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Von der «Hölle» in die «heile Welt»

Sher Zaman auf Besuch in Bern. swissinfo.ch

Der pakistanische Menschenrechts-Experte Sher Zaman hat in seinen Ferien auf einer Schweizer Alp Kühe geweidet und Käse gemacht. Während viele seiner Landsleute die Schweiz für das schönste Land Europas halten, sorgt seine Heimat für negative Schlagzeilen.

Mal Pause machen und Abstand gewinnen vom anstrengenden Alltag wollte der 40-jährige Paschtune aus Peschawar, einer Stadt im Nordwesten Pakistans.

Seit fünf Jahren arbeitet Sher Zaman für die Fairtrade-Organisation «Step». Er reist durch die Provinzen, besucht Familien und Fabriken, die Teppiche herstellen, kontrolliert die Arbeitsbedingungen, gibt Anstösse zu Verbesserungen.

Diesen Sommer verbrachte er ein paar Wochen in der Schweiz. Zaman wollte aber nicht einfach Ferien machen, sondern Einblick in die hiesige Arbeitswelt gewinnen und Neues kennenlernen.

Er arbeitete als Handlanger auf einer Berner Baustelle, verrichtete Malerarbeiten, strich Türen, erledigte Schreinerarbeiten. Ganz besonders gefallen haben ihm die zehn Tage auf der Alp Kalberhöni ob Saanen im Berner-Oberland. Er gerät regelrecht ins Schwärmen.

«Frühmorgens brachte ich die Kühe vom Wald in den Stall zum Melken, dann hackte ich Holz, wusch den Käse im Keller, half beim Butter und Käse machen, schnitt Gras, mistete den Stall. Nach dem Nachtessen, so um 21 Uhr, sank ich ins Bett und schlief wie ein Stein.»

Bergidylle

Zehn Tage lang weder TV, Mobiltelefon, noch Computer, keine Sitzungen, keine Rapporte schreiben, kein Coca-Cola – nur Käse, Milch, Butter, Brot und frisches, eigenes Gemüse. Dazu die körperliche Arbeit und frische Bergluft. «Das hat mir gut getan.» Die Arbeit sei sehr befriedigend und produktiv gewesen. «Mit meiner Hilfe entstanden Käse und Butter, und die Kühe frassen das Gras, das ich geschnitten hatte.»

Die Kommunikation mit der Älpler-Familie von Willy Bach lief auf Englisch. Wenn nötig, wurde ein Wörterbuch beigezogen. Zaman lernte auch ein paar Brocken Berndeutsch: «Stall, guete Morge, guet Nacht, ä Guete.»

Auch der Umgang mit den Kühen musste gelernt sein. «Zu Beginn hatte ich Angst, wenn sie mich anglotzten, ohne sich zu bewegen, diese Viecher mit ihren riesigen Hörnern. Nach zwei Tagen wurden sie mir vertraut und ich kraulte sie auch. Ein paar kannte ich mit Namen. Da sie meine Sprache nicht verstanden, lernte ich ‹chum, chum› zu sagen.»

Obwohl auch in Pakistan Käse hergestellt wird, weiss Sher Zaman wenig darüber. «Die Zeit auf der Alp hat mein Interesse geweckt. Wenn ich zurück bin, möchte ich herausfinden, wie die pakistanischen Bauern Käse machen.»

Krasse Gegensätze

In Zamans Heimat kennt man die gängigen Schweizer Klischees wie die schönen Berge, den Käse und die Schokolade. «Für viele ist die Schweiz das schönste Land Europas. Und fast alle Pakistani träumen davon, einmal dorthin zu reisen.»

Umgekehrt läuft es anders: Negativ-Schlagzeilen aus Pakistan sind an der Tagesordnung. «Im Westen liest man fast ausschliesslich über Bombenanschläge, Korruption, politische Unruhen, Machtkämpfe», sagt der Gast. Das macht ihm zu schaffen, denn sein Land habe auch gute Seiten, und die Pakistani seien in der Regel freundliche Menschen mit einer grossen Gastfreundschaft. Dass auch pakistanische Sportler an den Olympischen Spielen dabei waren, habe man kaum wahrgenommen in der Welt. «Good News sind leider no News».

Zaman liebt sein Land. Für ihn stand es nie zur Debatte, als politisch unbequemer Menschenrechtler im Ausland Asyl zu beantragen. «Was wäre aus meiner Familie, meinen Freunden und all den Leuten geworden, mit denen ich verbunden bin? Ich will für meine Heimat arbeiten, sie braucht mich.»

Das momentane Bild seiner Heimat ist düster: Demokratische Kultur und politischer Dialog sind den Menschen weitgehend fremd. In den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan sind die Taliban im Aufwind, sie geben den Menschen Essen und versprechen ihnen den «Himmel nach dem Leben auf der Erde».

Gewehre statt Bildung und Arbeit

Kein Wunder, habe der religiöse Extremismus zugenommen, meint Sher Zaman: In diesen Gebieten gebe es keine Arbeit, keine einzige Universität und kaum Infrastruktur. Die Leute seien an den politischen Prozessen nicht beteiligt. «Das einzige, was ihnen bleibt, sind die Waffen, damit können sie umgehen. In der Schweiz spielen die Kinder Basketball und Fussball, bei uns in den Stammesgebieten mit Gewehren.»

Zaman kann weder bei den pakistanischen Führern noch der internationalen Gemeinschaft eine Vision oder klare Strategie erkennen, die aus dieser Gewaltspirale führen könnte. «Die USA geben viel Geld für Sicherheit und den Kampf gegen den Terrorismus in Pakistan aus. Sie trainieren unsere Soldaten im Umgang mit ausgeklügelten Waffen. Das ist mit Sicherheit nicht der richtige Weg und eine Bedrohung für die ganze Welt.»

swissinfo, Gaby Ochsenbein

Am Samstag, 6. September, hat das Parlament Asif Ali Zardari, den Witwer der ermordeten Regierungschefin Benazir Bhutto, zum Nachfolger des zurückgetretenen Präsidenten Pervez Muscharraf gewählt.

Zardari ist der Chef der Pakistanischen Volkspartei PPP, der stärksten Partei im Land.

In Pakistan leben rund 170 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner.

Der Paschtune lebt in Peschawar, Pakistan.

Der 40-Jährige hat in Bangkok, Thailand, Menschenrechte und Politikwissenschaften studiert.

Danach arbeitete er für verschiedene Nichtregierungs-Organisationen.

Seit 2003 ist er für das Fairtrade Label Step in Basel tätig. Er kontrolliert die Arbeitsbedingungen der Handteppichknüpfer in Pakistan und Afghanistan.

In Pakistan werden 70% der Teppiche in Heimarbeit hergestellt, 30% in kleinen Fabriken.

Sher Zaman hielt sich vom 2. August bis 1. September in der Schweiz auf. Er arbeitete auf einer Alp im Berner Oberland und als Hilfsarbeiter im Bausektor.

Die Fairtrade-Organisation engagiert sich seit 1995 für faire Bedingungen in Produktion und Handel von handgefertigten Teppichen.

Sie setzt sich ein für bessere Arbeitsbedingungen und faire Einkaufspreise, für umweltverträgliche Produktions-Methoden sowie gegen missbräuchliche Kinderarbeit.

Step ist ein Label der Max Havelaar-Stiftung.

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