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Unerwartet grosse Veränderungen

Keystone

Für Politologen ist das Resultat der Eidgenössischen Parlamentswahlen vom Sonntag nicht überraschend. Das Ausmass der Veränderungen allerdings hat niemand so hoch erwartet.

Die Experten rechnen damit, dass das Ergebnis der Wahl nach den scharfen Kritiken am Wahlkampf aus dem Ausland das Image der Schweiz nicht stark beeinträchtigen wird.

Die Sozialdemokratische Partei (SP) musste in vielen Schweizer Kantonen Federn lassen.

Auch die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) hat relativ viele Sitze verloren.

Dies zu Gunsten der beiden Parteien an den politischen Flügeln, rechts die Schweizerische Volkspartei (SVP) und links die Grüne Partei.

Für die Politologin Regula Stämpfli ist dieses Resultat nicht überraschend, das Ausmass aber schon. «Die SVP schafft es, aus allem einen Vorteil zu machen, ob Geheimpläne oder Komplott; das ist das Faszinierende an dieser Partei», sagte sie nach der ersten Hochrechnung gegenüber swissinfo.

Politologe Wolf Linder hatte die Veränderungen ebenfalls erwartet. «Es ist die Fortsetzung der Wahlen 2003», sagte er. Doch auch er betonte: «Absolut überraschend ist der Verlust der SP.»

Lohnender Wahlkampf

Für die SVP, die vor allem im Feld der FDP zusätzliche Stimmen geholt hat, hat sich der zugespitzte Wahlkampf gelohnt. Das heisst, dass der bürgerliche Teil des Parlaments nun zu Gunsten der SVP neu geordnet wird.

Stämpfli: «Sie hat über 60 Sitze, ein Resultat, wie damals die staatstragende FDP 1919 bei der Einführung des Proporz-Wahlsystems erreicht hat. Das ist schon ein mächtiger Zuwachs.»

Die SVP hat es also den Umfragen vor den Wahlen zum Trotz geschafft, noch einmal über die Erwartungen hinaus zuzulegen. Dies sei grösstenteils der Medienkampagne zu verdanken, sagt Stämpfli. «Den anderen Parteien ist es nicht gelungen, eine Themenführerschaft zu übernehmen.»

Mitgeholfen beim Erfolg hat für Stämpfli auch die Berichterstattung der ausländischen Presse über den Wahlkampf. «Schweizer und Schweizerinnen mögen es gar nicht, wenn man mit dem Finger auf sie zeigt. Von dem hat die SVP auch profitieren können.»

Imagefrage

Die Wahltaktik der SVP, mit provokativen Plakaten auf Stimmenfang zu gehen, hatte in der ausländischen Presse zu teils harschen Kritiken geführt. Dass das Image der Schweiz aber unter dem Wahlresultat leiden könnte, glauben die Politologen nicht.

«Besser wird es sicher nicht», sagt Stämpfli. «Aber es ist klar, dass das Ausland sehr oft auch das schweizerische Regierungssystem nicht begreift in einer direkten Demokratie.»

Und Linder relativiert: «Dass der Wahlkampf insgesamt ruppiger geführt wurde, bedauern wir wohl auch in der Schweiz, aber wenn man die ausländischen Wahlkämpfe betrachtet, dann war das eher noch ein zahmer Wahlkampf.»

Kein Rechtsrutsch

Das Resultat werde einen grösseren Einfluss auf die Schweizer Politik haben, meint Regula Stämpfli.

«Knackpunkt bei einer so starken SVP wird die Schweiz und Europa bleiben. In anderen Dossiers werden Einigungen erzielt.»

Nun aber von einem Rechtsrutsch reden zu wollen, den die ausländische Presse erwartet hatte, wäre übertrieben. «Nein, den hat es nicht gegeben», sagt Stämpfli.

Das Parlament habe sich leicht nach rechts verschoben, sagt Wolf Linder: «Im Parlament wird es allerdings nach wie vor drei Kräfte geben. Es braucht also mindestens zwei dieser Kräfte, um zu guten Resultaten zu kommen. Die Schweiz wird also weiterhin Konkordanz pflegen müssen.»

Clive Church, emeritierter Professor an der englischen Universität Kent, vermutet, dass eine härtere Linie gegenüber der EU Konsequenzen für die Schweiz haben könnte. «Es wird die EU nicht ermutigen, weiter an Illusionen über einen Beitritt der Schweiz zu hängen», sagte er gegenüber swissinfo.

In Zukunft könnte es viel schwieriger werden, die Schweizer Methoden mit jenen der EU in Einklang zu bringen, glaubt Church.

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Drohung gegen Blocher kontraproduktiv

Die SP hat das Problem, dass die Grünen im gleichen Teich nach Stimmen fischen und somit der Partei einige Sitze abnehmen konnte. Grund dürfte der Klimawandel sein, der einen Teil der SP-Wählerschaft bewegt hat, zu den Grünen zu wechseln.

Aber nicht nur dort orten die Politologen das Problem der SP: «Die Drohung der Abwahl von Bundesrat Blocher war in meinen Augen ein kapitaler Fehler», sagt Linder. «Das hat der Partei sehr geschadet.»

Und Stämpfli ergänzt: «Die Hausaufgaben wurden nach den grossen Verlusten im Kanton Zürich im Frühling nicht gemacht. Dort, wo die SP mit jungen, dynamischen Köpfen in die Politik eingetreten ist und nicht einfach mit einer Gegenkampagne zu Blocher, hat sie gepunktet.»

Auswirkungen auf Bundesrat

Umverteilungen hat es auch im linksliberalen Spektrum gegeben, wo die Grünliberalen drei Sitze holen konnten. Auffallend ist aber auch, dass die Mitte-Parteien FDP und Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) gemäss den Hochrechnungen genau gleich viele Sitze haben werden.

Für Stämpfli eine interessante Ausgangslage für die Bundesratswahlen vom kommenden 12. Dezember. «Da gibt es natürlich schon eine Auseinandersetzung. Und die CVP wird punkto Bundesratswahlen auch einiges anzumelden haben.»

Die Grünen, die angekündigt hatten, dass sie erst einen eigenen Sitz in der kleinen Parlamentskammer erobern möchten, bevor sie in der Landesregierung (Bundesrat) mitmachen würden. Mit dem Gewinn des Genfer Ständeratssitzes wäre diese Voraussetzung nun erfüllt.

Stämpfli erwartet dies aber nicht so bald. «Ich sage nur: Die Grünen werden ein Wort mitzureden haben bei der Bundesrats-Zusammensetzung. Aber nicht unbedingt als Kandidaten.»

Dennoch sei bei diesen Wahlen klar geworden: «Auf die Grünen wird gehört werden müssen – stärker als vorher.»

swissinfo, Christian Raaflaub

Parteienstärken:

Schweizerische Volkspartei: 29% (+2,3% gegenüber 2003)
Sozialdemokratische Partei: 19,5% (-3,8%)
Freisinnig-Demokratische Partei: 15,6% (-1,7%)
Christlichdemokratische Partei: 14,6% (+0,2%)
Grüne Schweiz: 9,6% (+1,7%)

Sitze:

Schweizerische Volkspartei: 62 (+7)
Sozialdemokratische Partei: 43 (-9)
Freisinnig-Demokratische Partei: 31 (-5)
Christlichdemokratische Partei: 31 (+3)
Grüne Schweiz: 20 (+6)

Die Stimmbeteiligung betrug 48% (2003: 45,2%)

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