Von Schangnau über Umwegen nach Quetta
Seit 40 Jahren engagiert sie sich für Flüchtlinge und Vertriebene: Die 73-jährige Elizabeth Neuenschwander aus dem hinteren Emmental.
Im pakistanischen Quetta baute sie Näh-Ateliers auf und gründete eine Schule für afghanische Flüchtlingskinder.
Die 73-jährige Elizabeth Neuenschwander wohnt in einer bescheidenen Zweizimmerwohnung in einem Hochhaus eines schmucklosen Berner Vororts – wie Tausende ihrer Altersgenossinnen.
Die auf den ersten Blick eher unauffällige ältere Frau hat Ausserordentliches geleistet und ein äusserst spannendes Leben geführt – und ihr Wirken ist noch nicht zu Ende.
Schon im Alter von 19 Jahren, nach dem Abschluss einer Lehre als Damenschneiderin, zog es die junge Emmentalerin in die Welt hinaus – nach Dänemark. «Ich habe mich schon immer für fremde Kulturen interessiert», sagte Elizabeth Neuenschwander im Gespräch mit swissinfo. Das sei damals untypisch gewesen für ein Mädchen, ihr Vater habe sie aber immer unterstützt.
Breite praktische Weiterbildung
Zurück in der Schweiz bildete sie sich stetig weiter: im textilen Werken, im Gartenbau, im Umgang mit schwer erziehbaren Kindern. Zudem absolvierte sie die Handels- und Hotelfachschule. Als Volontärin verrichtete die junge Frau Auslandeinsätze in Katastrophen- und Krisengebieten.
So kam es, dass die mutige Schangnauerin von ihren 73 Jahren weit mehr als die Hälfte im Ausland verbracht hat. «Wenn ein Vertrag auslief und ich in die Schweiz zurückkehren wollte, wurde ich wieder für ein neues Projekt angefragt. So verging die Zeit.»
Insgesamt war sie in rund 14 Ländern tätig, so in Jordanien, Algerien, Thailand, Israel, Nigeria, Indien, Nepal und seit über 20 Jahren in Pakistan. Sie stand im Dienst verschiedener Hilfswerke, wie dem IKRK, dem Kinderhilfswerk Unicef oder dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR.
Hilfe zu Selbsthilfe
1978 nahm die Arbeit mit Frauen im Pakistan ihren Anfang: Sie unterrichtete Flüchtlingsfrauen aus Afghanistan in Handarbeits-Techniken. Später baute sie, zusammen mit dem UNHCR und den «Catholic Relief Services», Nähateliers in Flüchtlingslagern auf.
Diese Nähkurse in der pakistanischen Provinz Belutschistan wurden ein voller Erfolg – und sind es noch heute. Es sei ihr wichtig, dass die Leute eine eigene Existenz aufbauen könnten, betont Neuenschwander.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten denn auch nach Abschluss eines mehrmonatigen Nähkurses eine Handnähmaschine und damit die Möglichkeit, sich selbständig zu machen.
Unterricht für Flüchtlingskinder
Elizabeth Neuenschwander gründete zudem vor knapp zehn Jahren in der pakistanischen Grenzstadt Quetta zusammen mit afghanischen Flüchtlingen eine Grundschule. Das Bedürfnis war gross. Besuchten in den Anfängen 150 Kinder die Schule, sind es heute knapp 800, die in 20 Klassen im Schichtbetrieb unterrichtet werden. Knaben und Mädchen lernen gemeinsam – mit Hilfe afghanischer Lehrkräfte.
Die Schweizerin eröffnete auch ein Zentrum, in dem Frauen Material für Stickerei-Arbeiten erhalten. Die Stickereien werden zu Blusen und Schals verarbeitet und unter anderem in der Schweiz verkauft.
Elizabeth Neuenschwander hat verschiedene politische Entwicklungen miterlebt: Den Einmarsch der Russen in Afghanistan, den Bürgerkrieg, das Taliban-Regime und nach dem 11. September 2001 die Bombardierungen der USA im kriegsversehrten Bergland. Immer hielt sie sich im pakistanischen Grenzgebiet auf und führte, unbeirrt von der Weltpolitik, ihre Arbeit fort.
Bescheiden dem Ziel entgegen
Offenbar verfügt die «gute Fee aus Quetta», wie man sie dort nennt, über eine geschickte Verhandlungstaktik, musste sie doch auch oft mit Männern verhandeln, damit diese ihre Frauen und Töchter an den Projekten teilnehmen liessen. «Es ist sicher gut, wenn man ein bisschen zurückhaltend ist und sich anpasst», so Elizabeth Neuenschwander.
1997 kehrte die Emmentalerin in die Schweiz zurück. Noch immer aber reist sie zweimal pro Jahr nach Quetta, um ihre Schüler und Frauen zu besuchen. Zu Hause fühlt sie sich an beiden Orten. «Wenn ich in Bern bin, dann bin ich hier zu Hause. Wenn ich in Quetta bin, dann bin ich dort zu Hause. Ich wechsle lediglich die Kleidung.»
«Es war ein gutes Leben»
Auch in der Schweiz ist der Tag der engagierten Frau aus Schangnau von morgens bis abends ausgefüllt: Sie hält Dia-Vorträge, verschickt afghanische Stickereien sowie Kalender und Kartensets mit Sujets, die sie selber fotografiert hat.
Ans Aufhören denkt Elizabeth Neuenschwander noch lange nicht – noch gibt es viel zu tun. Zufrieden und bescheiden schaut sie zurück: «Es war ein gutes Leben.»
swissinfo, Gaby Ochsenbein
1929 wird Elizabeth Neuenschwander in Schangnau geboren.
Mit 19 Jahren reist sie erstmals ins Ausland.
Sie war in 14 Ländern für verschiedene Organisationen tätig.
1986 starete sie in Pakistan Selbsthilfe-Projekte für Flüchtlinge.
1993 gründete sie in Quetta eine Schule für afganische Flüchtlingskinder.
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