gleichzeitig auch noch den Rückzug des bisherigen Bundesrates Samuel Schmid verlangt, falls es nicht zur Wahl von Christoph Blocher kommt. Zu diesem Ultimatum regt sich nun ja bereits selbst im Innern der SVP und bei den anderen Parteien ziemlich viel Unmut.
swissinfo: Wagen Sie eine Prognose, wird es also sozusagen eine neue Zauberformel, eine neue Zusammensetzung der Konkordanz-Regierung geben?
C.L.: Aus meiner Sicht kommt es noch drauf an, wer den Sitz an die SVP verlieren würde. Würde der Sitz zulasten der SP gehen, wäre ein Grundgedanke der Zauberformel, die angemessene Vertretung aller grösseren Parteien, nicht mehr gewährleistet.
Bei den Wahlen wurde das bürgerliche Lager geschwächt. Wenn nun die fünf Sitze des bürgerlichen Lagers neu gemäss der politischen Kraft in der Bundesversammlung verteilt werden, kann man gut von einer neuen Art der Zauberformel sprechen, denke ich. Sprich: 2 SVP, 2 FDP, 1 CVP und 2 SP.
swissinfo: Sie gehen davon aus, dass die geschwächte Mitte in diese Richtung einschwenken wird?
C.L.: Ob sie das tut, ist eine andere Frage. Namentlich weil die CVP auf einen ihrer Bisherigen verzichten müsste.
Sicher wird die CVP versuchen, einen Kompromiss anzubieten, in dem bei einem Rücktritt von Bundesrat Deiss oder Bundesrätin Metzler die CVP dann freiwillig darauf verzichten würde, eine Nachfolge vorzuschlagen. Dass es also in einem oder zwei Jahren zu einem Wechsel kommen würde, bei dem die CVP ihre neue Rolle akzeptieren würde.
Ob das dann akzeptiert wird, entscheiden letztlich die FDP und die SP. Denn SVP und FDP zusammen haben im neuen Parlament keine Mehrheit, sie können sich also nicht durchsetzen gegenüber den anderen. Sie müssen mindestens die stillschweigende Duldung oder die Zustimmung der SP haben, wenn sie einen Plan gegen den Willen der CVP durchführen wollen.
swissinfo: Die andere Drohung der SVP, allenfalls ganz aus der Regierung auszutreten und zum Konkurrenzmodell, das wir aus den umliegenden Ländern kennen, zu wechseln, haben Sie jetzt nicht angesprochen. Ist das aus Ihrer Sicht keine Option?
C.L.: Ich glaube, kurzfristig ist es möglich, eine solche Option einzugehen. Die Schweiz kannte in ihrer Geschichte verschiedene Phasen, in denen es nicht diese Konkordanz von links bis recht gegeben hatte.
Mittelfristig glaube ich allerdings nicht, dass ein solches System stabil ist. Vor allem, weil wir eben nicht ein parlamentarisches System haben, sondern zusätzlich ein direkt-demokratisches, kann man in Parlament und Regierung nicht einfach beliebig linke oder rechte Akzente setzen. Spätestens bei der nächsten Volksabstimmung bekommt man sonst die Retourkutsche.
swissinfo: Konkret würde die Schweiz somit unregierbar.
C.L.: Ich denke, mindestens mittelfristig wäre das ein Riesenproblem, wenn die Schweiz entweder auf die SP oder die SVP in der Regierung verzichten würde.
Ich glaube eher, dass es gut ist, wenn die starken Kräfte in der Regierung vertreten sind, weil sie deshalb auch Kompromisse miteinander schliessen müssen und sich auch nicht alles an Opposition erlauben dürfen.
Dafür können sie auch den Kurs des Landes mitbestimmen. Und das scheint mir eigentlich die richtige Formel zu sein. Das würde heissen, dass die SVP in der Regierung bleibt, wohl aber mit Personen vertreten ist, die mit den anderen zusammenarbeiten wollen.
swissinfo-Interview: Eva Herrmann
Nun liegen die offiziellen Berechnungen des Bundesamtes für Statistik zum Wähleranteil vor.
SVP: 26,6% (1999: 22,5)
SP: 23,3% (22,5)
FDP: 17,3% (19,9)
CVP: 14,4% (15,9)
Grüne: 7,4% (5)
Am Montag beschloss der SVP-Fraktionsvorstand einstimmig, Christoph Blocher als zweiten Bundesrat zu portieren.
Weiter fordert die SVP von ihrem Bundesrat Samuel Schmid ein Bekenntnis zur Linie der Partei, wie Parteipräsident Ueli Maurer sagte.
Nicht nur bei anderen Parteine, auch in der Berner und der Aargauer SVP regt sich Widerstand gegen angekündigte Ultimatum.
Das Parlament wählt die Regierungs-Mitglieder am 10. Dezember. Einzig der freisinnige Kaspar Villiger hat seinen Rücktritt angekündigt.
Claude Longchamp glaubt, dass bei einem Festhalten der CVP an ihren beiden Sitzen die SVP versuchen wird, den Sitz von Kaspar Villiger zu erobern.
Seit Jahrzehnten lautet die «Zauberformel» der Regierungs-Zusammensetzung 2 FDP, 2 CVP, 2 SP, 1 SVP.
Besonders die rechtsbürgerliche SVP und die SP haben immer wieder auch Oppositionsrolle eingenommen, trotz Regierungs-Beteiligung.
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