Syrien, ein Feind, der Israel Stabilität garantiert
Für Israel birgt die Demokratisierungsbewegung in arabischen Staaten kurz- und mittelfristig Gefahren. Autokratische Regimes garantierten über lange Zeit Stabilität. Interview mit Walter Haffner, dem Schweizer Botschafter in Tel Aviv.
Walter Haffner vertritt seit drei Jahren die Schweiz in Tel Aviv. Das Gespräch wurde am Rande der regionalen Konferenz der Schweizer Botschafter vom 1. bis 3. Mai 2011 in Tunis geführt.
swissinfo.ch: Welche Auswirkungen hat die Einigung zwischen den zwei palästinensischen Parteien Fatah und Hamas auf die Verhandlungen mit Israel?
Walter Haffner: Zuerst muss man festhalten, dass es seit zwei Jahren gar keine Friedensverhandlungen mehr gibt. Die Palästinenser haben sich geweigert, mit der Regierung Netanyahu zu verhandeln, solange es keinen kompletten Siedlungsstopp gibt. US- Präsident Barack Obama hatte diesen gefordert, ihn aber gegenüber Israel nicht durchsetzen können. Die Palästinenser halten nun an dieser Forderung fest.
Aus Schweizer Sicht ist es mittel- und langfristig sicher positiv, dass die Palästinenser eine Einheitsregierung anstreben. Wenn irgendwann ein palästinensischer Staat entstehen soll, ist es nötig, eine einheitliche Regierung zu bilden, die alle Palästinenser vertritt.
Man muss nun abwarten, ob die innerpalästinensische Versöhnung anhält und wie sie konket ausgestaltet wird. Für Israel kompliziert die palästinensische Versöhnung die Lage zunächst einmal.
swissinfo.ch: Israel hat bisher nicht mit der Hamas verhandelt.
W.H.: Israel hält es für inakzeptabel, mit einer palästinensischen Fraktion zu verhandeln, die das Existenzrecht Israels in Frage stellt. Für Israel ist es eine Vorbedingung, als Staat akzeptiert zu werden, bevor es verhandelt.
Die Hamas müsste das Existenzrecht Israels anerkennen, um als Verhandlungspartner von Israel akzeptiert zu werden. Israel hat mehrfach dargelegt, dass es nicht mit einer Partei verhandeln will, die gleichzeitig Raketen auf Israel abschiesst.
swissinfo.ch: Die Schweiz war eines der wenigen Länder, das mit der Hamas gesprochen hat.
W.H.: Wir sind einer von drei Staaten, die das offen tun. Es ist ein offenes Geheimnis, dass dies auch andere Länder getan haben, einfach, ohne darüber zu reden. Unsere Haltung ist, dass man mit allen Beteiligten eines Konfliktes sprechen sollte, wenn man ihn irgendwann lösen will.
swissinfo.ch: Was sagen Sie dazu, dass Israel die Zollgelder, die eigentlich der palästinensischen Autonomiebehörde zustehen würden, blockiert?
W.H.: Dazu möchte ich mich im Moment nicht äussern. Ich kenne die Einzelheiten und die Hintergründe dieses Beschlusses nicht.
swissinfo.ch: Mit dem Bau der Siedlungen auf dem besetzen Gebiet schafft Israel Tatsachen, die nicht so leicht rückgängig zu machen sind.
W.H.: Israel ist sich bewusst, dass es mit dem Siedlungsbau gegen geltendes Völkerrecht verstösst. Die Streusiedlungen in der Westbank müssten – spätestens bei einem Friedensschluss – geräumt werden.
Das Problem der grossen israelischen Siedlungsblöcke an der Grenze Israels müsste wohl durch einen Landabtausch geregelt werden.
swissinfo.ch: Was würde der Zusammenbruch des syrischen Regimes für Israel bedeuten?
W.H.: Das könnte grosse Auswirkungen auf Israel haben. Syrien galt als einer von Israels so genannten «Lieblingsfeinden». Denn Baschar al-Assad ist ein Feind, aber er garantiert Stabilität. Würde das syrische Regime zusammenbrechen, könnte das wohl die Achse Iran-Syrien-Hisbollah im Libanon schwächen, aber für Israel gleichzeitig eine Ungewissheit mit unter Umständen schwerwiegenden Folgen mit sich bringen.
Seit 1973 blieb es an der Grenze zwischen Syrien und Israel ruhig. Würde in Syrien das Chaos ausbrechen, könnte die Situation für Israel rasch unberechenbarer und gefährlicher werden.
swissinfo.ch: Israel hat nach dieser Logik gar kein Interesse an einer demokratischeren Regierung in Syrien?
W.H.: Ich glaube, dass Israel mittel- und längerfristig sicher ein Interesse an demokratischen Nachbarn hat. Allerdings haben die Israeli in den letzten 60 Jahren gelernt, dass sie kurzfristig denken müssen. Sie fragen sich: Was ist morgen? Kurzfristig gesehen könnte eine Revolution in Syrien für Israel Instabilität bedeuten.
swissinfo.ch: Gilt das auch für den anderen Nachbarn, Ägypten?
W.H.: Ja, und auch für Jordanien. Laut einer Umfrage, die in Ägypten nach dem Sturz Mubaraks gemacht wurde, würde eine Mehrheit der Bevölkerung den Friedensvertrag mit Israel rückgängig machen. Eine solche Vorlage dürfte also bei einer demokratischen Abstimmung eine Mehrheit erreichen. Für Israel wäre dies ein riesiger Rückschlag.
In diesem Sinn birgt die Demokratisierung in Ägypten für Israel auch gewisse Gefahren und Risiken. Die Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien haben Israel Stabilität im Süden und Osten gebracht – und dem jüdischen Staat zudem in der arabischen Welt Türen geöffnet
swissinfo.ch: Es waren die zwei einzigen Friedensverträge, die Israel schliessen konnte. Werden sie aufgelöst werden?
W.H.: Diese Frage stellt sich heute nicht. Und selbst wenn die Friedensverträge gekündigt würden: Deswegen gäbe es nicht automatisch Krieg. Aber Israel könnte in eine sehr heikle Situation geraten, indem es zum ersten Mal seit 30 Jahren wieder einer arabischen Einheitsfront gegenüberstehen würde.
swissinfo.ch: Sie sind Botschafter der Schweiz, von einem Land, das die Demokratisierung in den arabischen Ländern begrüsst und fördert. Bringt Ihnen diese Haltung der Schweiz Konflikte mit Israel ein?
W.H.: Israel versteht die Haltung der Schweiz und begrüsst ja mittel- und langfristig die Demokratisierung der arabischen Welt ebenfalls.
Doch zunächst einmal können diese Ereignisse Instabilität bedeuten und können die Sicherheit Israels direkt oder indirekt in Frage stellen. Für Israel steht die eigene Sicherheit stets im Vordergrund.
Die Schweiz begrüsst die Einigung der bislang verfeindeten Palästinenser-Organisationen Fatah und Hamas.
Die innerpalästinensische Versöhnung sei eine unabdingbare Voraussetzung für die Selbstbestimmung Palästinas, teilte das Aussendepartement EDA mit.
Alle Parteien seien nun aufgerufen, sich auf dem Verhandlungsweg für eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts einzusetzen.
Mit Ägypten: Der israelisch-ägyptische Friedensvertrag wurde am 26. März 1979 in der US-amerikanischen Hauptstadt Washington von Israels Ministerpräsident Menachem Begin und Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat unterzeichnet. US-Präsident Jimmy Carter unterzeichnete den Friedensvertrag als Zeuge.
Der Vertrag bestimmte neben der gegenseitigen Anerkennung die Beendigung des seit 1948 bestehenden Kriegszustandes.
Ausserdem sieht das Abkommen vor, dass Israel die Sinai-Halbinsel zusammen mit den dortigen Erdölquellen und strategischen Punkten zurückgibt.
Ägypten war mit diesem Vertrag der erste arabische Staat, der Israel offiziell anerkannte.
Mit Jordanien: Der israelisch-jordanische Friedensvertrag wurde am 26. Oktober 1994 von König Hussein von Jordanien, vom israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin und von US-Präsident Bill Clinton unterzeichnet.
Der Vertrag enthält 30 Artikel. In Artikel 1 wird festgelegt, dass von nun an Frieden zwischen den beiden Staaten herrscht.
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