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Swisscom-Privatisierung: Parlament sagt Nein

Fulvio Pelli mit dem symbolischen Käfig für die Swisscom während der Parlaments-Debatte. Keystone

Der Nationalrat hat die Privatisierung der Swisscom abgelehnt. Mit 99 zu 90 Stimmen weigerte sich die Grosse Kammer, den Weg für den Verkauf der Aktienmehrheit des Bundes freizumachen.

Der Entscheid fiel mit den Stimmen der Sozialdemokraten, Grünen und Christlichdemokraten. Sie befürchten Qualitätseinbussen in der Grundversorgung.

Der Nationalrat will die Swisscom in Bundesbesitz behalten. Er hat die Vorlage zur Privatisierung des Unternehmens aus Angst vor einer schlechteren Grundversorgung und einem Verkauf ins Ausland abgelehnt.

Das gegnerische Lager aus Linken und der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) brachte neun Stimmen mehr auf die Waage als die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) und die Schweizerische Volkspartei (SVP).

Der Entscheid der Grossen Kammer fiel am Mittwoch zwar knapp, aber ohne Zufallsmehr. Mit 99 gegen 90 Stimmen lehnte sie die Privatisierung der Swisscom ab und versetzte damit dem Privatisierungswillen des Bundesrates einen kräftigen Dämpfer.

SP, Grüne und CVP stimmten praktisch geschlossen gegen das Projekt und machten unter anderem die Sorge um die Zukunft der Swisscom und der Grundversorgung in der Schweiz geltend. Sie verwiesen darauf, dass die Swisscom-Beteiligung der Bundeskasse in den letzten 7 Jahren mehr als 12 Mrd. Franken einbrachte.

«Die beste Kuh des Bundesrats»

Bei einem Ausstieg werde das Unternehmen quasi als Perle auf dem Silbertablett ausländischen Investoren präsentiert, sagte der sozialdemokratische Glarner Kommissionssprecher Werner Marti: «Der Bundesrat bringt seine beste Kuh billig zum Metzger.»

Die Aargauer CVP-Präsidentin Doris Leuthard kritisierte, der Bundesrat habe nicht klar machen können, was mit der Swisscom und der Grundversorgung bei einer Abgabe der Bundesaktien geschehe. «Der staatliche Einfluss auf die Infrastruktur, der muss sein», sagte Leuthard.

Signal für weitere Privatisierungs-Nein?

Die sozialdemokratische Fraktionschefin Hildegard Fässler schliesslich erhob die Abstimmung zum Entscheid über Privatisierungen im Allgemeinen. Wer heute Ja zum Verkauf der Swisscom sage, sei verantwortlich für eine ganze Lawine von weiteren Privatisierungen, welche der Bundesrat im Fall der Post bereits vorbereite. «Wehret den Anfängen», warnte Fässler.

Die Befürworter der Privatisierung wiesen diese Argumente zurück: Sie wollten die Swisscom aus den Fesseln des Staates entlassen und den Bund von einem grossen Klumpenrisiko befreien.

Die Swisscom brauche mehr Freiheiten, um im dynamischen Telekommarkt bestehen zu können, sagte der Luzerner Freisinnige Georges Theiler.

Fernmeldegesetz garantiert Grundversorgung

Die Sorge um die Grundversorgung teilten die Befürworter nicht. «Die Grundversorgung hat mit diesem Entscheid nichts zu tun», sagte der Schwyzer Peter Föhn von der SVP. Denn diese werde im Fernmeldegesetz geregelt.

Das Lager der Befürworter stimmte aber nicht geschlossen. Einzelne Nationalräte aus der SVP lehnten die Privatisierung ab. Das energische Werben von Finanzminister Hans-Rudolf Merz blieb schliesslich nutzlos.

Günter: Russischer Oligarch oder arabischer Scheich

Beim Nein zur Privatisierung spielten auch sicherheitspolitische Gründe mit. Bei einem Verkauf der Swisscom wären die meisten geheimen Telekom-Anlagen betroffen.

Der Sozialdemokrat Paul Günter sprach im Fall eines Verkaufs von einer Bedrohung der Sicherheit des Landes durch russische Oligarchen oder arabische Scheichs.

Merz: Kein Hauruck

Merz bedauerte den Entscheid des Parlaments. Der Bundesrat habe das Geschäft sorgfältig vorbereitet, es sei keine Haurückübung gewesen. Er hoffe nun, dass sich der Ständerat die Sache gut überlege. Die Argumente lägen nun auf dem Tisch.

Nach dem Nein der Grossen Kammer geht die Vorlage nun in den Ständerat. Sagt auch dieser Nein, ist das Privatisierungsprojekt in dieser Form gescheitert.

Die Swisscom hat den Entscheid des Nationalrats bedauert, hat aber Verständnis für die geäusserten Bedenken. Für ihre weitere Entwicklung hält sie eine Abgabe der Bundesbeteiligung für sinnvoll.

swissinfo und Agenturen

Der Bund ist heute zu knapp zwei Dritteln am Telekommunikations-Anbieter Swisscom beteiligt.

Durch einen Verkauf des Anteils könnten gegenwärtig rund 16 Mrd. Franken gelöst werden, die der Bundesrat zur Tilgung von Schulden einsetzen möchte.

Zudem möchte sich die Regierung von den finanziellen Risiken im bewegten Telekommunikations-Markt entlasten und dem Konzern mehr unternehmerische Freiheiten verschaffen.

Dem gegenüber stehen Bedenken, dass die Grundversorgung (Service Public) bei einem Verkauf ins Ausland gefährdet sein könnte.

Im November 2005 hatte die Regierung ihre Privatsierungs-Pläne angekündigt.

Im März verabschiedet sie die Botschaft ans Parlament. Am 10. Mai 2006 lehnt der Nationalrat die Vorlage ab.

Die Kleine Kammer soll sich in der Sommersession im Juni damit befassen.

Die Eidgenossenschaft hält 62% des Swisscom-Aktienkapitals.
Der Deutsche Staat ist mit 37% an der deutschen Telekom beteiligt.
Frankreich hält 33% an France Telecom.
Österreich hält 38% an Telekom Austria.
Die italienische Telecom Italia ist seit 2002 vollständig privatisiert.

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