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Umweltverantwortungsinitiative: Das sind die Argumente beider Seiten

Die Umweltverantwortungsinitiative kommt am 9. Februar an die Urnen. Lanciert haben das Volksbegehren die Jungen Grünen. In Let's talk kreuzen eine Befürworterin und eine Gegnerin die Klingen.

Die Umweltverantwortungsinitiative sagt: Die Schweiz lebt über ihre Verhältnisse, auf Kosten der Natur, zum Leidwesen ärmerer Länder.

Absender sind die Jungen Grünen. Sie wollen deshalb, dass Konsument:innen, die Wirtschaft, der Staat nicht mehr Ressourcen verbrauchen, als die Natur hergibt, als uns allen zusteht. Dies hätte laut Bundesrat Einschränkungen und Verzicht zur Folge, und das gehe zu weit.

Das Anliegen der Umweltverantwortungsinitiative aber hält auch die Regierung für berechtigt. In Let’s talk haben Magdalena Erni, Co-Präsidentin der Jungen Grünen und Melanie Racine, Vizepräsidentin der JungfreisinnigenExterner Link, darüber diskutiert.

Befürworterin Magdalena Erni ist überzeugt: «Die Umweltverantwortungsinitiative ist genau das, was es braucht, wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens einhalten möchten.» Die Schweiz müsse jetzt handeln, in Zukunft kämen noch grössere Kosten auf das Land zu.

Umweltverantwortungsinitiative: «Ein grosser Einschnitt»

Gegnerin Melanie Racine entgegnet: «Im ersten Moment dachte ich, ja, das hört sich eigentlich noch gut an.» Dann habe sie aber genauer hingesehen und sei zum Schluss gekommen: «Das ist sehr gefährlich, ein grosser Einschnitt für die Bevölkerung und die Wirtschaft der Schweiz.»

Racine erwähnt die starre Frist und warnt vor Verboten und sehr starken Einschränkungen im Alltag, kurz: vor den «strengsten Regeln auf der ganzen Welt.» Schweizerinnen und Schweizer sollten sich überlegen: «Will ich meinen Konsum um zwei Drittel reduzieren in den nächsten zehn Jahren.»

Aus Uganda zugeschaltet diskutiert der Schweizer Umweltökonom Basil Oberholzer mit. Er berät Regierungen in der Region bei ihrer Klimapolitik und der nachhaltigen Entwicklung. Oberholzer schildert, dass kürzlich im Süden Äthiopiens nach drei Jahren ohne Regen ungefähr eine Million Nutztiere verendet seien.

Die Umweltverantwortung des Nordens

Zur Umweltverantwortung des Nordens sagt er: «Die Leute im globalen Süden sind häufig sehr arm und wissen oft nicht, wie sie ihre Familien am nächsten Tag ernähren.» Sie hätten deshalb kaum die Möglichkeit, sich mit Klimafragen zu beschäftigen «Aber sie sehen, wie sich das Klima verändert hat.»

Auf der politischen Ebene sei dem Süden die Verantwortung des Nordens sehr bewusst, erzählt Oberholzer. «Wir sehen von Klimakonferenz zu Klimakonferenz, dass Versprechen gemacht werden, doch die Industrieländer sind bisher nicht bereit, ihre Verantwortung zu übernehmen.»

Doch wäre es mehr als Symbolpolitik, wenn die Schweiz in diesem Thema vorausginge? Für Basil Oberholzer ist die Antwort klar. «Niemand ist besser geeignet, Schwung in die Debatte zu bringen und andere Länder zu animieren als die wohlhabende Schweiz.»

Umweltverantwortungsinitiative: Das Konzept der planetaren Grenzen

Die Umweltverantwortungsinitiative heisst im Volltext «Initiative für eine verantwortungsvolle Wirtschaft innerhalb der planetaren Grenzen». Der Initiativtext verlangt den Wandel hin zu einer Wirtschaft, welche die Lebensgrundlagen nicht gefährdet – etwa in Bezug auf Energie, Rohstoffe oder Schadstoffe.

Gegnerin Melanie Racine sagt, der Weg in diese Richtung sei richtig, doch man müsse ihn «gemeinsam mit der Gesellschaft» gehen. Sie sieht die Schweiz dank Innovationen gut unterwegs. «Seit 1990 haben wir 40% unseres Ausstoss› einsparen können und gleichzeitig unsere Wirtschaftsleistung verdoppelt.»

Diesen Trend – weniger Emissionen trotz höherem Wachstum – zeigt auch folgende Grafik. Sie stellt den ökologischen Fussabdruck der Schweiz in Relation zum Bevölkerungswachstum dar.

Umweltverantwortungsinitiative Grafuj
Kai Reusser / swissinfo

Magdalena Erni sieht den Grund für die Reduktion der Emmissionen darin, dass die Schweiz ihre Belastungen ins Ausland exportiert habe. «Wir waren mal Pioniere in Sachen Klimaschutz, diese Position verlieren wir jetzt», sagt sie. «Heute sind wir keine Pioniere mehr, wir werden abgehängt.»

«Wir verlieren auch Menschenleben in der Schweiz», warnt sie und erwähnt Murgänge und Hitzetote. «Als 21-Jährige wird mir Angst und bange vor unserer Zukunft.»

Das Konzept der Planetaren Grenzen

Planetare Grenzen: Grafik zur Umweltverantwortungsinitiative.
SRF

Die Umweltverantwortungsinitiative fordert, dass sich die Schweiz innerhalb der «planetaren Grenzen» bewegt. Doch was sind die planetaren Grenzen? Sie zeigen einfach gesagt die physikalischen, chemischen und ökologischen Belastungsgrenzen der Erde auf. Das Konzept nennt neun Dimensionen – darunter den Klimawandel, die Luftverschmutzung, den Verlust der Artenvielfalt oder den Wasserverbrauch. Je stärker die Grenzen überschritten sind, desto eher drohen die Prozesse aus dem Gleichgewicht zu geraten. 

Wie weit wir planetare Grenzen überschritten haben, kann man mit dem ökologischen Fussabdruck darstellen. Dieser lässt einzelne Länder leichter miteinander vergleichen. Die Zahlen sind quasi die Grösse des Fussabdrucks eines Einwohners, gemessen in «globalem Hektar». Dieser wiederum beschreibt Fläche, die ein Mensch für seinen Lebensstil braucht.  

Umweltverantwortungsinitiative: Grafik zum ökologischen Fussabdruck
Kai Reusser / swissinfo

«Das zeigt, dass wir globale Lösungen brauchen», sagt Melanie Racine von den Jungfreisinnigen. «Nachhaltigkeit beruht auf drei Säulen: Wirtschaft, Umwelt und Bevölkerung», fügt sie an. Diese drei Säulen müssten alle miteinander funktionieren.

Dazu verweist Befürworterin Magdalena Erni auf die Sozialverträglichkeit der Massnahmen, die der Initiativtext vorsehe. «Klimaschutz ist inhärent Sozialpolitik», sagt sie. Ausserdem seien die Lebensmittelpreise auch wegen der Klimakrise angestiegen, etwa bei Olivenöl und Orangensaft.

Melanie Racine sieht aber auch eine Verantwortlichkeit gegenüber kommenden Generationen, dass wir künftig nicht in Armut leben müssen.

Politolologe Lukas Golder situiert in Let’s talk die Umweltverantwortungsinitiative als interventionistisch und «typisch aus der linken Optik formuliert». Für den Erfolg an der Urne brauche es in der Schweiz aber auch ein landschaftsschützerisches, konservatives Element. Golder ist Co-Leiter des Forschungsinstituts gfs.bern, das auch für SWI swissinfo.ch Abstimmungsumfragen macht.

Editiert von Samuel Jaberg

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Gastgeber/Gastgeberin Katy Romy

Sollte die Schweizer Wirtschaft die globalen Grenzen respektieren, wie es die Umweltverantwortungs-Initiative fordert? Oder würde dies dem Wohlstand des Landes schaden?

Am 9. Februar stimmen die Schweizerinnen und Schweizer über die von den Jungen Grünen lancierte Umweltverantwortungs-Initiative ab.

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