Wahlbarometer: Das Ende der Polarisierung?
Seit den Wirren bei den Parlamentswahlen 2007 hat sich das Gleichgewicht zwischen den Parteien Mitte der Legislaturperiode nicht gross verändert. Laut dem Wahlbarometer der SRG SRR idée suisse ist die seit Jahren dauernde Polarisierungsphase aber vorbei.
Bei den letzten Parlamentswahlen 2007 ist es in der Parteienlandschaft zu ungewöhnlichen Veränderungen gekommen, für ein Land, das sich an Jahrzehnte lange Stabilität gewohnt war. Keine radikalen Veränderungen, aber dennoch von historischer Bedeutung, wie die Spaltung der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die daraus neu entstandene Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) oder die Fusion der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) mit den Liberalen.
Auch auf der Ebene des Bundesrates, der Landesregierung, kam es zu aussergewöhnlichen Veränderungen: Ein amtierender Bundesrat (Christoph Blocher, SVP) wurde nicht wiedergewählt, zwei Regierungsmitglieder wechselten die Partei (Eveline Widmer-Schlumpf und Samuel Schmid, von der SVP zur BDB), und erstmals in der Geschichte der Schweiz bestand die Landesregierung aus fünf Parteien.
Alle diese Veränderungen scheinen indessen keine grossen Spuren bei der Wählerschaft hinterlassen zu haben: Laut dem Wahlbarometer der SRG SSR idée suisse, im August vom Forschungsinstitut gfs.bern organisiert, hat sich das Gleichgewicht zwischen den Parteien in der Hälfte der Legislaturperiode, zwei Jahre nach den Parlamentswahlen 2007, kaum verändert.
Nur die SVP mit Verlusten
Die fünf grössten Parteien halten auch heute noch ihre Positionen: Die SVP bleibt mit 24,8% Wähleranteil (-4,1%) die stärkste politische Kraft in der Schweiz. Es folgen die Sozialdemokratische Partei (SP) mit 20,4% (+0,9%), die FDP mit 16,7% (+0,9%), die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) mit 15,3% (+0,8%), die Grüne Partei der Schweiz (GPS) mit 10,1% (+0,5%), die neue BDP mit 3,4% sowie die Grünliberalen mit 3,2% (+1,8%).
Aus diesen Zahlen geht hervor, dass die SVP die einzige Partei mit einem sinkenden Wähleranteil ist. Laut den Autoren der Umfrage ist dieser Wählerverlust nur zum Teil auf die Spaltung der SVP zurückzuführen, bei welcher der gemässigte Flügel der nationalkonservativen Partei austrat, was zur Gründung der BDP führte. Der Grund für den Wählerverlust sei eher eine derzeit schwache Mobilisierung der SVP-Wählerschaft, verglichen mit der Wahlkampagne 2007.
Trotz einer leichten Erhöhung ihres Wähleranteils befindet sich auch die FDP in einer regressiven Phase: 2007, vor der Fusion mit den Liberalen, hatten die beiden Parteien einen Wähleranteil von 17,7%. Auf Seiten der Gewinner haben alle Parteien lediglich ein Wählerwachstum von weniger als 2 Punkten erzielt – ein Prozentsatz, der auch bei den seriösesten Umfragen als voraussehbare Fehlerquelle gelten kann.
Stärkung der politischen Mitte
Die Stabilität zwischen den Resultaten der Umfrage und jenen der Wahlen 2007 lassen also einen extrem schmalen Interpretationsraum zu. Laut Politologe Claude Longchamp, Direktor des Forschungsinstituts gfs.bern, ist dennoch erstmals seit langer Zeit eine Stärkung der politischen Mitte auszumachen – eine Gegentendenz zur Entwicklung des politischen Kampfschauplatzes in den letzen zehn Jahren.
«Wenn wir diesen Wahlbarometer mit den früheren Umfragen und den Wahlergebnissen von 2007 vergleichen, stellen wir fest, dass die Polarisierung der nationalen Politik wahrscheinlich zu Ende ist», sagt Longchamp gegenüber swissinfo. «Dieses Phänomen geht auch aus den Zahlen über die Parteienwechsel der Wähler hervor: Bisher gab es immer eine Bewegung von der Mitte hin zu den Polen, diesmal aber tendieren die Verschiebungen klar zur Mitte.»
Für eine Zusammenarbeit in der Regierung
Die Umfrage für den Wahlbarometer hat sich im weiteren der Frage über die Zusammensetzung des Bundesrates angenommen, angesichts der Wahl vom 16. September für die Nachfolge des zurücktretenden FDP-Innenministers Pascal Couchepin ein besonders aktuelles Thema. 19% der Befragten sind der Ansicht, der Sitz sollte weiterhin der FDP gehören. 11% möchten einen CVP-Sitz, 9% einen GPS-Sitz und ebenfalls 9% einen SVP-Sitz.
Für 36% der Befragten sollte die Nachfolgeperson für Couchepin nach Kriterien der Persönlichkeit und nicht der Parteizugehörigkeit gewählt werden. 6% sind der Meinung, die Landesregierung müsse die vier grössten Parteien einschliessen, darunter die SVP und die SP als extreme Pole.
Nur 40% sind der Ansicht, das entscheidende Kriterium für den frei werdenden Regierungssitz müsse der Wähleranteil oder die Stärke der Parlamentsvertretung der Parteien sein. Für 60% sollten die Bundesratssitze an Personen gehen, die sich zu den grundsätzlichen Werten und den Institutionen des Landes bekennen. 71% wollen eine Person, die ein gemeinsames politisches Programm vertritt, und für 80% ist der Wille zur Zusammenarbeit mit anderen Parteien in der Regierung das wichtigste Kriterium.
«Diese Zahlen zeigen, dass die Wähler auch in der heutigen Situation – geprägt von der Kritik an einem schwachen Gesamtbundesrat und von heftigeren Auseinandersetzungen zwischen den Parteien – eine Politik der Zusammenarbeit zwischen den wichtigsten Parteien wollen. Auch dies kann als Wille zur Beendigung der Polarisierung interpretiert werden», sagt Longchamp.
Armando Mombelli, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)
Die Umfrage der SRG SSR idée suisse wurde vom Forschungsinstitut gfs.bern zwischen dem 17. und 29. August 2009 bei 2035 stimmberechtigten Personen in allen Landesteilen durchgeführt.
Ziel der Umfrage ist es, in der Hälfte der Legislaturperiode des Schweizer Parlamentes einen Barometer über die Wahlabsichten der Bevölkerung bei den nächsten eidgenössischen Wahlen im Jahr 2011 zu erstellen.
1959 – 2003
Die lange Aera der «Zauberformel»: 2 Sitze für die Sozialdemokratische Partei (SP), 2 Sitze für die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP), 2 Sitze für die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) und 1 Sitz für die Schweizerische Volkspartei (SVP).
2004 – 2007
Die SVP entreisst der CVP mit Christoph Blocher einen Sitz: 2 SP, 2 FDP, 2 SVP, 1 CVP.
2008
Eveline Widmer-Schlumpf und Samuel Schmid verlassen die SVP und treten der neu gegründeten Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) bei: 2 SP, 2 FDP, 2 BDP, 1 CVP.
2009
Die SVP kehrt in die Regierung zurück. Ueli Maurer ersetzt den zurücktretenden Samuel Schmid: 2 SP, 2 FDP, 1 CVP, 1 SVP, 1 BDP.
Ab November 2009?
Die Bundesversammlung wählt am 16. September nach dem Rücktritt von FDP-Bundesrat Pascal Couchepin auf Ende Oktober ein neues Regierungsmitglied.
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