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SVP schürt Polemik um eigene Ministerin

Keystone

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) scheint ihre nach der Nichtwiederwahl von Bundesrat Blocher angekündigte Oppositionsrolle gefunden zu haben: Sie schiesst aus allen Rohren auf dessen Nachfolgerin, Eveline Widmer-Schlumpf.

Zwar konnten die 530 Delegierten der SVP am vergangenen Samstag über einen Parteiausschluss von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf weder diskutieren noch abstimmen. Als ihnen Parteipräsident Toni Brunner jedoch von der Forderung des Zentralvorstandes berichtete, Widmer-Schlumpf solle von ihrem Amt zurück- und aus der Partei austreten, war der Applaus gross.

Sollte sie nicht freiwillig aus Amt und Partei scheiden, will die SVP-Parteileitung den Ausschluss der ganzen Bündner Sektion. Danach würde man eine «neue» Bündner SVP aufbauen, mit linientreueren Mitgliedern.

Beim Stimmvolk scheint die Politik der SVP anzukommen: Am Wochenende hat sie die kantonalen Wahlen in Thurgau und Uri dominiert, wie zuvor bereits in St. Gallen und Schwyz.

Samuel Schmid nicht auf Parteilinie

SVP-Bundesrat Samuel Schmid teilt die Forderungen seiner Partei nicht: «Insgesamt verurteile ich derartige Praktiken und eine derartige Politkultur» sagte er in einem Interview mit Radio DRS. Wer solche Forderungen stelle, müsse sich Gedanken machen, wie dies auf die Gesellschaft wirke.

Postwendend reagierte SVP-Präsident Toni Brunner mit Unverständnis. Als Christoph Blocher als Bundesrat attackiert wurde, hätte Schmid sich nicht mit seinem Kollegen solidarisiert.

Als Reaktion auf Blochers Abwahl und die von der SVP als «Verrat» bezeichnete Wahlannahme von Widmer-Schlumpf sagte Brunner im «Tages-Anzeiger», die SVP würde eventuell das Thema «Volkswahl des Bundesrates» reaktivieren. Am liebsten wäre ihm, wenn die Parteien ihre Bundesräte selber berufen könnten.

Alt Bundesräte gegen SVP

Der freisinnige alt Bundesrat Rudolf Friedrich wertet das Verhalten der SVP als demokratisch gesehen unhaltbar sowie eine totale Missachtung des Parlaments.

Arnold Koller von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) sagte in der Zeitung «Sonntag»: «Was die SVP macht, gab es in unserer Geschichte noch nie.»

Die Hetzjagd auf Frau Widmer-Schlumpf erinnert den sozialdemokratischen Ex-Bundesrat Otto Stich an 1932, an die Nazizeit in Deutschland. Für ihn braucht die SVP-Führung Nachhilfestunden in Sachen Demokratie oder sie müsse sich eine andere Staatsform wählen.

Geteilte Frauen-Solidarität

Die Berner SVP-Nationalrätin Ursula Haller reagierte scharf auf die Forderungen der meisten ihrer Parteikolleginnen, die punkto Ausschluss stramm auf der Parteilinie liegen.

Dagegen solidarisieren sich die bürgerlichen Frauen mit Eveline Widmer-Schlumpf: Der Dachverband Schweizerischer Frauenorganisationen «alliance F» sowie andere bürgerliche Frauenorganisationen veranstalten eine Solidaritätsdemonstration für die angeschossene Bundesrätin.

Pressereaktionen

In der Schweizer Presse kommt die scharfe SVP-Politik nicht so gut weg. So sagt zum Beispiel der Historiker Hans Ulrich Jost im «Blick: «Es gehört halt mal zur SVP, dass sie alles durchdrücken will, was sie im Kopf hat. Dass sie keine demokratische Partei ist, ist doch ziemlich klar. Es ist eine ‹cäsaristische Partei›: sie denkt und handelt autoritär, sucht aber mit Plebisziten ab und zu die Unterstützung beim Volk.»

Auch Diktatoren organisierten Plebiszite, sogar Hitler habe das gemacht. Aber deswegen seien noch lange nicht alle demokratisch.

«Mit ihrer sprachlichen Brachialgewalt will die SVP vor allem Stimmen abholen und Stimmung machen. Sie ist auch Ausdruck des Niveaus dieser Parteileitung», so Jost.

Die «Neue Zürcher Zeitung» meint: «Die SVP-Spitze müsste in ihrem Feldzug ihrerseits bedenken, dass sich ihre berechtigte Rückkehr in die Regierung verzögert, wenn sie weiter auf Personen statt auf die Sache ziele. «Solange Rache und Ranküne gegen Personen die Politik beherrschen, bleiben die Reformen für das Land auf der Strasse.»

Laut «Tages Anzeiger» versucht SVP-Präsident Toni Brunner das Land und seine Regierung schlecht zu reden, um sich und seine Partei als Retter präsentieren zu können.

«Brunner hat aber nicht nur die verbale Kraftmeierei in neue Dimensionen getrieben. Die SVP legt auch jeglichen Respekt vor den Institutionen des Rechtstaates ab und verliert in der politischen Auseinandersetzung alle Hemmungen in der Wahl der Mittel», so der Tagi.

swissinfo, Etienne Strebel

Eveline Widmer-Schlumpf, 52, ist die Tochter des ehemaligen Bundesrats Leon Schlumpf.

Die Juristin war seit 1998 für die Schweizerische Volkspartei in der Regierung des Kantons Graubünden, wo sie die Finanzdirektion leitete.

Profiliert hat sich Widmer-Schlumpf unter anderem als Präsidentin der Finanzdirektoren-Konferenz der Kantone (FDK).

Die Berufspolitikerin und dreifache Mutter lebt in Felsberg bei Chur in ihrem Heimatkanton.

Bei den Eidgenössisschen Nationalrats- und Ständeratswahlen im Herbst 2007 hat die Schweizerische Volkspartei (SVP) 29% der Stimmen (+2,3%) erhalten. Die Partei besetzt 62 der 200 Sitze im Nationalrat.

Bei den Bundesratswahlen im Dezember 2007 bestätigte das Parlament 6 der 7 Minister, wählte aber Christoph Blocher nicht wieder. An seiner Stelle wurde Eveline Widmer-Schlumpf gewählt.

Dem streitbaren SVP-Politiker wurde zum Verhängnis, dass er sich während seinen vier Jahren in der Regierung oft wenig konsenswillig zeigte und einen rüden Umgangston anschlug.

Die SVP protestierte gegen die Abwahl Blochers. Sie hatte bereits im Vorfeld beschlossen, bei einer Nichtwahl in die Opposition zu gehen.

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