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UNO rügt erneut Schweizer Asylpolitik

Laut UNHCR gehören einzelne Bestimmungen im Schweizer Asylgesetz zu den restriktivsten in ganz Europa. Keystone

Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge hat erneut seiner "ernsthaften Besorgnis" über die Verschärfung des Asylgesetzes in der Schweiz Ausdruck gegeben.

Wie zuvor der Ständerat hat der Nationalrat die Zwangs-Massnahmen im Asylrecht verstärkt. Das links-grüne Lager kündigte deshalb das Referendum an.

«Wir sind enttäuscht. Obwohl die Zahl von Asylgesuchen in der Schweiz in den letzten Jahren stetig abgenommen hat, wird jetzt eine neue, restriktive Gesetzgebung angenommen, die wirklichen Flüchtlingen den Zugang zum Asyl extrem erschwert», erklärte der Sprecher des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR), Ron Redmond, am Dienstag in Genf.

2004 haben dem UNHCR zufolge 14’000 Menschen in der Schweiz einen Asylantrag eingereicht, 32% weniger als 2003. In diesem Jahr wurden bislang 4700 Gesuche eingereicht, das sind 44% weniger als in der selben Periode des Vorjahres.

«Wir haben uns wiederholt ernsthaft besorgt erklärt über bestimmte Artikel im neuen Schweizer Asylrecht», so Redmond weiter.

Identität nachweisen

Das UNHCR ist hauptsächlich darüber besorgt, dass Flüchtlinge künftig nur Asyl erhalten, wenn sie ihre Identität mit gültigen Dokumenten nachweisen können. Viele von ihnen hätten vor ihrer Flucht jedoch nicht die Möglichkeit, solche Papiere anzufordern, rief Redmond in Erinnerung.

Das UNHCR fordert die Schweiz dazu auf, diesen Artikel in jedem Fall individuell zu beurteilen, wie es die UNO-Konvention von 1951 fordert.

«Wir stehen stets im Kontakt mit dem Bundesamt für Migration, zu dem wir gute Beziehungen unterhalten. Wir werden darauf achten, dass jeder Fall individuell und entsprechend den Vorgaben der UNO-Konvention behandelt wird», erklärte Hans Lunshof, Chef der für die Schweiz zuständigen Abteilung beim UNHCR, gegenüber swissinfo.

Unter den restriktivsten Bestimmungen Europas

«Die Konvention selbst anerkennt den Umstand, dass Flüchtlinge möglicherweise keine Papiere vorweisen können und es sich dabei um keine aussergewöhnliche Situation handelt», so Redmond. Das Recht, Asyl zu beantragen und zu erhalten, sei ein universelles Menschenrecht. «Die Bestimmung im Schweizer Asylgesetz gehört zu den restriktivsten in Europa.»

Das UNHCR bedauerte weiter, dass der Vorschlag für einen ergänzenden Schutz von Personen, die zwar kein Asyl erhalten, aber dennoch auf internationalen Schutz angewiesen sind, nicht beibehalten wurde. Damit wäre die Schweizer Gesetzgebung näher bei jener der EU gewesen, führt die UNO-Organisation aus.

Gewaltflüchtlinge brauchen Schutz

Sorgen machte man sich beim UNHCR nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Behandlung von Gewaltflüchtlingen. «Wir sind besorgt, dass das Statut der humanitären Aufnahme aus dem Gesetz gestrichen werden soll. In Tat und Wahrheit flohen in den vergangenen Jahren viele Menschen aus Regionen, die in Gewalt versanken», so Hans Lunshof.

Und führt das Beispiel Bosnien-Herzegowina auf. «Oft wurden diese Menschen zwar nicht im Sinne der Konvention von 1951 individuell verfolgt, sie waren aber auf internationalen Schutz angewiesen und konnten nicht in ihre Heimatstaaten zurückgeschickt werden», sagte Hans Lunshof weiter.

Das UNHCR werde mit den eidgenössischen Behörden weiter darauf hinarbeiten, dass die Schweiz in der Asylrechts-Frage mindestens die selben Minimalstandards anwende wie sie in der entsprechenden EU-Direktive von 2004 festgelegt seien.

Empörung auch bei anderen Hilfswerken

Auch andere Hilfswerke und Menschenrechts-Organisationen haben mit harter Kritik auf die Verschärfungen des Asylgesetzes reagiert. Für Amnesty International (AI) und die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) ist das Gesetz inakzeptabel und ein Referendum dagegen unausweichlich.

Das neue Gesetz opfere den Schutz verfolgter Menschen der unverhältnismässigen Bekämpfung von Missbräuchen, schreibt die SFH. Der Nationalrat habe mit der humanitären Tradition der Schweiz «gründlich aufgeräumt», heisst es in ihrem Communiqué.

Flüchtlingskonvention verletzt

Erhielten Flüchtlinge ohne Papiere kein Asyl mehr, verletze dies die UNO-Flüchtlingskonvention. Ohne Sozialhilfe für Abgewiesene würden auch Familien mit kleinen Kindern, Schwangere und ältere Menschen auf die Strasse gestellt. Dies könne die Kinderrechts-Konvention und die Europäische Menschenrechts-Konvention verletzen.

Das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH) befürchtet, dass mit der Streichung der Sozialhilfe für Abgewiesene eine neue Klasse von Sans-Papiers entsteht. Justizminister Christoph Blocher schaffe auf diesem Weg «Schein-Nichtasylanten».

Für Amnesty gilt es, «diese schockierende Entwicklung in einem Staat zu bekämpfen, der sonst keine Gelegenheit auslässt, laut und deutlich sein Engagement für das Völkerrecht zu betonen», wie es in ihrem Communiqué heisst.

Aufrufe zum Referendum

«Wie befürchtet, opfert eine parlamentarische Mehrheit aus Vertreterinnen und Vertretern der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) und der Schweizerischen Volkspartei (SVP) ohne Not die humanitäre Tradition der Schweiz», bedauerte die Fraktionspräsidentin der Sozialdemokratischen Partei (SP), Hildegard Fässler, die Verschärfungen im Asylgesetz.

Die Grünen kündigten zusammen mit der SP, Kirchen sowie Flüchtlings- und Menschenrechts-Organisationen das Referendum gegen das Asylgesetz an. Auch AI rief in ihrem Communiqué ruft zur breiten Koalition von Nichtregierungs-Organisationen (NGO) und Bürgern auf, um die Revision des Asylgesetzes mit einem Referendum zu bekämpfen.

Die fünf in der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zusammengeschlossenen Hilfswerke werden bis spätestens zur Schlussabstimmung über ein Referendum entscheiden.

Das SAH, das zu diesem Verbund gehört, hält ein Referendum für nötig. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund, der wie weitere kirchlichen Organisationen die Verschärfungen im Vorfeld kritisiert hatte, wird voraussichtlich kein Referendum lancieren, sich aber vor einer Abstimmung zu Wort melden, wie es auf Anfrage hiess.

swissinfo und Agenturen

Die Beschlüsse des Nationalrats zur Teilrevision des Asylgesetzes vom Montag und Dienstag:
Er verzichtete auf die humanitäre Aufnahme,

befürwortete den Zwang für Asylsuchende, ihre Identität nachzuweisen,

bekräftigte den Sozialhilfestopp,

lehnte einen Entzug der Nothilfe ab,

verdoppelte die Vorbereitungshaft auf max. 6 Monate und die Ausschaffungshaft auf max. 18 Monate,

stimmte der Durchsetzungshaft zu, mit der die rechtskräftig angeordnete Ausreise erzwungen werden soll.

Die Vorlage geht mit drei Differenzen an den Ständerat zurück.

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