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Warum die Schweiz noch näher zu China will

Uhren
Schweizer Uhren profitieren am meisten vom Zollabbau Chinas. Keystone

Die Schweiz und China betreiben seit zehn Jahren Freihandel. Jetzt will die Schweiz das Abkommen optimieren. Was bringt es den beiden bisher? Eine Analyse.

Der Graben in der Diskussion um das Freihandelsabkommen, das die Schweiz mit China unterhält, verläuft zwischen Wirtschaft und Werten.

Dass China in der Welt mit zunehmendem Machthunger auftritt, ist auch der Schweizer Politik nicht entgangen. Im Schweizer Parlament werden Chinas globale Ambitionen inzwischen kritischer diskutiert und beobachtet als 2013, dem Geburtsjahr des Freihandelsabkommens mit der Schweiz, das vor zehn Jahren in Kraft trat.

Skepsis und Sorge herrschen quer durch alle Parteien. Anfang September erst hat der Nationalrat beschlossen, dass wesentliche Schweizer Unternehmen nicht mehr einfach von ausländischen Investoren übernommen werden dürfen. Die VorlageExterner Link hiess inoffiziell «Lex China».

Besonders für Sozialdemokraten und Grüne ist die Schweiz ohnehin schon zu eng mit China verbandelt. Zuletzt hat der grüne Nationalrat Nicolas Walder gefordert, die Schweiz müsse ihr Freihandelsabkommen aufkündigen, weil China Menschenrechte verletze. Der Rat lehnte diese MotionExterner Link im Februar ab.

Schweiz zündet zweite Stufe

Die Wirtschaft auf der anderen Seite nutzt die entstandenen Handelsfreiheiten rege. Alle Zahlen weisen nach oben – aber es gibt noch Potenzial. Darum zündet die Schweiz nun die zweite Stufe. Sie startete diese Woche Verhandlungen für eine Optimierung des Abkommens.

Der Schweizer Wirtschaftsminister Guy Parmelin in einem Videocall mit Chinas Handelsminister Wang Wentao.
Der Schweizer Wirtschaftsminister Guy Parmelin in einem Videocall mit Chinas Handelsminister Wang Wentao, 23. September 2024. twitter.com

Während sich die EU, die USA und der Westen zusehends in Opposition zu China stellen, schmiegt sich die Schweiz damit weit enger an China als viele andere Nationen.

China unterhält weltweit nur 20 Handelsabkommen, darunter sind solche mit historisch oder geografisch eng verbundenen Partnerstaaten und einigen eher kleineren Volkswirtschaften wie Island oder den Malediven. Mehr wirtschaftliches Gewicht haben die ASEAN-Staaten oder Australien und Korea.

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Warum sind sich China und die Schweiz so nahe?

Aus chinesischer Sicht war die Schweiz ein Testlauf. «China nutzte dieses Abkommen, um die Funktionsweise von Freihandelsabkommen in Europa zu studieren», sagt Patrick Ziltener. Der Asienspezialist evaluierte das HandelsabkommenExterner Link für das Sino-Swiss Competence Center der Universität St. Gallen.

Laut Ziltener ging es der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt beim Abkommen mit der Schweiz auch um Reputation. China konnte damit aller Welt aufzeigen, dass es Freihandel zulässt und gar fördert. Eine Partnerschaft mit der international respektierten Schweiz habe China zudem das Ansehen eines verlässlichen Partners verliehen.

Die Schweiz ist Chinas Türöffner

Die Schweiz öffnete seinem Handelspartner auch eine wichtige Tür auf dem internationalen Parkett. Sie anerkannte China innerhalb der Welthandelsorganisation WTO als Marktwirtschaft, wie Ariane Knüsel und Ralph Weber in ihrem Buch «Die Schweiz und China» darlegen. Dies war für alle Partner das Eintrittsticket in den Freihandel mit China.

Die Schweiz handhabte diese Anerkennung als Formalie und erledigte es mit einem Fax auf Ebene Bundesrat. Die EU hingegen ist bis heute nicht der Meinung, dass China eine Marktwirtschaft nach WTO-Verständnis ist, schreiben die Autoren. Als WTO-anerkannte Marktwirtschaft kann China auf dem Weltmarkt nicht mehr wegen Dumpings, also künstlich tief gehaltenen Preisen eingeklagt werden, auch daher rührt Chinas Interesse.

Dazu kommt eine historische Komponente: Die Schweiz war eines der ersten Länder, das die Volkrepublik China schon 1950 anerkannt hatte.

Und schliesslich geht es wohl auch um Wissenstransfer: Wer Freihandels-Abkommen nutzt, muss oft Produktionsprozesse offenlegen. Das ermöglicht China, sein Wirtschaftswissen anzureichern.

Wer profitiert vom Freihandel?

Oft wird der Effekt eines Freihandelsabkommens mit gestiegenen Handelsvolumen beschrieben. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn freier Handel führt nicht in erster Linie zu mehr Volumen, sondern zu mehr Profit. Schliesslich fallen Zölle weg. Im Jahr 2022 sparte die Schweizer Wirtschaft dank des Abkommens rund 187 Millionen Franken an nicht bezahlten Zöllen, berechnete Patrick Ziltener.

Tatsächlich verstellt der reduzierte Blick auf das Schweizer Exportvolumen nach China die Sicht auf das Abkommen. Denn beim reinen Volumen dominiert mit Abstand das Gold. Die Schweizer Gold-Exporte nach China haben sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt, und sie machen mehr als die Hälfte des gesamten Warenwerts aus.

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Der Grund dafür ist Chinas immenser Goldhunger. Die chinesische Zentralbank war 2023 die weltweit grösste Gold-Einzelkäuferin. Laut Analyst:innen verfolgt sie dabei das Ziel, China unabhängig vom Dollar zu machen.

Bemerkenswert: Während die Schweizer Aussenpolitik den Multilateralismus predigt, helfen Schweizer Goldexporte China beim Entkoppeln vom globalen Währungssystem. In der Schweiz sind vier der fünf grössten Goldraffinerien der Welt beheimatet.

Die Goldexporte aber haben mit dem Freihandelsabkommen nichts zu tun. «China erhebt keine Importzölle auf Gold, unabhängig des Warenursprungs», erklärt Fabian Maienfisch, der Sprecher des Schweizer Staatssekretariats für Wirtschaft.

Betrachten wir also die Handelsvolumen ohne Gold.

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Die Schweizer Exporte nach China (ohne Gold) sind in den letzten zehn Jahren um 74% auf 15,4 Milliarden Franken gewachsen. Pharma-, Uhren- und Maschinenindustrie zeigen sich besonders china-orientiert. Am meisten zugelegt hat die Pharmaindustrie.

Zwei Rivalen an der Spitze

Aber sind das nun Effekte des Freihandelsabkommens?  Nur zum Teil, denn noch mehr gewachsen als die Exporte nach China sind die Schweizer Exporte in die USA, mit denen die Schweiz kein entsprechendes Abkommen teilt. Das zeigt diese Grafik.

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Die beiden zunehmend rivalisierenden Volkswirtschaften, die USA und China, bilden also die beiden Zugpferde der Schweizer Exportwirtschaft. Beobachter:innen sehen darin durchaus ein Risiko.

Sollte sich der Handelskrieg zwischen dem Westen und China weiter zuspitzen, ist denkbar, dass die USA und die EU die Schweiz unter Druck setzen könnten, sich von China wieder loszusagen.

Die Schweizer Exportgewinne sind geheim

Wie eingangs erwähnt zeigt sich der Erfolg eines Handelsabkommens aber nicht allein in den Exportvolumen, sondern im Gewinn durch nicht bezahlte Zölle. «Das Freihandelsabkommen hat den Schweizer Exportunternehmen bedeutende Zolleinsparungen ermöglicht», sagt Fabian Maienfisch vom Seco. Das habe dazu beigetragen, die Schweizer Wettbewerbsfähigkeit auf dem chinesischen Markt im Vergleich zu Hauptkonkurrenten – EU und USA – zu erhöhen.

Aber welchen Branchen der Schweizer Wirtschaft haben von Zolleinsparungen nun profitiert? Beim Bund sind Zahlen dafür nicht erhältlich. Im Freihandels-Monitor 2022Externer Link fehlen sie (Seite 91 ff), «weil China keine öffentlich verwendbaren Daten zur Verfügung stellt», wie das Seco auf Anfrage mitteilt.

Die Uhrenbranche profitiert am stärksten…

Die Evaluation der Universität St. Gallen, erstellt unter der Leitung von Patrick Ziltener, gibt aber exakt darüber aber Aufschluss. Am meisten profitiert hat demnach die Uhrenbranche, sie sparte allein im Jahr 2022 Zölle in Höhe von 133 Millionen Dollar. Gerade für die Uhrenindustrie gibt es jedoch auch noch Potenzial, laut den Berechnungen 46 Millionen Dollar pro Jahr. Gross ist das Potenzial auch für die Maschinenindustrie. Das will die Schweiz ausschöpfen.

…Pharma profitiert fast nicht

Die Pharmaindustrie als grösste Exporteurin hingegen hat laut den Berechnungen nur 1,4 Millionen Dollar an Zöllen gespart.

Das Schweizer Abkommen mit China hat für die heimische Pharmaindustrie also kaum Bedeutung. Einerseits sind die Zölle für sie ohnehin schon tief. Andrerseits müssten die Firmen bei Verwendung des Abkommens ihre chemischen Formeln offenlegen, was nicht in ihrem Interesse ist.

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Die Schweiz verfolgt bei der Optimierung des Abkommens drei Ziele:

1. Die Schweiz will weiteren Zollabbbau

Seco Sprecher Fabian Maienfisch nennt die «Ausweitung des Zollabbaus für Industrieprodukte» als aktuelles Ziel der Schweiz. Bei den Maschinen seien ein Fünftel der Exporte nur zum Teil oder noch gar nicht von Zöllen befreit. Auch bei Pharmaprodukten will die Schweiz noch weitere Zollerleichterungen.

Maienfisch nennt die Uhrenindustrie, wo immer noch Zölle bis 9.2% anfallen. Das sind allenfalls aber nicht reine Importzölle, denn China erhebt auch allgemein eine Konsumsteuer auf Luxus-GüterExterner Link. Ob es diese allgemeine Steuer extra für Schweizer Uhren fallen lässt, ist fraglich.

Dabei hat die Schweizer Uhrenindustrie gerade jetzt enormen Bedarf an jeder Erleichterung, denn der Uhrenabsatz in China ist dramatisch eingebrochen. Richemont und Swatch melden massiv weniger Umsatz, Rolex gibt solche Zahlen nicht bekannt.

Wie wichtig tiefe China-Zölle sind, zeigt ein Grössenvergleich: Allein die 2023 realisierten Zolleinsparungen der Schweizer Uhrenexporte entsprechen etwa dem ersten Halbjahresgewinn von Swatch im Jahr 2024.

2. Die Schweiz will in China investieren

Zweites Ziel der Schweiz ist, dass auch Schweizer Unternehmen in die chinesische Wirtschaft investieren können. Dies hat das Parlament in einer MotionExterner Link verlangt.

Dass dasselbe Parlament nun aber auch chinesische Investitionen in Schweizer UnternehmenExterner Link verbieten möchte, versetzt die Schweizer Verhandlungsdelegation in dieser Hinsicht in eine komplexe Lage.

3. Die Frage der Umwelt- und Menschenrechte

Das bestehende Abkommen brachte die Schweizer Regierung 2013 noch ohne Mitsprache des Volks in trockene Tücher. Das könnte sich nun aber ändern. Beim Schweizer Freihandelsabkommen mit Indonesien zwangen Nichtregierungsorganisation die Regierung bereits 2021 mit einem «Palmöl-Referendum» dazu, das ausgehandelte Resultat an der Urne zu verteidigen.

Diese Erfahrung nimmt die Schweizer Delegation nun mit nach China. Sie will einem allfälligen Referendum den Wind aus den Segeln nehmen. Darum plant sie auch, Umwelt- und Menschenrechtsaspekte einzubauen. Dies hatte eine Parlamentskommission verlangtExterner Link.

Ob es den Gegnern reichen wird, bleibt offen. Bereits haben chinesische Oppositionsgruppen in der Schweiz ein Referendum angekündigtExterner Link. Die Grünen haben beschlossen, ein Referendum zu unterstützen, sollte das Abkommen die Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechten nicht verbindlich regeln. Dies bestätigt Grünen-Nationalrat Nicolas Walder gegenüber swissinfo.ch.

Auch die Sozialdemokraten sind bereit für ein Referendum. SP-Aussenpolitiker Fabian Molina fordert ebenfalls «Menschenrechte und Umweltstandards, insbesondere den Ausschluss von Zwangsarbeit.» Er sagt: » Wenn der Bundesrat auf diese gravierenden Probleme keine Antworten findet, werden wir das Abkommen ablehnen.» 

Bleibt die Frage: Was will China?

China macht generell weniger Gebrauch vom Abkommen als die Schweiz. In den den letzten fünf Jahren sank die Nutzung gar, dafür ist sie offenbar gezielt. Denn China realisierte 2022 Zolleinsparungen von 213 Millionen Franken, gut 25 Millionen mehr als die Schweiz.  

Patrick Ziltener kann sich vorstellen, dass China in der neuen Verhandlungsrunde den Export von Arbeitskräften einbringen will. Das hiesse: Schweizer Arbeitsbewilligungen für chinesische Spezialisten. Dieses Anliegen Chinas scheint innenpolitisch aber kaum durchsetzbar.

Das Abkommen mit der Schweiz sichert China aber das politische Wohlverhalten eines breit vernetzten Staats. Es kann sich auf die international respektierte Schweiz verlassen, und darauf, dass die Schweiz – ein Land des Westens und mitten in Europa – auch weiterhin keine Anti-China-Politik betreibt.

Editiert von Reto Gysi

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