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«Tragischer Erfolg der Wissenschaft»

Ende der Klimakonferenz (Presseschau) AFP

Ein Blick in die Schweizer Medien zeigt, dass sie die Übereinkunft am Klimagipfel in Kopenhagen als Scheitern betrachten. Nicht nur,dass kein Abkommen zum Klimaschutz erreicht worden sei, nein, der Gipfel habe auch die Grenzen der Uno gezeigt.

«Gewinner handeln jetzt», schreibt der Zürcher Tagesanzeiger und der Berner Bund nach der Klimakonferenz in Kopenhagen. Der Gipfel sei deshalb ein tragischer Erfolg der Wissenschaft gewesen, weil die Weltgemeinschaft erstmals akzeptiert habe, dass die Erderwärmung um 2 Grad das Ökosystem Erde aus dem Gleichgewicht bringen könnte.

Tragisch deshalb, weil sich gezeigt habe, dass die Industriestaaten und die Schwellenländer nicht bereit seien, das Tempo zur Reduktion der Treibhausgase zu reduzieren. «Kein einziges Reduktionsziel haben sie in der Absichtserklärung festgelegt», wirft der Kommentator den Verhandlungspartnern vor.

Doch selbst wenn die internationale Politik nicht erfülle, was erwartet würde, so sei sie doch ein Gradmesser, wohin es im Klimaschutz in Zukunft gehen werde. Wer jetzt auf Umwelttechnologie setze, werde den grössten Effekt spüren. «Sie werden zu den Gewinnern gehören».

Kein Opfer für Gaïa

Auch das Tessiner Giornale del popolo ist der Meinung, dass man sich am Gipfel von Kopenhagen nur auf einen Minimalkonsens geeinigt habe. Er sei total ungenügend, sowohl in Bezug auf die weiteren Kosten und auf den Ausstoss von CO2 der Organisation und der Delegierten.

Der Gipfel habe Treibhausgas in der Menge eines Jahresausstosses einer Stadt mit 150’000 Einwohnern produziert, errechnet das Giornale del popolo. In Kopenhagen seien sich zwei Seiten gegenübergestanden, einerseits die Europäische Union und die Vereinigten Staaten, die die Absicht gehabt hätten, mit dem Handel von Emmissionspapieren ein globales Abkommen abzuschliessen. Da,ot wäre aber nichts als eine grüne Spekulationsblase entstanden.

Auf der anderen Seite standen Länder wie China, Indien, Brasilien oder Südafrika, die keinerlei Absicht hatten, sich auf einem heidnischen Altar für die rachsüchtige Göttin Gaïa zu opfern.

Wichtigste Frage unbeantwortet

Die Neue Zürcher Zeitung NZZ ist ernüchtert über den «ambitiösen Versuch, das erste wirklich globale, alle wichtigen Verursacher einbindende Abkommen zum Schutz des Klimas zu erreichen.» Dieser Versuch sei klar gescheitert.

Statt eines Abkommens liege nur eine Übereinkunft vor, die, wie die NZZ bemängelt, nicht wirklich neu sei. Auf das sogenannte 2 Grad-Ziel habe man sich schon im Sommer verständigt. Die NZZ stellt fest, dass die wichtigste Frage unbeantwortet bleibt, nämlich was konkret zur Begrenzung der globalen Erwärmung geschehen soll.

Nicht einmal auf einen neuen Termin für den Abschluss eines Klimavertrags habe man sich in Kopenhagen einigen können. «Der politische Wille dazu ist nicht erkennbar», meint die NZZ.

«Tiefgreifende Ungleichheit»

«Ohne Überraschung in den nächsten Jahren steuert die Menschheit konsequent auf eine Klimaveränderung zu und muss mit den Konsequenzen umgehen», ist sich Le Temps bewusst. Die welsche Tageszeitung analysiert: Das Treffen in Kopenhagen habe zwei essentielle Realitäten gezeigt, einerseits die tiefgreifende Ungleichheit, die die Welt regiere und das Zerbröckeln der politischen Macht.

Die Uno, der das grosse Verdienst zukomme, der Welt das Klimaproblem bewusst gemacht zu haben und die eine grosse Konferenz organisiert habe, habe auch gezeigt, dass sie enorme Mühe habe, von der Diskussion zur Handlung überzugehen. Bei globalen Herausforderungen sei die internationale Gemeinschaft daran interessiert, eine neue Form zu finden.

Es müsse neben den G20, wo nur die reichen Wirtschaftsländer vertreten seien, einen Kreis geben, in dem die ganze Menschheit repräsentiert sei, meint Le Temps.

In der Ära Bush 10 Jahre verloren

«Was sind die Gründe für dieses Fiasko?» fragt 24heueres Die Uno-Methode sei an ihre Grenzen gestossen, sagt die Waadtländer Zeitung. Dieser Gipfel habe erst am letzten Tag richtig begonnen, bevor er sich in Uneinigkeit aufgelöst habe.

«Wenn man in dieser Angelegenheit weiterkommen will – es ist die grösste Herausforderung dieses Jahrhunderts- muss man die Vorgehensweise ändern. Mit 192 Staaten gleichzeitig zu verhandeln, ist mehr Zirkus als Diplomatie».

Nach der Wahl von Barack Obama hätten viele gedacht, dass sich die Welt verändern würde. «In der Klimafrage ist dies nicht der Fall», stellt 24heures fest. Doch das Klima könne nicht warten. «Zehn Jahre wurden bereits in der Ära Bush verloren. Wir können uns den Luxus nicht leisten, noch weitere zehn zu verlieren.»

Klimaerwärmung geht weiter

«Niemals seit dem Ende des Kalten Kriegs ist der Eindruck, dass sich wiederaufgebaute Blöcke gegenüberstehen, so stark gewesen», fasst die Freiburger Tageszeitung La Libertézusammen. Die neuen Blöcke seien veränderlich und verkomplizierten die so oder so schwierige Lösung, die in Zukunft gefunden werden müsse.

Schier zynisch schliesst La Liberté: Die einzige Gewissheit, die nach Kopenhagen bestehe: «Die Klimaerwärmung hat (sehr) schöne Zeiten vor sich.»

Zwei Visionen des Schicksals der Menschen

Das Scheitern des Gipfels von Kopenhagen sei das Resultat der Konfrontation zweier Visionen der Welt und vor allem zweier Visionen des Schicksals der Welt, schreibt der Corriere del Ticino.

Auf der einen Seite herrsche ein fortschrittlicher Geist, der sich der Gefahr, in der sich die Welt befinde, bewusst sei und an die zukünftigen Generationen denke. Er werde verkörpert durch die Europäische Union und einigen Schwellenländer wie Brasilien.

Auf der anderen Seite stehe eine eher konservative Denkweise, die von der unausgesprochenen Koalition zwischen China und den Vereinigten Staaten getragen werde.

Die Weltmeister der Liberalisierung, von denen der eine an einem obsoleten Wirtschaftsmodell festhält, das es trotz allem in Bezug auf die Gesundheit seiner Einwohner zu verbessern gelte. Der andere versuche sich in einem marktwirtschaftlichen Kommunismus, der die Proteste der Welt mit einer schlecht kaschierten Selbstgefälligkeit zur Kenntnis nehme und der die Natur den Bedürfnissen der Wirtschaft unterordne, meint der Corriere del Ticino resigniert.

Eveline Kobler, swissinfo.ch

– ZWEI-GRAD-ZIEL: Das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, wird «zur Kenntnis» genommen. Das ist weniger als das, was die G8-Staaten auf ihrem L’Aquila-Gipfel im Juli vereinbart hatten. Laut Weltklimarat IPCC wäre eine über zwei Grad hinausgehende Erwärmung katastrophal für Mensch und Natur.

– TREIBHAUSGASE: Alle Industrieländer und sollten bis zum 31. Januar 2010 nationale Treibhausgasziele für das Jahr 2020 vorlegen. Die EU und 15 einzelne Staaten hatten das bereits getan. Ein gemeinsames Ziel für die Industrieländer ist im letzten Entwurf nicht mehr vorgegeben. Inwieweit die Schwellenländer Klimaziele erbringen müssen, soll auch davon abhängen, was die Industrieländer an Geld und Technik bereitstellen.

– GELD: Die Industrieländer geben den Entwicklungsländern insgesamt 30 Milliarden Dollar (21 Milliarden Euro) für 2010 bis 2012 für die Anpassung an den Klimawandel und eine umweltfreundliche Entwicklung. Das Geld für die Anpassung soll vor allem den ärmsten und den Inselstaaten zufließen. Die reichen Staaten setzen sich außerdem das Ziel, ab 2020 rund 100 Milliarden Dollar pro Jahr für die umweltfreundliche Entwicklung ärmerer Länder bereitzustellen.

– ÜBERPRÜFUNG: Die Schwellen- und Entwicklungsländer müssen «internationale Beratungen und Analysen» für ihre Klimaschutz- Aktivitäten ermöglichen – jedoch basierend auf nationalen Prioritäten. Damit hat China erreicht, dass es keine internationale, unabhängige Überprüfung im eigenen Land zulassen muss.

– WALD: Es ist entscheidend, den Wald zu schützen und Geld dafür bereitzustellen, heißt es schwammig in dem Entwurf. Ungeklärt bleibt zum Beispiel, aus welchen Töpfen der Waldschutz finanziert wird.

– STÄRKUNG: Die Vereinbarung solle 2015 überprüft werden mit Blick auf die Möglichkeit, die Erderwärmung auf nur 1,5 Grad zu begrenzen. Dies hatten vor allem kleine Inselstaaten gefordert, die vom Anstieg der Meeresspiegel bedroht sind.

– VERBINDLICHKEIT: Ein Verweis auf die Arbeit an einem völkerrechtlich verbindlichen Abkommen wurde in den letzten Konferenzstunden gestrichen.

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