Wenig Hoffnung auf Veränderung
Die Bundestagswahl stösst auch bei Auslandschweizern in Deutschland auf Interesse, denn schliesslich gehe es um die Zukunft des Landes. Leider fehlten aber vernünftige Konzepte und gute Köpfe, so der der ernüchternde Tenor einer Diskussionsrunde in München.
Eigentlich sei sie ganz froh, dass sie als Schweizerin nicht wählen dürfe, sagt Fabienne Pakleppa aus Genf, die seit fast 40 Jahren in Deutschland lebt. «Die Wahlpropaganda finde ich schier unerträglich. Kein Politiker weit und breit, der inhaltlich wirklich etwas sagt, kein Kandidat hat Visionen.»
Früher seien Themen im Vordergrund gestanden, so der Doppelbürger Gerhard Wüst. Diesmal werde von den Parteien propagiert, der Wähler müsse entscheiden, welchen Block er wolle, ob CDU/CSU/FDP, also schwarz-gelb, oder wieder die Grosse Koalition. «Etwas anderes gibt es nicht.»
Der Genfer Pierre Dupraz, der seit 1971 in München wohnt, ist seit einem Jahr auch Deutscher. «Ich bin zu lange hier, um nicht mitreden zu können.» Auch er stört sich am farblosen Wahlkampf.
Das Kuschel-Duell
Als Beispiel nennt er das Fernseh-Duell, das mehr «ein Kuschelgespräch zwischen dem ‹Ehepaar Merkel/Steinmeier› gewesen sei. Die seien nur so nett zueinander gewesen, weil sie allenfalls wieder in einer Grossen Koalition zusammenarbeiten müssten.
«Wenn ich mich an das Duell zwischen Nicolas Sarkozy und Ségolène Royal in Frankreich erinnere, kann man das, was in Deutschland gelaufen ist, schlicht vergessen.
Albert Küng kann zwar nicht wählen, ist aber überzeugt, etwas vom Schweizer Mehrparteien-System in die «eher schwarze Politlandschaft in Bayern» hinüberbringen zu können. Dort, wo bis vor einem Jahr eine einzige Partei, nämlich die CSU, herrschte.
«In Bayern können sich die Leute gar nicht vorstellen, dass jede gewählte Partei in der Verantwortung steht.» Als Grund für die gegenwärtige Patt-Situation sieht Küng den Machterhalt der beiden grossen Parteien. (CDU/SP)
Falsche Erwartungen an Wahlkampf
Im Wahlkampf versuche doch jeder nur, für sich zu werben, das sei normal. Mit grossen Gedanken und Visionen gehe das nicht, meint Werner Bulich. «Der Wähler will schlicht und ergreifend Informationen, die ihn in die Lage versetzen, eine Entscheidung zu fällen. Das kann er nicht, wenn ich mich hinstelle und Konzepte und Ideen für die nächsten fünf Jahre entwickle.»
Auch Bulich beurteilt das «Duell» zwischen den beiden Kanzlerkandidaten als langweilig. Der Hauptfehler habe aber bei den Journalisten gelegen, die sich lediglich selbst inszeniert und es versäumt hätten, die beiden Spitzenpolitiker zu fordern.
Dass es den diesjährigen Spitzenkandidaten an Format und Persönlichkeit und dem Wahlkampf an Inhalten und Programmen fehlt, darin sind sich die Münchner Schweizerinnen und Schweizer einig.
Und das, obschon es genügend Themen gebe, kritisiert Dupraz: «Die Atompolitik, Afghanistan, die Gesundheitsreform.» Zudem sei die Wirtschafskrise zu bewältigen, ergänzt Bulich. Gerade diese Krise, so Pakleppa, beweise die Inkompetenz der Politiker und den Mangel an klaren Konzepten.
Der sachliche Wahlkampf
Für Werner Bulich ist klar, dass der deutsche Wähler kriegt, was er verdient. «Er will keine Inhalte, will nicht belästigt, sondern in Ruhe gelassen werden. Und genau das macht Merkel.»
Es passiere zum ersten Mal, dass man sich so zurücknehme, möglichst wenig auf den Gegner eindresche und damit wenig Angriffsfläche biete. «Sie macht einen sachlichen Wahlkampf .»
Fabienne Pakleppa hat null Erwartungen an einen Wahlkampf. «Schon gar nicht, dass er spannend wird. Die Event-Qualität des Wahlkampfs kann man abschaffen. Ich habe aber Erwartungen an Politiker, nämlich, dass sie einigermassen redlich sind.»
Sie bleibt
Dass Angela Merkel Kanzlerin bleiben wird, bezweifelt niemand – in welcher Konstellation auch immer, so der Tenor. Albert Küng hofft, dass sich die Beziehungen zur Schweiz durch die Zusammensetzung des künftigen Kabinetts entspannen werden.
Die meisten wünschen ein Ende der Grossen Koalition und befürworten eine schwarz-gelbe Regierung. «Viele SPD-Leute sind rechthaberisch, nicht glaubwürdig und führen immer das grosse Wort», erkärt Klara Bulich.
«Sollte die SPD stärker werden, könnte es für die Wirtschaft schwierig werden», meint Gerhard Wüst. «Denn es geistern noch immer linke Ideen herum von Verstaatlichung und Umverteilung des Reichtums.»
Werner Bulich traut sich keine Prognose zu. Wenn Schwarz-Gelb sehr knapp werde, müsse man sich fragen, ob eine Grosse Koalition nicht die bessere Lösung sei. «Es muss ja nicht mit demselben Personal passieren.»
Fabienne Pakleppa kann, zum Glück wie sie meint, nicht wählen. «Die Regierung, die ich mir wünsche, wird es sowieso nicht geben. Ich will keine, die Abwrackprämien zahlt, um die Autoindustrie zu stützen, sondern eine, die Alternativenergien fördert. Das würden die Grünen tun. Aber kann ich denen trauen? Denn sie haben den Afghanistan-Einsatz befürwortet.»
Gaby Ochsenbein, München, swissinfo.ch
In Deutschland leben rund 75’500 Schweizerinnen und Schweizer. 46’800 von ihnen haben die doppelte Staatsbürgerschaft.
Rund 3000 in Deutschland lebende Schweizer sind in insgesamt 40 Vereinen organisiert. Das sind 240 oder 8% weniger als im Jahr zuvor.
Der Schweizer Verein München ist der älteste und grösste Schweizer Club in Deutschland: Er ist 160 jährig und zählt rund 400 Mitglieder.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch