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Tauwetter zwischen der Schweiz und der Türkei

Die Schweiz und die Türkei nähern sich wieder an. Keystone

Bundespräsident Pascal Couchepin hat seinen 5-tägigen Türkei-Besuch in Ankara mit einem Besuch bei Premierminister Erdogan beendet. Dieser dankte der Schweiz für ihre Massnahmen gegen die PKK. Auch der Ilisu-Staudamm war ein Thema.

Bei dem 45-minütigen Treffen sagte Erdogan laut Couchepin-Sprecher Jean-Marc Crevoisier, die Türkei sei zufrieden, dass die Schweiz Massnahmen getroffen habe, welche die Aktivitäten der kurdischen Arbeiterpartei PKK eindämmen sollen.

Auch der türkische Staatspräsident Gül hatte die am vergangenen Mittwoch getroffenen Massnahmen der Schweiz gegen kurdische Organisationen begrüsst. Zu den Massnahmen gehört ein Geldsammelverbot für kurdische Organisationen in der Schweiz und der Aufruf an die Kantone, die Informationsbeschaffung über kurdische Aktivisten zu intensivieren.

Armenien-Frage

In der Frage, ob sich die Türkei gegenüber den Armeniern 1915 des Genozids schuldig gemacht habe, waren sich laut Crevoisier Premierminister Recep Tayyip Erdogan und Bundespräsident Pascal Couchepin einig, dass diese von türkischen und armenischen Historikern gemeinsam zu beantworten sei.

Die Gesellschaft Schweiz-Armenien übte Kritik an dieser Haltung des Bundespräsidenten. Es sei nicht Sache der Historiker sondern der Politiker, den Genozid an den Armeniern zu verurteilen.

Die UNO-Völkermordkonvention sei schliesslich auch von Schweizer Politikern, nicht von Historikern ratifiziert worden. «Das weiss Bundespräsident Couchepin sehr gut», sagte der Präsident der Gesellschaft Schweiz-Armenien, Sarkis Shahinian.

Couchepin hätte sich an mutigen Äusserungen aus der türkischen Zivilbevölkerung ein Beispiel nehmen und über den Völkermord an den Armeniern sowie die Bestrafung von dessen Leugnung sprechen sollen.

Umstrittener Ilisu-Staudamm

Auch aktuelle Wirtschaftsfragen wurden laut Crevoisier diskutiert. So habe Couchepin Erdogan gesagt, dass die Schweiz sehr daran interessiert sei, die geplante Gas-Pipeline mit Schweizer Beteiligung durch die Türkei zu bauen. An dem Projekt der Trans Adriatic Pipeline ist die Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg (EGL) beteiligt, die dazu im vergangenen März einen Gasvertrag mit Iran abgeschlossen hatte.

Zur Sprache kam auch der Ilisu-Staudamm. Couchepin habe seinem Gesprächspartner klar gemacht, dass die Schweiz den Bau des Staudamms zwar wünsche, die Türkei müsse aber die vereinbarten Vorgaben erfüllen. Kritiker wie die Nichtregierungs-Organisation Erklärung von Bern werfen der Türkei vor, Umweltauflagen nicht zu erfüllen und bei der Umsiedelung der Bevölkerung nicht korrekt vorzugehen.

Die Realisierung des Staudamm-Projekts in Anatolien ist ungewiss. Die Schweiz, Deutschland und Österreich hatten im Oktober erklärt, die Exportrisikogarantien für Bau-Unternehmen zurückzuziehen, sollte die Türkei die Auflagen zum Schutz von Umwelt, Kulturgütern und der Bevölkerung im Flutungsgebiet nicht erfüllen.

Am Bau des Staudamms sind die Schweizer Firmen Alstom, Colenco, Maggia und Stucky beteiligt. Ende März hatte der Bundesrat diesen eine Exportrisikogarantie von 225 Millionen Franken zugesichert.

80 Jahre diplomatische Beziehungen

Couchepin nahm am Dienstag zusammen mit dem türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül auch an den Feierlichkeiten zur Eröffnung der ersten Schweizer Vertretung in der Türkei vor 80 Jahren teil.

Der Schweizer Bundespräsident übergab vor über hundert geladenen Gästen der Türkei den Tisch, auf dem der Vertrag von Lausanne 1923 unterzeichnet wurde. Mit dem Vertrag wurde der türkische Nationalstaat in seinen jetzigen Grenzen festgelegt.

Couchepin bezeichnete die Türkei als «zentralen strategischen Partner». Seitdem er Mitglied der Schweizer Regierung sei, habe sich das «gegenseitige Misstrauen verringert» und sei jetzt «verschwunden». Er liebe dieses Land immer mehr, erklärte der Bundespräsident vor seiner Abreise aus der Türkei. Dem Präsidenten des türkischen Parlamentes hatte Couchepin zuvor versichert, die Bilanz seines Türkei-Besuches sei hervorragend.

swissinfo und Agenturen

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei waren jahrelang wegen der Menschenrechtslage in der Türkei und unterschiedlichen Positionen in der Armenier- und Kurdenfrage angespannt.

Das Verhältnis hat sich dieses Jahr entspannt. Seit Mai 2008 finden zwischen der Türkei und Armenien Gespräche unter Schweizer Vermittlung statt.

Ende Oktober/Anfang November in diesem Jahr weilte die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey am Weltwirtschaftsforum in Istanbul.

Nach dem Besuch von Bundespräsident Pascal Couchepin reisen in diesem Jahr auch noch Wirtschaftsministerin Doris Leuthard und Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf in die Türkei.

Zwischen 1915 bis 1917 wurden im Osmanischen Reich – dem Vorläufer der heutigen Türkei – mehr als 1,5 Millionen Armenier bei Vertreibungen getötet.

Zahlreiche Staaten, unter anderen Frankreich, USA, Russland und Italien, sowie die grosse Mehrzahl der Historiker bezeichnen die Verbrechen als Genozid. Die Türkei lehnt die Bezeichnung Völkermord ab und spricht von tieferen Opferzahlen.

In der Schweiz haben die Kantone Waadt und Genf sowie der Nationalrat den Völkermord an den Armeniern anerkannt, nicht jedoch der Bundesrat und der Ständerat.

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