SVP zieht mit Raben in den Abstimmungskampf
Schweres Geschütz gegen die Personenfreizügigkeit: Mit Plakaten, auf denen Raben die Schweiz attackieren, warnt die Schweizerische Volkspartei (SVP) vor ruinierten Sozialwerken und Lohndumping.
Die rechts-bürgerliche Partei fordert, dass der Bundesrat die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union auf Bulgarien und Rumänien neu verhandelt.
Mit dem verfassungswidrigen «Freizügigkeitspäckli» würden sehr weit reichende Freipässe verteilt, sagte SVP-Präsident Toni Brunner zum Kampagnenstart des SVP-Komitees gegen die Personenfreizügigkeit.
Bei der Abstimmung am 8. Februar 2009 gelte es zu verhindern, dass die Schweiz sich künftig nicht mehr wirkungsvoll gegen Angriffe aus dem In- und Ausland schützen könne.
Bei einem Ja gebe es keinen wirkungsvollen Schutz vor Ausländerkriminalität mehr. Zudem würde der Lohndruck steigen, und die Sozialwerke wären noch weniger vor Missbrauch und Plünderung geschützt.
«Unglaublich grosse Wohlstandsunterschiede»
Die SVP lehnt die Vorlage vor allem ab, weil sie die Ausdehnung auf Rumänien und Bulgarien so nicht will. SVP-Vizepräsident und Nationalrat Yvan Perrin sprach von «unglaublich grossen Wohlstands-Unterschieden» zwischen der Schweiz und diesen Ländern, die quasi die Dritte Welt innerhalb Europas seien.
Die Menschen in Bulgarien und Rumänien wollen aus Sicht Perrins vor allem eines: Auswandern.
Diese Länder seien auf einem derart tiefen Niveau, dass es nicht zu verantworten sei, ihnen die Personenfreizügigkeit und damit die freie Einwanderung, freie Niederlassung und Erwerbstätigkeit zu ermöglichen.
Laut Nationalrätin Yvette Estermann gibt es kaum Möglichkeiten, die Einreise von Menschen aus diesen Ländern zu verhindern. Denn auch ein selbständig Erwerbender dürfe in die Schweiz einwandern oder sechs Monate zur Arbeitssuche in die Schweiz kommen.
Die SVP fordert deshalb, dass der Bundesrat nach einem Nein das Paket auftrennt und die Ausdehnung auf Rumänien und Bulgarien neu verhandelt. Für die SVP müssten die Abkommen zusätzliche Schutzklauseln gegen Fahrende aus Rumänien enthalten.
Raben sind gefrässige Vögel
Auf ihren Plakaten bewirbt die SVP das Nein mit drei Raben, welche auf die Schweiz einhacken. Die Raben seien gefrässige, aggressive und verschlagene Vögel, so der Landwirt Brunner. Sie stünden für alles, was der Schweiz schade. Die Mittel für die Kampagne werden laut dem SVP-Präsidenten über eine Spendenaktion generiert.
Dem Nein-Komitee der SVP gehören 30 Nationalrätinnen und Nationalräte sowie alt Bundesrat Christoph Blocher an. Blocher selbst werde sich aber hauptsächlich in einem Nein-Komitee mit Vertretern der Wirtschaft engagieren, erklärte Brunner.
Der grösste Teil des SVP-Wirtschaftsflügels sperrt sich allerdings gegen das Nein. Der Nationalrat und Unternehmer Peter Spuhler sowie 24 SVP-Parlamentarier setzen sich seit November in einem eigenen Komitee für ein Ja zur Personenfreizügigkeit ein, weil sie bei einer Ablehnung eine Isolation der Schweiz befürchten.
Zwingende Kündigung der Bilateralen?
Eine Mehrheit der SVP hält die Kündigung der Bilateralen Verträge mit der EU bei einem Nein zur Personenfreizügigkeit nicht für zwingend. Aus Sicht von Toni Brunner wäre ein Nein in der Abstimmung vom 8. Februar nicht als Nein zur Personenfreizügigkeit an sich zu interpretieren.
Der Bundesrat und auch die EU hätten keinen Grund, bei einem Nein die Bilateralen zu kündigen, sagte Pirmin Schwander, Chef der ultra-konservativen Auns, der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz.
Damit steht die SVP allerdings im Widerspruch zu den Signalen, welche die EU aussandte. Michael Reiterer, EU-Botschafter in der Schweiz, zweifelt nicht daran, dass die Bilateralen bei einem Nein aufgehoben würden. Sechs Monate nach Bekanntgabe des Resultats komme die Guillotine-Klausel automatisch zur Anwendung.
Mit der Guillotine-Klausel hatten die Schweiz und die EU vereinbart, dass alle Abkommen der Bilateralen hinfällig würden, wenn die Weiterführung der Personenfreizügigkeit abgelehnt würde. Die SVP ist die einzige Partei, welche die Klausel nicht für zwingend hält.
swissinfo und Agenturen
Die Schweiz verfolgt ihre Integration in Europa auf bilateralem Weg. Seit dem Freihandelsabkommen von 1972 haben sich die Beziehungen immer stärker durch Abkommen verwoben.
Die Bilateralen Abkommen I mit der EU (unterzeichnet im Jahr 1999) sind klassische Marktöffnungs-Abkommen in sieben Bereichen: Personenfreizügigkeit, Technische Handelshemmnisse, Öffentliches Beschaffungswesen, Landwirtschaft, Landverkehr, Luftverkehr, Forschung.
Das zweite Vertragspaket, die Bilateralen II aus dem Jahr 2004, berücksichtigt weitere wirtschaftliche Interessen (Lebensmittelindustrie, Tourismus, Finanzplatz) und erweitert die Zusammenarbeit Schweiz-EU über den bisherigen wirtschaftlichen Rahmen auf weitere politische Bereiche wie Sicherheit, Asyl (Schengen/Dublin), Umwelt und Kultur.
Im Europabericht 2006 kam der Bundesrat zum Schluss, dass die materiell wie ideell verstandenen europapolitischen Ziele der Schweiz mit dem heute bestehenden Vertragswerk und dessen Weiterentwicklung am besten erreicht werden. Der EU-Beitritt bleibt einzig «eine längerfristige Option».
Das Schweizer Stimmvolk stimmt am 8. Februar 2009 über die die unbefristete Weiterführung des Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU und dessen Erweiterung auf Bulgarien und Rumänien in einem Paket ab.
Die Junge SVP hat zusammen mit anderen Organisationen das Referendum zustande gebracht. Sie stört sich daran, dass zwei Vorlagen zu einem Paket geschnürt wurden.
Ihre Mutterpartei, die SVP, hat Ende November die Nein-Parole zur Abstimmung deutlich mit 432 zu 45 Stimmen beschlossen. Zunächst hatte die Partei trotz gegenteiliger Ankündigung auf ein Referendum verzichtet.
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