Umweltverantwortungs-Initiative: Für Links unverzichtbar, für Rechts unhaltbar
Die Schweizer Stimmberechtigten entscheiden am 9. Februar über die Umweltverantwortungsinitiative. Die Initiative der Jungen Grünen verlangt, dass die Wirtschaft die planetaren Grenzen innerhalb von zehn Jahren berücksichtigt. Die Gegner:innen der Vorlage sind der Meinung, die Initiative schade dem Wohlstand der Schweiz.
Am 27. Mai hat die Schweiz die Ressourcen aufgebraucht, welche die Natur für das ganze Jahr bereitstellen und erneuern kann. Dieser Tag wird als «Swiss-Overshoot-Day» bezeichnet, ein Indikator, der von der Nichtregierungsorganisation (NGO) Global Footprint Network entwickelt und vom Bund bestätigt wurde.
Mit anderen Worten bedeutet dies, dass die Menschheit 2,5 Erden benötigen würde, wenn alle Menschen so leben würden wie die Schweizer:innen
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Die Jungen Grünen haben im Februar 2023 die Volksinitiative «Für eine verantwortungsvolle Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen»Externer Link eingereicht. Am 9. Februar werden die Schweizer Stimmbürger:innen über diese Initiative abstimmen, die auch als Umweltverantwortungsinitiative bezeichnet wird.
Was fordert die Initiative?
Die Initiative fordert einen Verfassungsartikel, der die Volkswirtschaft dazu verpflichtet, sich innerhalb der von der Natur gesetzten Grenzen und ihrer Regenerationskapazität zu entwickeln. Das bedeutet, dass wirtschaftliche Aktivitäten nicht mehr Ressourcen verbrauchen oder mehr Schadstoffe ausstossen dürften, als der Planet verkraften kann.
Die Schweiz wäre demnach verpflichtet, die durch den nationalen Konsum verursachten Umweltbelastungen stark zu reduzieren, um die planetaren Grenzen nicht mehr zu überschreiten. Konkret: Um die planetaren Grenzen einzuhalten, müsste beispielsweise der CO2-Fussabdruck pro Person um mehr als 90% gesenkt werden, so eine Studie von Greenpeace Schweiz.
Der Bund und die Kantone hätten eine Frist von zehn Jahren, um dieses Ziel zu erreichen. Dabei legt das Initiativkomitee nicht genau fest, wie die Vorlage umgesetzt werden soll, fordert die Behörden aber auf, keine Massnahmen zu ergreifen, die zu sozialen Ungerechtigkeiten führen würden.
Was sind planetare Grenzen?
Das Konzept der planetaren Grenzen wurde 2009 vom Stockholm Resilience Centre, eine Forschungseinrichtung der Universität Stockholm, vorgestellt. Es definiert neun Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen, damit die Menschheit in einem sicheren Ökosystem leben kann.
Die Initiative will sich auf sechs dieser neun Grenzen konzentrieren: Klimawandel, Verlust der Artenvielfalt, Wasserverbrauch, Bodennutzung sowie Stickstoff- und Phosphoremissionen.
Laut einer aktuellen Studie von Greenpeace hat die Schweiz ihre Grenzen in Bezug auf den Verlust von Artenvielfalt, den Klimawandel, den Wasserverbrauch und die Stickstoffemissionen bereits überschritten.
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Argumente der Befürworter:innen
Die Jungen Grünen vertreten die Meinung, dass der Umweltschutz eine in der Verfassung verankerte Priorität werden muss und als Rahmen für die Wirtschaft und die Gesellschaft gelten soll.
Mit ihrer Initiative sollen die Lebensgrundlagen der Menschheit erhalten werden, damit alle Menschen Zugang zu gesunder Nahrung, sauberem Trinkwasser und sauberer Luft haben.
Das Initiativkomitee sieht bei der Wirtschaft eine grosse Verantwortung für die Überschreitung der Grenzen des Planeten, da diese viel mehr Ressourcen verbrauche, als die Natur wiederherstellen kann. Dies führe zu Umweltkrisen, extremen Wetterphänomenen und irreversiblen Veränderungen in den Ökosystemen.
Argumente der Gegner:innen
Für die Regierung, die wie das Parlament die Initiative ablehnt, geht diese zu weit. Dies vor allem wegen der Frist von zehn Jahren, in welcher die Ziele erreicht werden müssen.
Um diese Frist einzuhalten, müsste der Bund drastische Massnahmen ergreifen, die negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft haben würden.
Die Initiative «würde enorme Transformationskosten verursachen, die für den Staat unverhältnismässig und untragbar wären“, schreibt der Bundesrat in seiner Mitteilung zur Initiative.
Die Regierung betont zudem, dass die Verfassung bereits zahlreiche Bestimmungen zur Nachhaltigkeit enthält. Diese bereits geltenden Bestimmungen sind ihrer Meinung nach ausgewogen und brauchen keine Ergänzung.
Der Dachverband Economiesuisse weist seinerseits darauf hin, dass ein geringer Ressourcenverbrauch auch ein Zeichen von Armut ist.
Er stellt fest, dass nur 15 Länder einen ökologischen Fussabdruck von weniger als einer Erde haben und damit die Anforderungen der Initiative erfüllen. Darunter befinden sich vor allem Länder in prekären Situationen wie Afghanistan, Haiti oder Madagaskar.
Wer ist dafür, wer dagegen?
Die von den Jungen Grünen eingereichte Initiative wird von einer breiten Allianz von Parteien und Nichtregierungsorganisationen unterstützt, darunter die Grüne Partei, die Sozialdemokratische Partei (SP) und deren Jungpartei (Juso), Greenpeace, die Kleinbauern-Vereinigung und die Klimaseniorinnen. 83 Schweizer Wissenschaftler:innen haben in einer Erklärung ebenfalls ihre Unterstützung zum Ausdruck gebracht.
Über die Reihen der Linken und der Umweltschutzorganisationen hinaus überzeugt die Initiative kaum. Gewählte Vertreter:innen der Schweizerischen Volkspartei (SVP), der Liberalen (FDP), der Mitte und sogar der Grünliberalen sprachen sich während der Debatte unter der Bundeshauskuppel gegen die Initiative aus. Auch die Wirtschaftskreise bekämpfen die Vorlage.
Was tun andere Länder?
Mehrere europäische Länder haben ihre gesetzlichen Grundlagen für den Schutz der Ressourcen verschärft oder sind dabei, dies zu tun. Dies gilt insbesondere für Frankreich, Italien, Deutschland, Österreich, die Niederlande oder Schweden.
Der französische Code de l’environnementExterner Link sieht beispielsweise vor, dass der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft darauf abzielt, unter Beachtung der planetaren Grenzen einen neutralen ökologischen Fussabdruck zu erreichen.
In Deutschland heisst es in der Nachhaltigkeitsstrategie 2021Externer Link, dass die planetaren Grenzen die Grundlage für alle politischen Entscheidungen bilden.
Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Claire Micallef
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