Wechselkursziel 1.40: Verlockend, aber gefährlich
Der starke Franken gefährdet laut dem Wirtschafts-Minister in der Schweiz 40'000 Jobs. Exportwirtschaft und Gewerkschaften fordern von der Notenbank die Erhöhung des Euro-Mindestkurses. Finanzexperte Manuel Ammann warnt.
Schuldenkrisen, riesige Rettungsschirme, Rezessionsgefahr: Die Herausforderungen für die Regierungen nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und in Asien, sind riesig.
«Wir gehen auf schwierige Zeiten zu», sagte der Schweizer Wirtschaftsminister Schneider-Ammann Mitte dieser Woche vor Unternehmern.
Für die Schweiz kommt der nach wie vor hohe Frankenkurs dazu. Innerhalb des nächsten Jahres könnten im Land bis 40’000 Arbeitsplätze verschwinden, befürchtet Schneider-Ammann. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) rechnet damit, dass die Arbeitslosenquote bis Ende nächsten Jahres von heute 2,9% auf 3,7% klettert.
Um den immer tieferen Fall des Euros und die Frankenhausse zu stoppen, holte die Schweizerische Nationalbank (SNB) Anfang September die grosse Keule aus der Waffenkammer und legte für den Euro einen Mindestkurs von 1.20 Franken fest.
Für seinen mutigen Schritt erntete das Notenbank-Direktorium unter Präsident Philipp Hildebrand Lob aus allen Lagern. Der Euro hat sich mittlerweile ein paar Rappen darüber eingependelt.
Erklärbarer Erfolg
Der Erfolg mag Laien erstaunen, nicht aber den Finanzexperten. «Die SNB kann grundsätzlich jedes beliebige Wechselkursziel halten, weil sie theoretisch Franken in unlimitierter Menge emittieren kann», sagt Professor Manuel Ammann, Direktor des Schweizerischen Instituts für Banken und Finanzen der Universität St. Gallen, gegenüber swissinfo.ch.
Technisch sei es einer Notenbank immer möglich, die eigene Währung zu schwächen, indem sie den Markt mit eigener Währung flute und entsprechend Devisen aufkaufe, so Ammann.
«Die SNB ist die Herrin über den Franken und kann theoretisch unendlich viele Franken auf den Markt werfen», stimmt der Chef-Ökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), Daniel Lampart, zu. Kein Wechselkursspekulant könne es mit ihr aufnehmen, und das wirke abschreckend.
Auch nach der Intervention der SNB werden die Rufe lauter, dass die SNB das Wechselkursziel anheben soll. Die Wirtschaftskommission des Nationalrates wünscht sich eine Euro-Untergrenze von 1.30 Franken, bei der Exportwirtschaft sind es 1.40 Franken. Diesen Wert fordert auch SGB-Chef-Ökonom Lampart.
Gegenüber Deutschland sei der Franken Ende 2009 bei einem Kurs von 1.50 Fr. pro Euro im historischen Vergleich fair bewertet gewesen. «Auch mit 1.40 wäre der Franken immer noch überbewertet. Doch dieser Kurs würde für die Schweizer Wirtschaft gegenüber 1.20 eine deutliche Entlastung bedeuten», sagt Lampart gegenüber swissinfo.ch.
Heft nicht aus der Hand geben
Finanzspezialist Manuel Ammann aber warnt vor einer Erhöhung des Wechselkurszieles auf 1.40 Franken. Damit wären «handfeste Risiken» verbunden, so die Gefahr von importierter Inflation und die Preisgabe des Instruments zum Betreiben einer eigenen Geldpolitik.
Die Aufgabe der SNB sei es, Preisstabilität zu garantieren und die Konjunktur zu stützen, sagt dazu Daniel Lampart. Deshalb müsse sie gegen die Überbewertung ankämpfen.
Theoretisch könne die SNB die Euro-Untergrenze gar bei 1.60 Franken ansetzen, sagt Manuel Ammann. «Aber je höher man das Wechselkursziel ansetzt, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass es für die Nationalbank keinen Exit mehr gibt, der einigermassen schmerzlos ist.»
Eine permanente Anbindung an den Euro würde die Schweiz aber auf Gedeih und Verderb der Europäischen Zentralbank ausliefern. Würde diese – wie aktuell verschiedentlich gefordert – mit der Geldpresse die Staatschulden bedienen, würde die Schweiz faktisch über die resultierende Inflation an der Bezahlung der Schulden beteiligt, so Ammann.
Bis zu faktischem SNB-Bankrott
Der Preis für einen Ausstieg unterhalb des Mindestkurses wäre indes ebenfalls hoch. Er bestünde in «riesigen Währungsverlusten», die zu einem technischen Bankrott der Nationalbank führen könnten. «Die Nationalbank müsste dann mit möglicherweise Dutzenden von Milliarden Franken rekapitalisiert werden», skizziert Ammann.
Solange der Franken nicht unterbewertet sei, bestünden keine solchen Gefahren, entgegnet Lampart. Auch Inflationsrisiken sieht er keine. «Im Gegenteil: Weil der Franken immer noch stark überbewertet ist, gibt es Preisdruck gegen unten.»
Fairer Wechselkurs – wo?
Ammann legt Wert darauf, dass niemand – auch nicht die Nationalbank – den «richtigen, fairen» Wechselkurs kenne. Was heute unterbewertet erschiene, könne in wenigen Jahren als überbewertet gelten. Einen vermeintlich «richtigen» Wert zu erzwingen sei deshalb immer risikoreich. Die Massnahmen der SNB seien also nicht kostenlos und brächten nicht nur Gewinner hervor, wie dies in der bisherigen öffentlichen Diskussion fälschlicherweise zum Ausdruck komme.
«Eine Schwächung der eigenen Währung hat immer auch eine Umverteilung zur Folge», so Ammann. Einerseits freuten sich Exporteure über die Wettbewerbsvorteile, die sie dank der Abwertung zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit erhalten würden. Für Sparer und Rentner andererseits bedeute die Schwächung einen Kaufkraftverlust.
Lampart dagegen weist darauf hin, dass gerade auch Sparer und Rentner unter dem zu hohen Franken litten: Weil das Geld vieler Anleger und Pensionskassen in ausländischen Aktien und Fremdwährungen investiert sei, hätten diese Anlagen aufgrund des Frankenkurses massiv an Wert verloren.
Um die Talfahrt des Euro und die Hausse des als «sicheren Hafen» gesuchten Schweizer Frankens zu stoppen, setzte die Schweizerische Nationalbank (SNB) Anfang September einen Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro fest.
Mit ihrer Intervention verdarb die SNB auch Spekulanten das Geschäft. Diese hatten zuvor darauf gewettet, dass neue Schübe in der Euro-Schuldenkrise oder ungünstige Wirtschaftsdaten aus den USA zu einer Flucht in den Franken und zu dessen Aufwertung führen würde.
Die SNB hat für die Intervention praktisch durchwegs Lob geerntet.
Angesichts des nach wie vor hohen Frankens und der daraus resultierenden Probleme insbesondere der Exportwirtschaft verlangen Wirtschaftsverbände eine Anhebung des Wechselkurszieles der SNB.
Die Wirtschafts-Kommission des Nationalrats wünscht sich die Anhebung auf 1.30 Franken, was aber nur ein «Zwischenziel» auf dem Weg zu 1.40 Franken darstelle.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) fordert eine Wechselkursziel von mindestens 1.40 Franken.
Nationalbank-Präsident Philipp Hildebrand und Vizepräsident Thomas Jordan signalisierten, dass die SNB bereit sei, weitere Massnahmen zur Frankenabschwächung zu treffen, sollte der Franken in einem nicht mehr tolerierbaren Mass aufgewertet werden.
Die Wirtschaft in Europa steht in der härtesten Prüfung seit Gründung der Europäischen Union und der Euro-Zone.
Die massive Verschuldung insbesondere von Griechenland, aber auch von anderen Ländern an der südlichen Peripherie der EU, erfordert
Rettungsmassnahmen in noch nie dagewesenem Ausmass.
Die EU erhöhte jüngst den Rettungsschirm für verschuldete Mitgliedstaaten auf rund eine Billion (1000 Mrd. Euro).
Ob die Rettung Griechenlands vor dem Ruin gelingt, steht noch nicht fest.
Ein Bankrott könnte auch die gesamte EU und den Euroraum in Frage stellen.
Ein Staatsbankrott würde nicht nur die Gläubigerbanken mit in den Abgrund reissen, sondern das gesamte internationale Finanzsystem.
Die Aussichten werden weiter getrübt durch die aufziehende Gefahr einer weltweiten Rezession.
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