Unterwegs für Menschenrechte
Gewaltsame Übergriffe auf die Zivilbevölkerung in Konfliktgebieten durch internationale Präsenz verhindern: Das ist das Ziel von Peace Watch Switzerland.
Eine junge Schweizerin hat für die Organisation eineinhalb Monate als Beobachterin in der mexikanischen Konfliktregion Chiapas gearbeitet. swissinfo hat mit ihr gesprochen.
«Weil ich mich sehr für internationales Recht interessiere und Jura studiere, wollte ich in den Semesterferien etwas Praktisches machen, als Ausgleich zum sehr theoretischen Studium», sagt die 24-jährige Seraina Nufer.
Da kamen der Zürcher Studentin die Einsätze als internationale Beobachter in Chiapas, Mexiko, gerade recht, welche die Nichtregierungs-Organisation (NGO) Peace Watch Switzerland (PWS) organisiert.
Vorbereitung
PWS informierte die künftigen Beobachter über den Hintergrund des Konfliktes im mexikanischen Bundesstaat Chiapas, wo die Zapatisten seit 1994 für die Rechte und die Entwicklung der indigenen Bevölkerung und mehr Autonomie kämpfen.
«Wir sprachen auch über unsere konkreten Aufgaben vor Ort und mögliche Situationen, die wir dort antreffen könnten», so Seraina Nufer.
Dass es beim Aufstand der Zapatisten teilweise zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen gekommen und die Lage in Chiapas auch heute nicht ungefährlich ist, liess die junge Studentin nicht von ihrem Einsatz abbringen.
«Ich hatte schon etwas Bedenken und Respekt vor der Situation, vor allem vor der Abreise nach Mexiko. Aber da man dort von der lokalen Menschenrechts-Organisation zugeteilt wird, können wir darauf vertrauen, dass diese uns nicht an einen für uns zu gefährlichen Ort schickt.»
Beginn der Mission
In Mexiko meldete sich Seraina Nufer bei der lokalen Menschenrechts- und Partnerorganisation von PWS in San Cristobal de las Casas. Dort gab es eine Einführung für alle Freiwilligen aus verschiedenen Ländern über den Einsatz und den Konflikt in Chiapas.
«Anschliessend wurden wir in Gruppen eingeteilt und gingen einkaufen. Das Essen muss für etwa zwei Wochen selbst mitgenommen werden – Reis, Teigwaren, Bohnen. Von der Dorfbevölkerung erhält man Tortillas und Brennholz.»
Das Dorf
Die Zürcher Studentin zog mit einer Spanierin und einem Spanier ins Dorf Nuevo Rosario. «Als erstes besichtigten wir unser neues Zuhause: zwei einfache Holzhütten auf einem Maisfeld, die eine als Schlafraum, die andere als Küche. Daneben eine kleine Latrine.»
Dann der Kontakt zur Dorfbevölkerung. «Der Dorfverantwortliche schilderte uns Geschichte und aktuelle Situation. In Nuevo Rosario sind alle ganz klar auf der Seite der Zapatisten. In dem Dorf, das erst seit vier Jahren existiert, leben nur sieben Familien.»
Der Konflikt
Es gibt einen Konflikt mit dem regierungstreuen Nachbardorf Jerusalén. Grundproblem: Streit über den Verlauf der Grenze zwischen den beiden Dörfern.
«Die Leute aus Jerusalén zerstörten immer wieder Felder des Nachbardorfes, brannten sie ab, raubten Geräte und entführten sogar jemanden. Sie schickten ihr Vieh auf die Maisfelder von Nuevo Rosario, die so niedergetrampelt wurden», erzählt Seraina Nufer. Darum sind seit Februar 2007 Beobachter dort.»
Der Arbeitstag
«Wir hatten eigentlich keine konkrete ‹Arbeit›. Wir mussten ja nicht eine Schule bauen, sondern nur beobachten. Zuerst sassen wir vor unserer Hütte und sahen das Maisfeld vor uns. Dann gingen wir bei den Leuten vorbei, redeten ein bisschen mit ihnen.»
Ein Fluss verläuft zwischen den beiden Dörfern. «Sie wollten, dass wir uns dort zeigen, damit die anderen sehen: Es sind immer noch internationale Beobachter hier. Wir spielten mit Kindern, lasen, schrieben viel.»
Allzu enge Beziehungen zur Dorfbevölkerung seien nicht entstanden in dieser kurzen Zeit. «Vielleicht ist das auch nicht schlecht, sonst würde einem der Abschied schwerer fallen.»
Grauzone
Bei ihrem Einsatz in Chiapas erlebte die junge Schweizer Studentin keine offenen Konflikte. «Das einzige, was einem auffällt, wenn man unterwegs ist, sind die vielen Militärfahrzeuge der mexikanischen Armee. Belästigt wurden wir von den Militärs aber nie.»
Die Menschenrechts-Organisationen bewegen sich in einer Art Grauzone: Sie werden von der mexikanischen Regierung geduldet, dürfen sich aber nicht einmischen.
«In ‹meinem› Dorf Nuevo Rosario gab es dank der Präsenz der internationalen Beobachter keine feindlichen Aktionen mehr aus dem Nachbardorf Jerusalén.» Deshalb würden die Einsätze vorläufig fortgesetzt.
«Während meiner Zeit hat es aber in einigen Dörfern militärische Zwangsräumungen durch die Regierung gegeben. Dort waren keine Beobachter», sagt Seraina Nufer.
Lösung des Konfliktes nicht in Sicht
Nach ihrem Einsatz, der vom 29. Juli bis 11. September dauerte, kommt die Schweizer Jura-Studentin zum Schluss, dass eine Lösung des Konfliktes in Chiapas derzeit nicht in Sicht ist.
«Es ist eine sehr schwierige Situation, die sich für die indigene Bevölkerung seit dem Aufstand der Zapatisten 1994 nicht konkret verändert hat. Deshalb braucht es eine andere Lösung, eine Zusammenarbeit zwischen Regierung und Zapatisten.»
Die wirtschaftliche Lage in Chiapas ist schlecht. «Aber die Leute beklagen sich nicht über ihre Armut. Sie wollen einfach die Freiheit, ihr Land zu bebauen.»
Ganz anders die mexikanische Regierung. Seraina Nufer: «Für sie haben die Indigenen das Land besetzt. Deshalb organisiert sie militärisch deren Umsiedlung und beschlagnahmt deren Land, oft auch ganze Dörfer. Davon profitieren oft grosse Unternehmen, die diese Gebiete einnehmen.»
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
Peace Watch Switzerland (PWS) entsendet freiwillige Beobachter und Beobachterinnen aus der Schweiz für zwei oder drei Monate zur Begleitung von Dorfgemeinschaften in Konfliktgebiete.
Das Ziel ist es, durch die internationale Präsenz einen Beitrag zur Verhinderung gewalttätiger Übergriffe auf die Zivilbevölkerung zu leisten.
Die drei Projekt-Regionen sind Guatemala, Chiapas (Mexiko) und Palästina/Israel.
Der Bundesstaat Chiapas befindet sich im Südosten Mexikos. Im Norden grenzt er an den Bundesstaat Tabasco, im Süden an den Pazifischen Ozean, im Osten an Guatemala und im Westen an die Bundesstaaten Veracruz und Oaxaca.
Chiapas ist 75’634 km² gross und weist eine der grössten Arten- und Naturvielfalten der Welt auf. In Chiapas liegen bedeutende Maya-Ruinenstätten.
Der Staat hat etwa 4 Millionen Einwohner. Davon sind ca. 1 Million indigener Abstammung, von denen rund 250’000 kaum Spanisch sprechen.
Chiapas ist einer der ärmsten Bundesstaaten Mexikos. 1994 wurde der Name Chiapas durch den Aufstand der Zapatisten auf der ganzen Welt wahrgenommen. Die Zapatisten, die sich in der EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional) zusammengeschlossen haben, kämpfen für die Rechte und die Entwicklung der indigenen Bevölkerung und gegen die Folgen der neoliberalen Globalisierung.
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