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Weiterer Akt im Drama

Keystone

Die meisten Kantonalsektionen der SVP befürworten einen Ausschluss der Bündner Kantonalpartei. Der Zentralvorstand der SVP wird am Samstag höchstwahrscheinlich das mehrfach angedrohte Ausschlussverfahren einleiten.

Dennoch ist ein Ende im Drama um die von der eigenen Partei als «Verräterin» bezeichneten Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf nicht abzusehen. Das hat weniger mit dem Prozedere, als mit politischen Sensibilitäten zu tun.

Die Fronten sind klar: Die Schweizerische Volkspartei will die Bündner aus der Mutterpartei ausschliessen. Dies, weil die Bündner der ultimativen Forderung der SVP Schweiz, Widmer-Schlumpf auszuschliessen, nicht nachgekommen sind.

Widmer-Schlumpf ihrerseits weigert sich bislang beharrlich, aus der Partei auszutreten, die seit mehr als 30 Jahren ihre «politische Heimat» ist.

Nun soll der Ungehorsam Konsequenzen haben: Am 17. Mai entscheidet der Zentralvorstand der SVP Schweiz über den Antrag der Parteileitung, gegen die Bündner SVP ein Ausschlussverfahren zu eröffnen.

Die Zeichen deuten darauf hin, dass das 115-köpfige Gremium den Antrag gutheissen wird, zumal dazu lediglich das einfache Mehr erforderlich ist.

Bereits am 4. April hatte der Zentralvorstand Widmer-Schlumpf mit überwältigender Mehrheit zum Rücktritt aus der Partei und der Landesregierung aufgefordert.

Im Widerspruch zur föderalistischen Tradition

Seither haben sich die meisten Kantonalparteien in Konsultativ-Abstimmungen für einen Ausschluss der Sektion Graubünden ausgesprochen. Lediglich die Berner und die Glarner stellten sich hinter die Bündner.

Für den eigentlichen Ausschluss braucht es eine Zweidrittelmehrheit. Die entsprechende Sitzung des Zentralvorstandes steht am 4. Juli in der Agenda.

Seit Wochen versuchen die liberalen Kräfte innerhalb der Partei den letzten Schritt, also die gleichzeitige Elimination eines Mitglieds der Landesregegierung und einer bei der lokalen Bevölkerung traditionell gut verankerten Kantonalsektion, doch noch zu verhindern. Die kollektive Bestrafung einer Kantonalsektion widerspricht der pluralistischen und föderalistischen Tradition des Landes. Einzelne Parteikader der SVP sprechen deshalb von einer Ultima Ratio.

Bereit zum Kompromiss?

«Ich hoffe sehr, dass es zu keiner Parteispaltung kommt», sagte etwa der Unternehmer und SVP-Nationalrat Peter Spuhler. Dies sei jedoch nur zu verhindern, wenn Widmer-Schlumpf Hand biete zu einem Kompromiss.

Vor wenigen Tagen signalisierte die Bundesrätin eine gewisse Bereitschaft zu einem Kompromiss, sorgte aber gleichzeitig für Irritation.

«Geht es nur um mich, finden wir sicher eine Lösung. Natürlich kann ich einen Schritt machen: Ich könnte morgen aus der SVP austreten. Es stellt sich aber die grundsätzliche Frage: Duldet die SVP Schweiz noch liberale Kräfte?», sagte sie der Zeitung «Sonntag». Ihr Pressesprecher machte jedoch postwendend deutlich, ein Austritt sei «keine Option».

Der Bündner SVP-Nationalrat Hansjörg Hassler interpretiert die Aussage seiner Parteikollegin als rhetorische Frage, im dem Sinne, dass ein Austritt nichts bringe, denn liberale Figuren hätten in der Partei eh nicht mehr viel zu sagen.

Hassler sieht im Rausschmiss der Bündner auch Chancen. Wenn es soweit kommt, wollen die Bündner eine eigene Partei gründen. «Wir können uns als klar bürgerliche Kraft positionieren, die eine anständige Politik betreibt.»

Verlorenes Waadtland

Das erklärt möglicherweise auch die Zurückhaltung der Bündner im Lobbying bei den andern Kantonalsektionen. Eigentlich wollten die Bündner in den vergangenen Wochen möglichst viele Kantonalsektionen auf ihre Seite ziehen: mit Gesprächen und Überzeugungsarbeit.

Im Fall der traditionell eher liberalen und bäuerlichen Waadtländer SVP haben die Bündner darauf verzichtet, Einfluss zu nehmen. Sie verzichteten darauf, mit einem Redner am Parteikongress teilzunehmen.

Niemand habe Zeit gefunden, in die Romandie zu fahren, und keiner aus der Partei sei der französischen Sprache mächtig, lautet die offizielle Begründung der Bündner. – Mit nur sieben Stimmen Differenz stellten sich die Waadtländer schliesslich hinter die Zentralpartei.

Auch der liberale Berner Flügel denkt laut über eine Abspaltung nach. Ein Ansinnen, das viele Beobachter skeptisch beurteilen. Wenn es soweit kommt und sich die Dissidenten bei den Wahlen im Jahr 2011 an den nationalen Wahlen beteiligen, «kommen sie auf einen Wähleranteil von höchstens 5%», prognostiziert der Politologe Oscar Mazzoleni.

swissinfo, Andreas Keiser

Zusammensetzung:

10 Personen aus Parteipräsidium und Parteileitung.

29 Präsidenten der Kantonalparteien und Untergruppierungen.

61 Delegierte der Kantonalparteien. (Anteil gemäss Stimmen bei den Nationalratswahlen)

15 von der Delegiertenversammlung gewählte Parteiexponenten.

Seit mehr als einem Monat fordert die SVP Schweiz den Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf aus der Partei und aus der Landes-Regierung.

Sie sei eine Verräterin, weil sie sich vom politischen Gegner habe wählen lassen und die Partei darüber im Ungewissen liess, lautet das Argument für die Rücktrittsforderungen.

Widmer-Schlumpf hat sich diesen Forderungen klar widersetzt.

Ursprünglich wollte die SVP Schweiz ihr ungeliebtes Mitglied direkt ausschliessen. Ein Rechts-Gutachten kam jedoch zum Schluss, dass die Bündner Kantonalsektion für einen Ausschluss zuständig sei.

Der Parteivorstand der SVP Graubünden hat sich am 10. April hinter Widmer-Schlumpf gestellt. Die Delegierten-Versammlung vom 23. April stützte diesen Entscheid.

Nun will die SVP Schweiz die gesamte SVP Graubünden ausschliessen und eine neue, linientreue Kantonalsektion gründen.

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