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Tamiflu: Umsätze erreichen Milliardengrenze

Abläufe bei der Tamiflu-Produktion in einem Roche-Werk bei Kaiseraugst bei Basel. Keystone

Roche konnte den Umsatz mit dem (Schweine-)Grippemittel Tamiflu im 1. Halbjahr 2009 auf rund 1 Mrd. Franken verdreifachen. Auch der für den Herbst in Aussicht gestellte Impfstoff dürfte das Medikament nicht so schnell von der Blockbuster-Liste verdrängen.

In die Schlagzeilen gekommen war Tamiflu erstmals im Zusammenhang mit der Vogelgrippe. Das Medikament wird auch für die Behandlung der Schweinegrippe benutzt.

Tamiflu gehört beim Basler Pharmaproduzenten zum Bereich Pharma, auf den 19 der insgesamt 24 Milliarden Franken des Umsatzes entfallen. Den Rest, knapp 5 Mrd. Franken, erwirtschaftet Roche mit Diagnostics.

Obschon in den letzten Monaten oft von Tamiflu die Rede war, ist dieses im 1. Halbjahr 2009 nicht das meistverkaufte Medikament von Roche gewesen. Es waren die Krebsmedikamente Avastin und Mabthera-Rituxan.

Über Roche, neben Novartis dem anderen grossen Pharmakonzern in Basel, ist in den letzten Jahren mehr wegen Tamiflu berichtet worden als wegen der 2008 erfolgten Megaübernahme von Genentech, das Avastin produziert.

Für die in der Schweizer Wirtschaftsgeschichte rekordhohe Übernahmesumme von knapp 47 Mrd. Franken hatte der Basler Konzern das US-Biotech-Unternehmen erstanden – eine Summe, die ungefähr einem gesamten Roche-Jahresumsatz entspricht, oder 47 mal soviel, wie allein Tamiflu im ersten Semester 2009 eingebracht hat.

Tamiflu: Heilen oder Impfen?

Doch die Aufmerksamkeit rund um Roche gilt weiterhin seinem Grippemittel Tamiflu. Aber vielleicht nicht mehr lange, fragen sich Analysten und Medien: Während sich Konkurrent Novartis bei der Schweinegrippe auf die Impfstoffe konzentriere, die aber noch nicht erhältlich seien, könne Roche von seinem Medikament Tamiflu noch profitieren.

Tamiflu bleibe nur so lange unumgänglich, solange kein Impfstoff vorhanden sei, heisst es. Dieser ist laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) bereits für diesen Herbst angesagt.

Dem widerspricht Roche. Sprecherin Martina Rupp zu swissinfo.ch: «Tamiflu und die Impfungen werden sich ergänzen, nicht ausschliessen. Tamiflu kann auch eingesetzt werden, wenn jemand trotz Impfung krank wird und im Gegensatz zu den Impfungen muss Tamiflu nicht jedes Jahr angepasst werden.»

Tamiflu-Verkäufe: Hoch und Tief

Seit den Zeiten der Vogelgrippe wird das Heilmittel von vielen Staaten in Pflichtlagern gehalten, und Roche hat mit Regierungsaufträgen für Pandemie-Vorsorge viel Geld gemacht.

In den Vogelgrippe-Jahren 2006 und 2007 konnte Roche für rund 4 Mrd. Franken Tamiflu an Regierungen verkaufen. 2008 jedoch folgte ein dünnes Jahr: Die Verkäufe des Medikaments fielen um über 70% auf 609 Mio. Franken. Erst das 1. Halbjahr 2009 brachte wegen der Schweinegrippe wieder gutes Umsatzwachstum.

Neben dem Impfmittel könnte es für das künftige Tamiflu-Geschäft von Roche noch ein zweites Problem geben: Bei falscher Einnahme des Heilmittels besteht die Gefahr, dass das betreffende Grippevirus resistent wird.

Verbreitet sich dieses Virus dann entsprechend, könnte Tamiflu ineffektiv und damit wertlos werden. Im Juni 2009 waren solche Einzelfälle in Dänemark und Japan aufgetreten.

Martina Rupp erklärt: «Die Gefahr besteht in der falschen Dosierung. Deshalb ist das Mittel auch rezeptpflichtig – ein Arzt soll dem Patienten die Dosis vorschreiben. Eine Resistenz kann sich einstellen, wenn nicht richtig dosiert wird.»

Börsen- wie Grippezyklen

Auf den Kapitalmärkten und bei den Anlegern sind Roche-Titel spezielle Wertpapiere, weil es Genussscheine und nicht nur Inhaberaktien sind, die gehandelt werden – als Wertpapiere ohne aktionärsbezogene Mitbestimmungsrechte.

Ähnlich wie bei möglichen Pandemien und sich ausbreitenden unbekannten Grippeviren reagieren auch die Kapitalmärkte und Börsen: Ängste und Hoffnungen der Anleger lassen die Aktienkurse schwanken, analog wie die wechselnden Gefahren-Einschätzungen der Grippe durch die Massenmedien.

Der Preis des Roche-Genussscheins schwankt in Funktion der Medikamente. Um volle 12% fiel deren Kurs, als das Krebsmittel Avastin diesen Frühling mit schlechten Testdaten aufwartete. Wenig später schossen sie, als Ende April der Bezug von Tamiflu mit der Mexikogrippe aufkam, gleich wieder um 8% in die Höhe.

Tamiflu-Generika?

Ob sich Roche die Finger mit einem Generikapatent-Prozess verbrennen will, ist fraglich. Hat doch im Sommer 2007 Konkurrent Novartis in der Glivec-Patentklage im Generika-Paradies Indien eine Niederlage einstecken müssen.

In rund 7 Jahren laufe das Tamiflu-Patent ab, sagt Martina Rupp. «Roche kann die derzeitige Nachfrage problemlos abdecken. Zudem können auch die Unternehmen in China und Indien, die von Roche eine Sublizenz erhalten haben, sowie eine Firma in Südafrika Oseltamivir produzieren. Patentdiskussionen stehen daher nicht an».

Noch ist Tamiflu in der Schweiz nicht krankenkassenpflichtig. Laut Gesundheitsminister Pascal Couchepin würde es im Falle einer Pandemie jedoch auf die Liste genommen.

Alexander Künzle, swissinfo.ch

Umsätze von Roche mit Tamiflu, in Mio. Fr., (Veränderung in %):

2003: 431 (+184)
2004: 330 (-23)
2005: 1600 (+384)
2006: 2600 (+63)
2007: 2100 (-19)
2008: 609 (-71)

In den Pflichtlagern des Bundes lägen 23 Mio. Tamiflu-Kapseln und 1300 Kilo Tamiflu-Pulver, sagte Gesundheitsminister Pascal Couchepin Anfang Mai während der Information über die Schweinegrippe.

Das reiche für einen Fünftel der Bevölkerung.

Käme es zum Notfall, müsse das Medikament nur noch abgepackt werden, hiess es.

Die Verteilung übernähmen die Kantone.

Das Gesundheits-Unternehmen Roche beschäftigt etwa 80’000 Mitarbeitende und vertreibt seine Produkte in mehr als 150 Ländern.

Konzern-Hauptsitz ist Basel, 1896 von Fritz Hoffmann-La Roche gegründet.

Die Konzernverkäufe stiegen im 1. Halbjahr 2009 um 10% (9% in Franken) auf 24 Mrd. Fr. Der Betriebsgewinn wuchs stärker als Verkäufe um 20% auf 8 Mrd.

Der Konzerngewinn lag mit 4,1 Mrd. Fr. 29% unter dem Vorjahreswert. Grund: Integration von Genentech.

Division Pharma: Die Verkäufe von Roche wuchsen doppelt so schnell wie jene im Branchendurchschnitt.

Division Diagnostics: Auch hier wuchsen die Umsätze schneller als im Branchendurchschnitt.

Roche beschäftigt in der Schweiz rund 10% aller Mitarbeitenden, also 9’500 Personen an 6 Standorten.

Die Roche-Gruppe ist damit der neuntgrösste private Arbeitgeber der Schweiz.

Die Gesamtlohnsumme von Roche in der Schweiz übersteigt eine Milliarde Franken pro Jahr.

40% der Mitarbeitenden sind Frauen, 43% haben eine Berufslehre abgeschlossen.

2500 Mitarbeitende arbeiten allein in Basel in der Forschung und Entwicklung.

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