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Urbaner Vormarsch von Rot-Grün

Das Basler Rathaus: Nun auch innen Rot. Keystone

Seit Sonntag befinden sich die fünf grössten Schweizer Städte in rot-grüner Hand: Basel ist rot-grün geworden und Bern ist es geblieben.

Politologen bezweifeln, dass allein die sozial Schwachen für den Wahlerfolg der Linken verantwortlich sind.

«Das Stimmvolk traut den rot-grünen Parteien zu, aktuelle politischen Probleme wie Drogen, Überalterung, Alleinerziehende am besten lösen zu können», sagt der Politologe Werner Seitz, Sektionschef im Bundesamt für Statistik BfS, gegenüber swissinfo.

«Und diese Probleme konzentrieren sich eben verschärft auf die grösseren Städte», sagt Seitz weiter. Dies ist seine Haupterklärung für den rot-grünen Wahlerfolg von Basel und Bern nach Genf, Lausanne und Zürich.

Starker Druck nach Rechts fördert Links

Die Schweizerische Volkspartei SVP übt laut Seitz auf das bürgerliche Lager einen starken Druck nach rechts aus. Dies irritiere die anderen bürgerlichen Parteien, sie zögen dann zum Teil mit. «Dadurch, habe ich das Gefühl, wird die politische Mitte so etwas wie heimatlos», erklärt Seitz. «Und so hat eben Rot-Grün diese Mitte besetzt.»

Gerade in der Stadt Bern sehe man aber, dass liberale Bürgerliche sehr wohl Chancen hätten. Aber der politische Kurs der Bürgerlichen unter dem Einfluss der SVP zeige nach rechts aussen, so Seitz weiter. «Und dadurch öffnen sie eigentlich die Türen für eine rot-grüne Mehrheit.»

Seitz erklärt, in den grösseren Städten bestünde immer ein rechtes Segment. Er denkt da an Bern-Bümplitz. «Dort waren häufig Arbeiterquartiere, die sich von den Sozialdemokraten abgekoppelt hatten oder die von der Linken fallen gelassen worden sind.»

Die Menschen in den Arbeiterquartieren setzten sich darauf ab zu den Schweizer Demokraten, der SVP oder Freiheitspartei. «Aber eine solche Position ist nicht mehrheitsfähig, das ist ein Wähler-Segment von 20-30%», so Seitz.

Und wenn sich nun der ganze Bürgerblock nur auf diese Wähler stürze, habe er natürlich keine Chance, meint Seitz, «Damit gewinnt man keine Wahlen.»

Urbaner Röstigraben?

Die Linken und Grünen stehen in den grösseren Städten zudem für ein neues, modernes Gesellschaftssystem. Sie stehen in den Städten für Progressivität und Offenheit. Und so identifizieren sich auch viele Wähler aus wohlhabenden Stadtquartieren und wählen Links-Grün.

In den kleineren Städten in der Schweiz ist der Trend in Richtung Rot-Grün nicht sichtbar. So war am Sonntag nicht nur in Burgdorf oder Rorschach ein schwarzer Tag für die Linke. Seitz: «Die kleinen Städte haben eben nicht dieselben Probleme wie die grossen. Bei kleineren Städten ist eher ein Rechtstrend zu verzeichnen.»

In den letzten Abstimmungen haben die grossen Deutschschweizer Städte fast gleich wie die Romandie votiert. Entwickelt sich da etwa ein urbaner Röstigraben? Politologe Seitz meint dazu: «Das Deutschschweizer Land ist die Hochburg der SVP und des Nein-Sagens.»

Imagewechsel

Vielerorts haben die Linken und Grünen immer noch das Image, zuviel Geld auszugeben und die Steuern zu erhöhen. Auf Gemeindeebene entspricht dieses Bild jedoch nicht mehr der Realität.

«In der Stadt Bern hat die grüne Finanzdirektorin Therese Frösch die Finanzen wieder einigermassen ins Lot gebracht, auch Stellen abgebaut, jedoch nicht via Massenentlassungen sondern auf verträgliche Art», so Seitz.

Rot-Grün mache den Stellenabbau sozialverträglicher, da gute Kontakte zu Verbänden und Gewerkschaft bestünden.

Linke und Grüne scheinen in der Lage zu sein, eine bodenständige Real-Politik zu betreiben, wenn sie an der Macht sind.

«Und so ist da halt ein Unterschied, ob man im Bundesparlament sitzt, oder man in seiner Stadt selbst zum Rechten schauen muss», ist Werner Seitz überzeugt.

swissinfo, Etienne Strebel

Die rot-grünen Städte Bern, Genf und Zürich haben in den letzten Jahren ihre Steuern gesenkt, in Basel blieb die Belastung jedoch gleich hoch.
Zürich hat seine Nettoschulden zwischen 2000 und 2003 um mehr als einen Drittel abgebaut. Gleichzeitig wurde auch der Steuerfuss um 8 auf 122% gesenkt.
In den neunziger Jahren reihte sich in der Stadt Bern ein Defizit an das andere – verursacht von bürgerlichen Regierungen. Das Rot-Grüne Bündnis präsentierte mit der Gemeinderechnung 2003 zum vierten Mal in Folge ein ausgeglichenes Ergebnis.

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