Von den USA bis in die Schweiz: Wie die Fleischlobby uns beeinflusst
Kann man noch guten Gewissens Fleisch essen, wenn man beschuldigt wird, die Gesundheit und den Planeten zu gefährden? Die Fleischlobby, über welche die Fernsehsendung "Temps Présent" recherchiert hat, verteidigt sich gegen die Kritik mit umstrittenen Argumenten. Sie spielt dabei besonders die Rolle der Viehzucht bei der Klimaerwärmung herunter.
Zunächst: Wer ist die Fleischlobby? Auf den ersten Blick sind es nur zwei Parlamentarier, die mit den beiden wichtigsten Dachverbänden der Branche zu tun haben: Proviande, der die grossen Produzenten und Detailhändler wie Migros oder Coop vereint, und der Schweizer Fleisch-Fachverband (SFF), der eher politische Arm der Fleischbranche.
Eine Untersuchung der Sendung «Temps Présent» des Westschweizer Fernsehens RTS zeigt jedoch weitaus mehr Interessenverflechtungen.
Anhand der online verfügbaren Daten wurde ein dichtes Netzwerk zwischen 27 landwirtschaftlichen Organisationen und Unternehmen, besonders aus dem Bereich der Fleischproduktion, und 16 Parlamentarierinnen und Parlamentariern aufgedeckt. Zu zwei weiteren Personen im Parlament bestehen indirekte Verbindungen.
Zehn Milliarden Umsatz
«Ja, die Fleischbranche ist in Bern gut vertreten», sagt Mike Egger, Nationalrat der Schweizerischen Volkspartei (SVP) aus St. Gallen und Mitglied des Netzwerks. Er ist Projektleiter bei Micarna, das zur Migros gehört.
«Ich verstehe die Verteufelung von Fleisch überhaupt nicht. Es ist ein sehr gesundes Nahrungsmittel, das wichtige Nährstoffe enthält. Und in der Schweiz leistet die Landwirtschaft, besonders die Viehzucht, hervorragende Arbeit in Sachen Nachhaltigkeit», sagt er.
Die Fleischbranche setzt jährlich zehn Milliarden Franken um und bietet Tausende von Arbeitsplätzen. Egger ist deshalb nicht begeistert von der neuen Klimastrategie des Bundes. Denn sie zielt auf eine Reduktion der Fleischproduktion ab.
Die im September 2023 veröffentlichte Strategie will die Schweizer Bäuerinnen und Bauern unter anderem mit Direktzahlungen dazu bringen, mehr pflanzliche Eiweisse zu produzieren.
«Wir werden diese Strategie zur Kenntnis nehmen und prüfen», sagt Egger. «Wir werden sicher darüber diskutieren, aber ich bin zuversichtlich: Die Forderungen dieser Strategie werden keine grossen Auswirkungen haben, denn letztlich wollen wir eine produktive Landwirtschaft. Dafür setze ich mich ein.»
Beispiel Klima
Die Fleischlobby hat eine schlagkräftige Kommunikationsstrategie entwickelt, um die Rolle der Viehwirtschaft beim Klimawandel herunterzuspielen und die Schlussfolgerungen internationaler Fachleute in Frage zu stellen.
Sie verbreitet ihre Argumente durch gesponserte Artikel, etwa in der Sonntagszeitung «Le Matin Dimanche», in dem es heisst: «Der Weltklimarat (IPCC) ist kürzlich zum Schluss gekommen, dass der aktuelle Algorithmus zur Berechnung der Treibhausgasemissionen zu einer massiven Überschätzung der Temperaturentwicklung auf der Erde führt.»
«Hier handelt es sich ganz klar um Desinformation, denn wir haben es mit völlig falschen Fakten und sogar Lügen zu tun», kritisiert die Klimaforscherin und ehemalige Nationalrätin der Grünen, Valentine Python.
«Man legt einer wissenschaftlichen Organisation, in diesem Fall dem IPCC, nicht nur Aussagen in den Mund, die sie nicht gemacht hat, sondern lässt sie das genaue Gegenteil behaupten. Wir haben es hier also eindeutig mit einer Verleugnung der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu tun.»
Fünf Millionen Dollar investigiert
Der Schweizerische Bauernverband (SBV) zitiert in einem Video auf seiner Website auch den amerikanischen Lufthygiene-Experten Frank Mitloehner, um die Rolle der Tierhaltung bei der Klimaerwärmung herunterzuspielen. Dieser Wissenschaftler steht der mächtigen amerikanischen Fleischindustrie nahe.
«Die Fleischindustrie hat mehr als fünf Millionen Dollar in das für ihn gegründete Forschungszentrum ‹Clear Center› an der Universität von Kalifornien investiert», sagt Jennifer Jacquet, Professorin für Umweltpolitik an der Universität von Miami.
«Was ich sehr interessant finde, ist, dass er dort keine Klimaausbildung anbietet und über die Zyklen der Erde, Emissionen und Methan spricht, als wäre er ein Treibhausgas-Guru. Sein Ziel ist es, die Fleisch- und Milchindustrie zu verteidigen», so Jacquet.
Wie kommt dieser umstrittene Experte in ein Video des SBV? «Ich kann mich nicht in seine Lage versetzen. Ich kann die Frage der Finanzierung dieses Professors oder andere Fragen nicht beurteilen», antwortet Michel Darbellay, Mitglied der Geschäftsleitung des SBV.
«Die Tierhaltung und auch der Fleischkonsum werden heute zu oft stigmatisiert. Für uns ist es wichtig, die Fakten richtigzustellen und uns auf wissenschaftliche Grundlagen abstützen zu können, damit wir unsere Verantwortung wahrnehmen können», sagt Darbellay.
«Wir haben uns auch auf einzelne Forschende gestützt, die uns Orientierung geben konnten. Und es gibt auf internationaler Ebene neue Erkenntnisse, um die Auswirkungen von Methan auf das Klima besser einschätzen zu können.»
Europäische Projekte werden ausgebremst
In der Schweiz stellt auch ein Kollege von Frank Mitloehner den Einfluss der Tierhaltung auf die Klimaerwärmung in Frage.
Peer Ederer, ein im sankt-gallischen Rapperswil ansässiger Berater für die Lebensmittelindustrie, ist Mitverfasser der Dubliner Erklärung, eines Ende 2022 veröffentlichten internationalen Aufrufs zur Verteidigung der Tierhaltung für die Welternährung. «Eine Minderheit von Forschenden hat ihre Anti-Fleisch- und Anti-Zucht-Positionen durchgesetzt», sagt Ederer.
«Wir glauben, dass die Mehrheit der Wissenschaft nicht mit ihnen übereinstimmt. Mit der Dubliner Erklärung haben wir ihnen die Möglichkeit gegeben, ihre Ansichten über die Rolle der Tierhaltung in der Gesellschaft zu äussern», sagt er.
«In allen wichtigen politischen Hauptstädten der Welt, sicherlich in Brüssel, sicherlich in Berlin, in Washington, in Canberra in Australien, sind die zuständigen Ministerien über die Dubliner Erklärung informiert. Das ist ein Erfolg», so der Berater.
«Die Erklärung sagt nichts über die Auswirkungen auf Gesundheit, Klima oder Umwelt», sagt Camille Perrin, Expertin für Agrarpolitik bei BEUC, der grössten europäischen Konsumorganisation mit Sitz in Brüssel.
«Sie wurde benutzt, um Zweifel am bestehenden Konsens über die Auswirkungen unseres Fleischkonsums zu wecken und um Politikerinnen und Politikern, die sich ehrgeizigen Umweltstrategien widersetzen wollten, Munition zu liefern.»
Tatsächlich hat die Erklärung dazu beigetragen, dass EU-Projekte zur Reduzierung des Fleischkonsums ausgesetzt oder gestoppt wurden.
In der Schweiz ist es gut möglich, dass die Klimastrategie des Bundes auch im Parlament scheitert.
Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub
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