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Wahlen 2011: Bewegung nur in der Mitte

Wer vor lauter Plakaten die Kandidierenden nicht mehr sieht: Der Wahlkampf tritt in die letzte, heisse Phase. Keystone

Die beiden grossen Parteien links und rechts halten ihre Position, während die Freisinnigen Teile ihrer Wählerschaft an zwei neue, kleinere Parteien verlieren. Dies zeigt das letzte Wahlbarometer der SRG SSR zehn Tage vor den Eidgenössischen Wahlen.

Nach den grösseren Veränderungen in den letzten 15 bis 20 Jahren scheint sich die Schweizer Politlandschaft zu stabilisieren, wie das neuste Wahlbarometer des Instituts gfs.bern im Auftrag der SRG SSR zeigt.

Die Polarisierung war davon gezeichnet, dass die beiden historischen Parteien in der politischen Mitte, die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen) und die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), immer mehr Wähleranteile an die beiden Parteien rechts (Schweizerische Volkspartei, SVP) und links der Mitte (Sozialdemokratische Partei, SP) verloren hatten.

Dieser Trend könnte laut der jüngsten Umfrage am 23. Oktober gestoppt werden. «Die Polarisierung stösst an ihre Grenzen. Wir haben ein Zentrum bekommen», sagt Politologe Claude Longchamp, Studienleiter beim Forschungsinstitut gfs.bern. «Das ist vielleicht das Spannendste an diesem Wahljahr überhaupt.»

Profitieren könnten die beiden neuen Parteien nahe der Mitte, die Grünliberale Partei (GLP) und die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP). Laut dem 7. und letzten Wahlbarometer, für das rund 2000 Personen zwischen dem 1. und 8. Oktober befragt wurden, sind diese beiden Parteien die Gewinner der nächsten Nationalrats- und Ständeratswahlen.

Zumindest, was den prozentualen Anstieg betrifft: Die GLP könnte von 1,4 auf 4,9% zulegen, die von der SVP abgespaltene BDP, die es vor vier Jahren noch nicht gab, käme auf 3,6%.

«GLP und BDP haben sich etabliert», so Longchamp. Die Grünliberalen holen laut Befragung einen Grossteil ihrer Wählerschaft von den Grünen, der SP und der FDP. Die BDP steht in Konkurrenz zu CVP und SVP, denen sie Wählende abjagen kann.

FDP muss Federn lassen

Alle anderen Veränderungen bei den Parteien befinden sich lediglich im Bereich des Stichprobenfehlers von +/- 2,2%. Daher will Longchamp zu den konkreten Ergebnissen der Umfrage keine Aussagen machen. Lediglich zwei Sätze sagt er: «Erstens: Dass GLP und BDP zulegen, ist umfragetechnisch gesetzt. Zweitens: Die FDP ist die Verliererin bei dieser Wahl.»

Die Freisinnigen, seit Jahren auf dem absteigendem Ast, verlieren diesmal, und erstmals seit 16 Jahren, kaum mehr Wählende an die SVP, sondern vielmehr an die beiden aufstrebenden Jungparteien GLP und BDP. Sie sind laut der Umfrage auch die einzige Partei, von der Wählende abspringen und diesmal überhaupt nicht an die Urne gehen wollen.

Mit 15,2% Wähleranteil würde die FDP auch ihr erklärtes Ziel von 20% Wähleranteil deutlich verfehlen, ebenso wie die CVP, die auf 14,2% käme, als Ziel aber 17% anstrebt. Auch die Grünen (9,3%) dürften die angepeilte 10%-Hürde knapp nicht erreichen. Realistischer scheinen SVP (29,3% in der Umfrage, angepeilt 30%) und SP (19,9% / 20%) ihre Ziele definiert zu haben.

Fremdbestimmter Wahlkampf

Etwas unerwartet kommt der Knick von 9,6 auf 9,3% bei den Grünen, die es nicht geschafft haben, den Fukushima-Effekt auszunützen. Für Longchamp ist klar warum: «Der Bundesrat hat das Thema sehr rasch zur Regierungspolitik gemacht. Und damit war es als Wahlkampfthema out.»

Überhaupt, der Wahlkampf. Er war dieses Jahr nicht sehr stark von den Parteien bestimmt. Vielmehr waren es mehrere Themen, die von aussen in die Politik drängten und somit aufgegriffen werden mussten.

Zuvorderst die Atomkatastrophe in Japan und der starke Schweizer Franken, der die Exportwirtschaft in Bedrängnis brachte und die Nationalbank zum Eingreifen zwang. «Es gab kein dominantes Thema im Wahlkampf», sagt Longchamp.

Das Sorgenbarometer der Befragten hat keine grossen Veränderungen erfahren. Noch immer steht zuoberst das Thema Migration, Ausländer, Asyl, gefolgt von der Umwelt. Auf dem dritten Platz liegt die Wirtschaftsentwicklung, gefolgt vom Gesundheitswesen sowie Arbeitslosigkeit und sozialer Sicherheit.

Am meisten Kompetenz bei den wichtigsten Themen billigen die Befragten der SP zu. Den besten Wahlkampf aber habe die SVP betrieben.

Mehr Interesse an Politik

Wie immer gibt der Studienleiter schliesslich noch zu bedenken, dass die Ergebnisse mit Vorsicht zu geniessen seien Die Umfrage sei «keine Prognose», sagt er. Die Wahlkampagnen und die Medienpräsenz der Parteien zeigten nun kurz vor den Wahlen Wirkung. Wichtig sei jetzt die Schlussmobilisierung: «Da kann noch mehr oder weniger alles passieren.»

Von der Mobilisierung am meisten profitieren dürfte gemäss der Befragung die SVP, denn «die Schlussmobilisierung findet auf dem Land statt, und nicht in der Stadt», so Longchamp.

Dass bei den untersten Einkommensschichten ein «sprunghafter Anstieg» des Interesses an den Wahlen zu beobachten sei, dürfte der Partei ebenfalls helfen. Zeigten doch Tendenzen, dass Leute mit tiefer Schulbildung heute eher rechts wählen würden, wie der Politologe erklärt.

Was die Umfrage auch zeigt, ist ein gestiegenes Interesse an der Politik. Seit 1995 beobachten die Politologen einen «moderaten Wiederanstieg» der Wahlbeteiligung, zumindest auf nationaler Ebene. «Wir haben es hier mit einer Re-Politisierung zu tun.» Die Politik werde heute durch mehr Bürgerinnen und Bürger getragen als noch vor 20 Jahren.

Das letzte von insgesamt 7 Wahlbarometern stützt sich auf Telefon-Interviews mit 2007 wahlberechtigten Personen aus der ganzen Schweiz, geführt zwischen 1. und 8. Oktober.

«Bei den Auslandschweizern haben wir ein Erfassungsproblem», sagt Studienleiter Claude Longchamp.

Die Schweizer Auslandgemeinde habe nicht erfasst werden können, «da es aus Datenschutzgründen keine frei zugängliche Übersicht der registrierten Bürger und Bürgerinnen ausserhalb der Schweiz gibt», wie gfs.bern schreibt.

Der Stichprobenfehler beträgt 2,2%.

Das Wahlbarometer wurde von der SRG SSR in Auftrag gegeben, zu der auch swissinfo.ch gehört.

Die für die Studie interviewten Wahlberechtigten wurden ebenfalls zur parteipolitischen Zusammensetzung der Landesregierung befragt.

26% sprachen sich für die derzeitige Aufteilung aus: 2 SP, 2 FDP.Die Liberalen, 1 SVP, 1 CVP, 1 BDP

17% waren für eine Aufteilung auf die 5 grössten Parteien: 2 SVP, 2 SP, 1 FDP.Die Liberalen, 1 CVP, 1 Grüne.

13% waren für eine Regierung der grossen 4 Parteien: 2 SVP, 2 SP, 2 FDP.Die Liberalen, 1 CVP.

10% waren für eine Mitte-Links-Allianz: 2 SP, 2 FDP.Die Liberalen, 2 CVP, 1 Grüne.

Die sieben Bundesräte werden alle vier Jahre nach den Wahlen vom Parlament bestimmt. Die nächste Wahl findet am 14. Dezember statt.

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