Wahlen im Iran: «Die Enttäuschung war gross»
Viele Iraner wünschten sich eine Änderung in der Führung, sagt der iranisch-schweizerische Doppelbürger Farsin Banki. Laut dem Professor und Forscher in Teheran gehören Frauen und Jugendliche zu den Hauptverlierern dieser Wahlen.
swissinfo.ch: Wie haben Sie die Präsidentenwahl im Iran erlebt?
Farsin Banki: Neben den Wahl-Werbeclips, die man schon kannte, trafen zum ersten Mal auch Kandidaten aufeinander. In einem dieser Streitgespräche kam es sogar so weit, dass man sich ein bisschen angefeindet hat. Diese Art von öffentlicher Diskussion hat es bisher in diesem Land noch nie gegeben.
Das brachte eine riesige Spannung in die Wahlen, man wollte sehen, wie die Kandidaten über die Zukunft des Landes sprechen. Bei allen, welche die Sendungen mitverfolgten, führte das dazu, dass die Erwartungshaltung stieg. Deshalb war die Enttäuschung sehr gross, als die Wahlen auf diese Weise ausgingen.
swissinfo.ch: Es gibt Stimmen, die behaupten, die Wahlen seien nicht fair gelaufen, und es habe ein «politischer Staatsstreich» stattgefunden, um dem Präsidenten Ahmadinedschad den Verbleib an der Macht zu sichern. Was meinen Sie dazu?
F.B.: Es ist die offizielle Meinung der anderen Kandidaten und eines grossen Teils des Volkes, dass die Wahlen manipuliert wurden und nicht fair abgelaufen sind. Aus der Sicht des Gewinners sieht es so aus, als wäre alles fair gelaufen.
swissinfo.ch: Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass die Wahlen – wie es die Opposition beabsichtigt – annuliert werden könnten?
F.B.: Viele Iraner wünschen sich eine Änderung in der Führung. Doch diese ist im Moment nicht abzusehen. Es wird eine langwierige Prozedur werden, falls es soweit kommt. So hat der Herausforderer Hossein Mussavi gesagt, er habe die grosse Waschung und das dazugehörige Gebet vollzogen. Die grosse Waschung gibt es bei den Schiiten nur in Spezialfällen, zum Beispiel bei der Bereitschaft zum Martyrium.
Mit diesem symbolischen Akt hat er der Opposition signalisiert, er werde bis zum letzten Moment für seine Ziele geradestehen. Er hat seine Anhänger dazu aufgerufen, sich so friedlich und demokratisch zu verhalten wie es im Westen auch der Fall ist.
Normalerweise gratuliert der Revolutionsführer Ayatolla Ali Chamenei dem Wahlsieger in einer Fernseh-Ansprache. Diesmal hat er das nicht getan, er hat Ahmadinedschad nur einen Brief geschickt. Was das bedeuten soll, weiss man nicht. Manche vermuten, dass sich der Revolutionsführer gezwungen sah, sich mit dem Ausgang der Wahl einverstanden zu erklären.
Manche Regierungsstellen suchen nun das Gespräch mit der Opposition.
swissinfo.ch: Denken Sie, dass noch weitere Demonstrationen stattfinden werden?
F.B.: Ja. Allerdings gibt es diesbezüglich auch ein grosses Stadt-Land-Gefälle. Auf dem Land gibt es keine Demonstrationen. Wie lange der Atem der Opposition in den Städten ist, wird man sehen.
Die Opposition ist ähnlich wie jene in der Schweiz. Sie will nicht einen radikalen Umsturz, sondern einen Machtwechsel innerhalb der bestehenden islamischen Republik. Heute fand in Teheran eine Demonstration statt, an der Mussawi und der frühere Präsident Chatami teilnahmen. Es war der erste öffentliche Auftritt Mussavis nach der Wahl.
swissinfo.ch: Wie berichten die iranischen Medien über den Aufschrei der Oppostion nach den Wahlen?
F.B.: Zum Teil berichten sie gar nicht darüber. Es herrscht eine Art Stillschweige-Abkommen. Sie tun so, als wenn gar nichts geschehen wäre. Ausser an dieser einen Pressekonferenz, die der Präsident selber gehalten hat, hat man nichts erfahren. Die Medien haben Ahmadinedschad zu seinem Sieg gratuliert und ihn gefeiert.
swissinfo.ch: Inwiefern sind die Demokratien Schweiz und Iran vergleichbar?
F.B.: Sie sind nicht vergleichbar. In der Schweiz kann das Volk über sehr Vieles abstimmen. Hier im Iran sind wir in einer parlamentarischen Republik mit einem Parlament, das vom Volk gewählt wird. Im Gegensatz zur Schweiz haben wir keine Parteienlandschaft. Es gibt zwar Gruppierungen, aber diese sind noch nicht zu Parteien geworden.
swissinfo.ch: Welche Auswirkungen hat der Wahlausgang auf die Beziehungen Iran-Schweiz?
F.B.: Wenn Ahmedinedschad an der Macht bleibt, wird sich an den Beziehungen Schweiz-Iran nichts ändern. Die Schweiz ist ja Vertreterin der amerikanischen Interessen, sie hat noch eine Vermittlerfunktion.
Auch in Bezug auf die Beziehungen zu anderen Ländern wird sich nichts ändern. Der Westen ist nach wie vor ein deklarierter Feind, der die Ruhe und Ordnung im Land stören will. Neu zeigt sich die Regierung nun dialogbereit.
swissinfo.ch: Laut den westlichen Medien sollen sich vor allem die Frauen einen Regierungswechsel herbeigewünscht haben. Wird die «Frauenbewegung» nach der Niederlage nun stärker?
F.B.: Die Bewegung ist da, die Frauen sind neben den Männern auf der Strasse. Die Frauen im Iran spielen sowieso eine sehr wichtige Rolle. Mehdi Karroubi, einer der oppositionellen Kandidaten, hat versprochen, er würde eine Frau ins Ministerium bringen, wenn er gewählt würde.
Wer es im Iran schafft, die Frauen anzusprechen, hat sicherlich eine grosse Chance bei den Wählerinnen und Wählern. Die Frauen und die Jugendlichen sind bei diesem Wahlausgang die Hauptverlierer. Unser Land besteht zu 30% aus Jugendlichen, von denen der grösste Teil arbeitslos ist.
swissinfo.ch, Eveline Kobler
Nach offiziellen iranischen Angaben hat Präsident Mahmud Ahmadinedschad die Wahl vom Wochenende mit über 62% der Stimmen klar gewonnen.
Die Wahlbeteiligung erreichte laut der Wahlkommission mit 82% eine Rekordhöhe.
Das Ergebnis der umstrittenen Präsidentenwahl im Iran soll nun amtlich überprüft werden.
Nach heftigen Protesten und Vorwürfen des Wahlbetrugs ordnete das geistliche Staatsoberhaupt Ayatollah Ali Chamenei am Montag eine Untersuchung an. Dies berichtete das staatliche Fernsehen.
Zuvor hatte der offiziell unterlegene Reformkandidat Mir Hossein Mussawi eine Annullierung der Wahl gefordert.
Iran hat neben dem vom Volk gewählten Parlament und dem gewählten Präsidenten einen Revolutionsführer, der über allem steht und mit seinem Veto alles umgehen kann, was vom Volk entschieden wird.
Zusätzlich gibt es den Wächterrat, der dem Revolutionsführer untersteht. Der Revolutionsführer ist die oberste Macht im Staat und befiehlt auch über die Armee.
Der Revolutionsführer wurde von einem speziellen Führerrat nach dem Tode Chomenis gewählt. Dieses Gremium wiederum wird vom Volk gewählt.
Banki ist zum Teil in Deutschland aufgewachsen und kam zum Studium in die Schweiz.
Er lebte 38 Jahre in der Schweiz und hat auch das Schweizer Bürgerrecht.
Seit fünf Jahren lebt er in Iran und ist Forscher und Professor am staatlichen Institut für Geisteswissenschaften und Kulturelle Studien in Teheran.
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