Trotz mehr Tierschutz: Bauern lehnen Tieranwälte ab
Landwirtschaftlichen Nutztieren geht es besser oder weniger schlecht, als noch vor 15 Jahren, anerkennt der Schweizer Tierschutz. Ungenügend geschützt seien aber Heimtiere. Dennoch wehrt sich der Bauernverband gegen die landesweite Einführung von Tierschutz-Anwälten.
«Wir haben noch nie behauptet, alle Bauern seien unfehlbar. Unfehlbar ist nur einer und der lebt in Rom», sagt Thomas Jäggi vom Schweizerischen Bauernverband gegenüber swissinfo.ch.
Jäggi räumt damit ein, dass Tierquälerei in der Landwirtschaft immer noch vorkommt. Die Zeiten allerdings, da fast wöchentlich Bilder von unglücklichen Schweinen, Rindern oder Hühnern die Öffentlichkeit schockierten, sind vorbei.
«Dank neuen Vorschriften haben sich die Zustände verbessert. Das ist sicher mit ein Grund dafür, dass das Thema landwirtschaftliche Nutztierhaltung im Moment weniger im Vordergrund steht», sagt der Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes, Hansuli Huber.
«Dass der Vollzug im Bereich Landwirtschaft eindeutig besser geworden ist, ist eine direkte Folge der Direktzahlungen, die mit einem ökologischen Leistungsnachweis verknüpft sind», so Huber.
Fast keine Stichproben
Für diesen Zweck eigens geschaffene Kommissionen kontrollieren die Bauern regelmässig. Missstände werden gebüsst und mit einer Kürzung der Direktzahlungen bestraft. Zufriedenstellend funktioniere das allerdings nicht, beanstandet Huber: “Die allermeisten Kontrollen werden angemeldet, das gilt selbst für die hoch gelobten Kontrollen im Bio-Bereich.
Der Tierschutz verlangt seit Jahren auch unangemeldete Stichproben. Einzelne Kantone führen solche auch durch. Anderswo sei es aber so, dass es “Schlawiner“ gebe, “die dann denken, jetzt sei der Kontrolleur wieder einmal da gewesen, jetzt habe ich wieder Ruhe“.
Kriminalisierung?
Das neue Tierschutzgesetz ist seit 1. September 2008 in Kraft. “Seither ist der Druck auf die Bauern hoch: Sie werden jetzt gleich doppelt gebüsst“, sagt Thomas Jäggi mit Blick auf die Bussen und die Direktzahlungskürzungen. “Wir sind gegen eine neue Ebene“, so Jäggi und meint damit die Tierschutzanwälte:
Nicht einverstanden ist Jäggi mit dem Argument des Zürcher Tierschutzanwalts Antoine Goetschel, die Bauern sollten sich eigentlich aus eigenem Interesse für Tierschutzanwälte einsetzen, denn sonst hätte die Bevölkerung das Gefühl, sie wollten etwas verstecken: “Das klare Ziel der Befürworter sind ja ganz klar mehr Verfahren, also eine Kriminalisierung der Bauern“, so Jäggi.
Der Bauernverband befürchtet, Tierschutzanwälte führten zu Schnüffeleien, ungerechtfertigten Denunziationen und aufgeblähten Verfahren. “Wir wollen keinen Polizeistaat“, sagt hingegen Huber.
Missstände bei den Heimtieren
Bei den Beratungen über die Tierschutzanwalt-Initiative im Parlament habe der Tierschutz zudem “klipp und klar gesagt, dass wir dort Tierschutzanwälte brauchen, wo die Vollzugsinstrumente schwach sind, also im Bereich der Heimtiere“.
Denn Heimtierhalter würden nicht kontrolliert. Damit sei der Vollzug des Tierschutzgesetzes nicht gewährleistet. – Huber erzählt von Misshandlungen, in denen die Gerichte beide Augen zugedrückt und den Angeklagten frei gesprochen haben.
Tierquälerei ist in jedem Fall ein Offizialdelikt, muss also von Staates wegen verfolgt werden. Zuständig sind die kantonalen Veterinärämter. Der Vollzug wird von Kanton zu Kanton jedoch verschieden streng gehandhabt. Das zeigt sich in den Statistiken der Anzeigen und der Verurteilungen.
Während in Zürich seit Einführung des Tieranwalts weit mehr als 1700 Tierschutzstrafverfahren durchgeführt wurden, waren es in Kantonen wie Genf, Uri, Ob- und Nidwalden, Glarus, Tessin und Wallis im selben Zeitraum nicht einmal 2 pro Jahr.
Funkstille nach einer Anzeige
Konsequent einschreitende Kantonstierärzte, die die Tierschutzgesetze standhaft anzuwenden versuchten, sahen sich in den vergangenen Jahren regelmässig mit Angriffen von Kantonsparlamentariern konfrontiert, die ihre berufliche Kompetenz und ihre charakterliche Eignung in Frage stellten.
Es gebe Kantone, “in denen der Vollzug des Tierschutzgesetzes“ auch im Heimtierbereich klappe, aber es gebe andere, “da herrscht in diesem Bereich nicht eitel Sonnenschein. Wenn ein Kantonstierarzt bereits fünf Mal von seinem politischen Vorgesetzten eines auf die Kappe gekriegt hat, weil er schlichtweg zu gut ist“, fehle ihm die Motivation.
“In gewissen Kantonen können unsere Sektionen Fälle von Tiermisshandlung zwar anzeigen“, anschliessend herrsche jedoch Funkstille, erzählt Huber.
Darum seien vor allem die Heimtiere auf Tierschutzanwälte angewiesen, “damit bei einem “Verdachtsfall die Behörden schnell und motiviert reagieren und Tierschutzsünder entsprechend bestraft werden. Die Bauern müssen den Anwalt nicht fürchten. Sie werden ja bereits kontrolliert“.
Andreas Keiser, swissinfo.ch
Am 7. März stimmen die Schweizer Stimmberechtigten über drei Vorlagen ab: Über die Herabsetzung des Umwandlungssatzes bei der beruflichen Vorsorge, über die Tierschutzanwalt-Initiative und über den Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen.
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