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Swissaid kritisiert das «Brot im Tank»

Ölpalmen-Plantagen - eine der wichtigsten Produktionspflanzen für Agrotreibstoff. Peters/mediacolors

Treibstoffe aus Pflanzen sind keine Lösung der gegenwärtigen Energiekrise, sagt Swissaid. Zusammen mit Alliance Süd verlangt das Hilfswerk deshalb, dass die Agrartreibstoffe nicht steuerbefreit werden dürfen.

Swissaid wendet sich gegen die indirekte Subventionierung importierter Agrotreibstoffe durch eine Steuerbefreiung, wie sie in der geänderten Mineralölsteuer-Verordnung von Ende Januar 2008 festgelegt ist.

Damit werde laut dem Hilfswerk, das sich auf Entwicklungszusammenarbeit in der Landwirtschaft konzentriert, das Recht auf Nahrung verletzt. «Die Verordnung zur Mineralölsteuer-Befreiung muss diesbezüglich nachgebessert werden», sagte Swissaid-Geschäftsleiterin Caroline Morel am Mittwoch in Bern vor den Medien.

Swissaid engagiert sich seit 60 Jahren für die Armuts- und Hungerbekämpfung: Die Preisexplosion bei Nahrungsmitteln, die laut Weltbank bereits zusätzliche 100 Mio. Menschen in die Armut getrieben hat.

Kritik an Agrotreibstoffen

«Eine der Bedrohungen sind die Agrartreibstoffe», so Morel, «denn die Produktion von Treibstoffen konkurrenziert direkt die Nahrungsmittelproduktion. Für eine 95-Liter-Tankfüllung eines Autos mit reinem Ethanol sind zirka 200 kg Mais nötig – genug, um eine Person ein Jahr lang zu ernähren.»

Auf UNO-Ebene hat bereits Jean Ziegler, ehemaliger Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, ein internationales Moratorium für die industrielle Produktion von Agrotreibstoffen gefordert.

Afrika, Asien und Südamerika

Verschiedene von Swissaid eingeladene Agrarexperten sprachen in Bern über die Auswirkungen der Monokulturen, die Agrotreibstoff produzieren. Diese Art der Produktion werde vor allem von (internationalen) Agrarkonzernen praktiziert.

Diese Monokultur breite sich fast überall in Konkurrenz zu (kleinbäuerlicher) Nahrungsmittel-Herstellung aus, erbringe wenig bis keine CO2-Einspareffekte, verschmutze die Umwelt und verschlechtere die Ernährungsbilanz in den Produktionsländern.

Laut dem Entwicklungsökonomen Mamadou Goita aus Mali werde die Landwirtschaft in weiten Teilen Afrikas durch Agrotreibstoffe industrialisiert und von den internationalen Märkten abhängig gemacht.

«Agrotreibstoffe sind eine grosse Versuchung», so Goita. Durch die Nahrungsmittelkrise werde Afrika eindringlich daran erinnert, wie knapp in diesem Kontinent der Selbsternährungsgrad ausfalle.

Wie einst koloniale Plantagen

Der Indonesier Henry Saragih, Internationaler Sekretär der weltweiten Kleinbauernbewegung «La Via Campesina», befürchtet, dass die Produktion von Agrotreibstoffen zu einem «Wiederaufleben des Systems kolonialer Plantagen» führen könnte, inklusive den dazu gehörenden sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen.

Agrotreibstoffe, in Indonesien vor allem aus Ölpalmen gewonnen, führten zur Abholzung der Regenwälder und zur Zerstörung der Biodiversität. Mittels gentechnisch veränderter Pflanzen verstärkten die Multinationalen ausserdem ihre Kontrolle über das Saatgut und beschnitten damit den Bauern ihr Recht auf die Aussaat ihres eigenen Saatguts.

In Kolumbien wird neben Ölpalmen auch Zuckerrohr für die Ethanolproduktion gepflanzt. Mauricio de Jesus Garcia Alvarez, Agronom und Swissaid-Mitarbeiter, spricht in diesem Zusammenhang von den immer noch nicht gelösten Konflikten um den Grundbesitz.

Kein Verhindern von Koka-Anbau

Der Grossgrundbesitz mit Viehwirtschaft befinde sich oft in der Hand von Politikern und Drogenhändlern. Die Frage, ob denn durch Agrotreibstoff-Herstellung wenigstens der Koka-Anbau verhindert werden könne, verneinte Alvarez.

Ölpalmen würden Feuchtgebiete austrocknen, Waldtiere vertreiben, den Einsatz von Chemikalien bedingen und die ursprüngliche Erdschicht abtragen.

Swissaid folgert, dass Agrotreibstoffe einen Irrweg darstellen und den Anstieg der Lebensmittelpreise mitverursachen. Sie tragen, so Morel, weder zum Erreichen wichtiger klimapolitischer Zielsetzungen bei noch schaffen sie Einkommensmöglichkeiten in ländlichen Regionen.

Agrotreibstoffe würden den fossilen beigemischt und führen laut Swissaid nicht zu einer Unabhängkeit von Erdöl, sondern verlängern einfach den Gebrauch dieser nicht nachhaltigen Energieform.

«Lebenssituation der Frauen verschlechtert»

Es sei deshalb eine politische Trendwende fällig, und eine Ablehnung des Imports industriell produzierter Agrotreibstoffe aus Entwicklungs- und Schwellenländern in die Schweiz.

Schweizer Entwicklungshelfer sollen, so Swissaid, keine Investitionen in Agrotreibstoffprojekte tätigen, «die die Lebenssituation lokaler Gemeinschaften und besonders der Frauen verschlechtern könnten».

Nachhaltigkeits-Label für Agrotreibstoff

Die ETH Lausanne arbeitet mit einer breit abgestützten Gruppe von Interessenvertretern an einem international anerkannten Label für Treibstoffe aus erneuerbaren Rohstoffen.

Dieses Projekt wird vom Bund durch das Bundesamt für Energie (BFE) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) unterstützt.

Aber Swissaid steht auch dem Begriff der «nachhaltig produzierten» Agrotreibstoffe sehr kritisch gegenüber.

swissinfo, Alexander Künzle

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ETHZ/EPFL

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Schweiz hat zwei technische Hochschulen, die ETHZ in Zürich, die 2005 ihr 150 jähriges Bestehen feiern konnte, und die EPFL in Lausanne, die 1853 als Privatschule gegründet wurde und 1969 nach der Trennung von der Universität Lausanne eine Eidgenössische Hochschule wurde. Beide Hochschulen gelten als führende Institutionen in Wissenschaft und Technologie und werden direkt…

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Biogener Diesel wird aus Raps- und Altpflanzenöl hergestellt,
biogenes Ethanol aus einem Abfallprodukt aus der Zellulose-Verarbeitung,
Biogas aus Klärschlamm, Grün- und Küchenabfällen.

Die sozialdemokratische Nationalrätin Franziska Teuscher interpellierte Ende Dezember 2007 zum Thema Agrartreibstoffe.

Gemäss seiner Antwort kommt auch für den Bundesrat eine Förderung von Agrartreibstoffen zu Lasten der Regenwälder nicht in Frage.

Damit biogene Treibstoffe von der Steuererleichterung profitieren können, muss der Gesuchssteller glaubhaft nachweisen, dass die Produktion die biologische Vielfalt und den Regenwald nicht gefährdet.

Im Fall von Palmöl und Soja zeigen heutige Erfahrungen laut Antwort des Bundesrats eine erhebliche Bedrohung von Regenwäldern und der Biodiversität.

Importeure von Agrotreibstoffe müssen zumindest nachweisen, dass bei deren Produktion die acht Kernübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) eingehalten wurden.

Der Bundesrat sei sich bewusst, dass es schwierig sein werde, nachzuweisen, dass dabei keine Kleinbauern verdrängt würden.

2006 wurden 116’000 Liter biogener Diesel in die Schweiz importiert, 8’717’000 Liter biogener Diesel im Land selbst hergestellt.

Im Land produziert wurden ausserdem 1’060’000 Liter Ethanol, 845’000 Liter (Alt-)Pflanzenöle und 4’283’000 Liter Biogas.

Der biogene Treibstoffe erreichte 2006 einen Anteil von 0,2% am gesamten Treibstoffverbrauch in der Schweiz.

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