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Tsunami-Überlebende haben noch immer Alpträume

Vierter Jahrestag des Tsunami: Zwei westliche Touristen am Strand von Phuket in Thailand. AP Photo/David Longstreath

Ende 2004 hinterliess eine riesige Flutwelle in Ländern um den Indischen Ozean eine Spur der Verwüstung. Rund 230'000 Menschen verloren ihr Leben. Bei vielen der Überlebenden, Einheimischen und Touristen, sind die seelischen Wunden noch nicht verheilt.

Ein neues Wort, das bislang nur Wissenschaftern bekannt war, hat Einzug in die Alltagssprache gefunden: Tsunami.

Neben den rund 230’000 Todesopfern wurden infolge der Flutwellen zudem über eine Million zu Vertriebenen. Wer überlebte, hatte nicht nur Familienangehörige und Nachbarn verloren, sondern vielen unter ihnen war ihr Hab und Gut sowie ihre Lebensgrundlage weggeschwemmt worden.

Winterzeit ist Ferienzeit, und der Indische Ozean gehört zu den beliebtesten Reisezielen westlicher Touristen. Die Zahl der Ausländer, die im Tsunami ihr Leben liessen – 9000 waren es in etwa – verblasst im Vergleich zu den über 200’000 Toten unter der lokalen Bevölkerung. Das Trauma der Naturkatastrophe lebt dennoch auch unter vielen der Überlebenden aus dem Westen weiter.

Posttraumatische Belastung

Mehrere Hundert Überlebende stammen aus der Schweiz. Eine bisher unveröffentlichte Tsunami-Studie des Universitätsspitals Zürich kommt zum Schluss, dass infolge dieser Erfahrungen rund 17 Prozent von ihnen noch immer an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden.

Für die Schweiz seien das überraschend viel, sagte der Psychiater Bernd Krämer, Leiter des Teams, das die Studie durchführte. In der Schweiz litten in der Regel nur zwischen 3 und 5 Prozent, die ein traumatisches Ereignis miterlebten, an posttraumatischen Belastungssymptomen, so Krämer gegenüber swissinfo.

Es gebe drei verschiedene Arten solcher Symptome, erklärte der Zürcher Arzt. «So wird etwa das Unglück immer wieder erlebt. Dies beinhaltet Alpträume und Rückblenden, so genannte Flashbacks. Oder die Leute vermeiden es, Dinge zu tun, die sie bisher gerne taten und sie weichen Situationen, Gesprächen und Menschen aus, die sie an das Trauma erinnern. Der dritte Punkt ist allgemeine Nervösität, Schlaflosigkeit.»

Die Zürcher Studie macht keine Angaben darüber, welche Personen am anfälligsten für dieses posttraumatische Leiden sind. Von anderen Untersuchungen weiss man jedoch, dass Menschen, die ein Trauma erfahren haben, aber danach keine Unterstützung erhielten, eher posttraumatische Belastungs-Symptome entwickeln.

Einstellung ändert

Krämers Team versuchte herauszufinden, ob der religiöse Glaube oder die Spiritualität der betroffenen Menschen einen Einfluss auf ihre Reaktionen hatten. Eine klare Folgerung darüber konnten die Forscher nicht machen, da die Probanden nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, und nicht vor und nach dem Tsunami, befragt werden konnten.

«Wir konnten nur die Zusammenhänge untersuchen und stellten keine Verbindung zwischen dem religiösen Glauben oder der Spiritualität und den erfolgten Symptomen fest», sagte Krämer.

«Für Personen, die einen religiösen Glauben haben, ist es jedoch einfacher, damit umzugehen. Auch wenn sie dennoch an Symptomen leiden, können sie sagen: Ich habe eine neue Orientierung gefunden und bin an einem neuen Punkt in meinem Leben angekommen.»

Posttraumatische Störungen können mit Psychotherapie erfolgreich behandelt werden. Auch Medikamente stehen zur Verfügung. «Alles in allem ist die Prognose gut», so Krämer.

342 Betroffene nahmen an der Tsunami-Studie teil. 60 Prozent von ihnen seien nicht psychologisch behandelt worden. Laut Krämer wäre es sinnvoll, Menschen, die aus Katastrophengebieteen zurückkehren, besser über posttraumatische Belastungen zu informieren.

swissinfo, Julia Slater
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

Geldspenden für die Tsunami-Opfer kamen aus der ganzen Welt.

In der Schweiz wurden Gelder von der Regierung und von Einzelpersonen gespendet.

Die offizielle Hilfe der Schweiz betrug 35 Mio. Fr. Sie wurde an Thailand, Indonesien und Sri Lanka ausgerichtet. Diese Projekte sind mittlerweile abgeschlossen.

Die Glückskette, die humanitäre Solidaritäts- und Sammelplattform der Schweiz, die von der SRG SSR idée suisse getragen wird, hat nach dem Tsunami Spenden in der Höhe von 227 Mio. Franken erhalten. Davon wurden bisher 205,5 Mio. Fr. eingesetzt.

9% des Geldes wurde für die Soforthilfe verwendet, 80% für den Wiederaufbau und 11% für eine nachhaltige Entwicklung.

Die Glückskette arbeitet in 6 Ländern mit 14 Schweizer Partnerorganisationen.

Die bisher unveröffentlichte Tsunami-Studie des Universitätsspitals Zürich befasste sich mit 342 Schweizer Überlebenden des Tsunami.

Die genaue Anzahl Schweizerinnen und Schweizer, die von der Katastrophe betroffen wurden, ist nicht bekannt.

Unmittelbar nach dem Ereignis wurden mehr als 4000 vermisst.

130 Menschen aus der Schweiz verloren bei der Katastrophe ihr Leben.

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