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Wahlen: Die Stunde der Wahrheit naht

Das Rennen um die Parlamentssitze kommt bald zum Abschluss. EQ Images

Die Kampagnen sind zu Ende. Nun warten Kandidaten, Parteien und Wählende auf den Ausgang an der Urne. Nach vier politisch aufgeregten Jahren scheint es, dass das Volk wieder Stabilität anstrebt: Letzte Umfragen zeigen nur Verschiebungen in der Mitte.

Die etwas flaue Kampagne in diesem Wahljahr liess fast vergessen, dass die gegenwärtige Legislatur besonders in ihrer ersten Hälfte ziemlich lebhaft war.

Die politische Landschaft der Schweiz, noch bis vor wenigen Jahren extrem stabil, war von einigen beispiellosen Ereignissen durchgeschüttelt worden.

Ein Bundesrat wurde nicht in seinem Amt bestätigt, die grösste im Parlament vertretene Partei ging für ein Jahr in die Opposition, zwei Bundesräte wechselten die Partei und zwei wurden mehr oder weniger in die Demission gedrängt.

Zum ersten Mal in der Schweizer Geschichte setzt sich die Regierung aus Mitgliedern von fünf Parteien zusammen. Zudem sind zwei neue politische Kräfte auf nationaler Ebene entstanden und zwei Parteien haben sich zusammengeschlossen, nachdem sie sich ein Jahrhundert lang auf kantonaler Ebene bekämpft hatten.

Gemäss den letzten Umfragen werden diese Ereignisse aber keinen grossen Einfluss auf die Kräfteverhältnisse zwischen den grossen Parteien haben. Nach praktisch 20 Jahren der Polarisierung, geprägt von einem starken Anstieg der konservativen Rechten, sollten am Sonntag die Kräfteverhältnisse zwischen den drei grossen Blöcken mehr oder weniger stabil bleiben.

Rechte und linke Parteien treten laut Umfragen praktisch an Ort, Veränderungen zeichnen sich lediglich in der immer mehr aufgesplitterten Mitte ab.

Umschichtung im Zentrum

Dies wird voraussichtlich auf Kosten der beiden grossen historischen Parteien der Mitte geschehen, namentlich der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen). Nicht einmal die Fusion mit der Liberalen Partei (LPS) im Jahr 2009 scheint die Partei davor zu bewahren, erneut Federn lassen zu müssen, wie dies bereits seit den 1980er-Jahren der Fall ist.

Die Freisinnigen, die in dieser Kampagne etwas aktiver erschienen als andere Parteien, streben als Wahlziel 20% an. Umfragen sagen ihnen allerdings weitere 2 bis 3% weniger Wahlanteil voraus.

Für die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) sehen die Resultate der Umfragen etwas besser aus. Die zweite historische Mittepartei, die ebenfalls seit den 1980er-Jahren einen steten Wählerverlust zu beklagen hatte, schaffte es vor vier Jahren, sich auf 14% Wähleranteil zu stabilisieren.

Die Christlichdemokraten zeigten sich im Wahljahr aggressiver und flexibler, so beispielsweise nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima, als sie die Unterstützung für die Atomenergie rasch aufgaben.

Zu den Gewinnern der Wahlen dürften die neuen Kräfte im Zentrum gehören, die Grünliberale Partei (GLP) und die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP). Die beiden konnten sich als neue Alternative für Wählende von FDP und CVP positionieren. Die GLP hat in vielen Kantonen noch Wachstumspotenzial, die BDP wird in jenen drei Kantonen bleiben, in denen sie entstanden ist.

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Stabile Rechte und Linke

Auf der politischen Rechten wird die Schweizerische Volkspartei (SVP) wohl ihre Erfolge der letzten vier Wahlen nicht wiederholen können, durch die sie von der viertstärksten zu stärksten politischen Kraft im Lande wurde.

Die SVP schaffte es diesmal nicht, die Wahlkampagne zu dominieren, wie sie dies in den Wahlen zuvor konnte. Allerdings wird sie wohl den Verlust ihres moderaten Flügels, der sich 2008 in die BDP flüchtete, ausgleichen können und auf etwa 30% Wähleranteil kommen.

Relativ stabil wird wohl auch die politische Linke bleiben. Mit einem kompromisslosen Parteiprogramm könnte es die Sozialdemokratische Partei (SP) schaffen, ihre Wählerschaft zu mobilisieren und auf knapp 20% Wähleranteil zu kommen.

Die Sozialdemokraten schafften es aber nicht, aus dem Rücktritt ihrer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey medialen Profit zu schlagen.

Das Fukushima-Desaster könnte der Grünen Partei zu einem kleinen Stimmengewinn verhelfen. Sie hofft auf einen Wähleranteil von 10%.

Die Partei hat es allerdings nicht geschafft, das Thema längerfristig auszunutzen, denn die Landesregierung und moderaten Mitteparteien schnappten es ihr mit dem Entscheid zum Atomausstieg aus den Händen.

Wahlsonntag auf swissinfo.ch

Auch bei den fünf kleinen Parteien im Schweizer Parlament werden keine grossen Veränderungen erwartet. Diese Gruppierungen, die teils schon seit Jahrzehnten lediglich von einem Nischenelektorat leben oder nur in einigen Kantonen präsent sind, werden sich auch diesmal mit einem oder zwei Parlamentssitzen begnügen müssen.

Es gibt vor allem zwei Parteien, die erstmals ins Parlament einziehen könnten: das Mouvement citoyens romands (MCR), das bei den Genfer Kantonswahlen 2009 einen bemerkenswerten Erfolg erzielen konnte, sowie die Piratenpartei Schweiz, deren Schwesterorganisation in Deutschland vor kurzem bei den Berliner Landeswahlen einen überraschenden Erfolg verbuchen konnte.

Die Wahlurnen schliessen am Sonntag um 12.00 mittags. Die ersten kantonalen Resultate treffen im Verlauf des Nachmittags ein, während die ersten nationalen Hochrechnungen um 19.00 erwartet werden. Im Verlauf des Wahlsonntags finden Sie auf swissinfo.ch laufend aktualisierte Wahlergebnisse, Reaktionen und Wahlanalysen.

Das Parlament besteht aus zwei Kammern: Nationalrat (Volksvertretung) und Ständerät (Kantonsvertretung). Zusammen werden sie Vereinigte Bundesversammlung genannt.
 
Für den Nationalrat sind 200 Mitglieder zu wählen. Diese werden nach dem Verhältniswahlrecht bestimmt, das heisst gemäss dem Stimmenanteil der politischen Parteien.

Die 200 Sitze der grossen Kammer werden je nach Grösse der Bevölkerung eines Kantons zugeteilt. Als Grundregel gilt: ein Nationalratssitz pro 36’000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Gewählt werden zudem 45 von 46 Mitgliedern des Ständerats. Der Vertreter des Kantons Appenzell-Innerrhoden wurde bereits im April gewählt.

Jeder Kanton hat in dieser Kammer zwei Sitze; Halbkantone nur einen. Gewählt wird nach dem Mehrheitswahlrecht – mit Ausnahme von Neuenburg und Jura.

Die Schweizer Politik wird von vier Regierungsparteien dominiert, die seit über einem Jahrhundert rund 80% der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Es sind die Schweizerische Volkspartei SVP (28,9% bei den Wahlen 2007), die Sozialdemokratische Partei SP (19,5%), die Freisinnig-Demokratische Partei FDP.Die Liberalen (17,7%) sowie die Christlichdemokratische Volkspartei CVP (14,5%).

In den 80er-Jahren entwickelte sich eine neue politische Kraft, die Grüne Partei der Schweiz, die 2007 9,6% Wählerstimmen erreichte. Bisher erhielten die Grünen noch keinen Regierungssitz.

Aus Abspaltungen entstanden in den letzten Jahren zwei neue Parteien: die Grünliberale Partei GLP (aus der Grünen Partei) und die Bürgerlich-Demokratische Partei BDP (aus der SVP). Laut Umfragen könnten diese beiden jungen Parteien aus den nächsten Wahlen als Siegerinnen hervorgehen. Allerdings werden sie kaum die 5%- bzw. 4%-Grenze überschreiten.

Im Schweizer Parlament sitzen zusätzlich noch fünf kleine Parteien, die zusammen 5,5% der Wählerstimmen vertreten und je zwischen einem und drei Mitglieder haben. In dieser Legislaturperiode sind das die Lega dei Ticinesi, die Eidgenössisch-Demokratische Union EDU, die Christlich-soziale Partei CSP, die Partei der Arbeit PdA und die Evangelische Volkspartei EVP.

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub und Jean-Michel Berthoud)

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