Wenn Demokratie zur Belastung wird
In der Innerschweizer Gemeinde Bauen, nahe der Rütliwiese, dem Geburtsort der Schweizer Demokratie, zeigt sich deren Kehrseite: Bürger wandern aus politischen Gründen aus, weil sie zu einem Amt in der Gemeindeexekutive gezwungen wurden.
Idyllisch schmiegt sich das 180-Seelen-Dorf Bauen in eine Bucht des Urnersees – Innerschweiz pur. Durch die besonders geschützte geografische Lage mischt sich ein Hauch mediterraner Vegetation in die urchige Landschaft.
Hier werden die süssesten Feigen ennet der Alpen geerntet, Palmen in den Gärten sind keine Seltenheit.
Und ausgerechnet in diesem Paradies hängt der demokratische Haussegen schief.
Wie andere kleine Gemeinden bekundete auch Bauen Mühe, Mitbürgerinnen und –bürger für die Führung der Gemeinde zu rekrutieren.
Durch den im Kanton Uri herrschenden Amtszwang können Gemeindebürger zu einem Amt verpflichtet werden.
Dies ist drei Bauenern passiert. Ohne ihre Zustimmung wurden sie in den Gemeinderat gewählt, eine Person sogar als Gemeindeoberhaupt.
Die drei gegen ihren Willen Gewählten hatten im Dezember 2008 ein Amtsentlassungsgesuch eingereicht. Darüber hätte an einer Gemeindeversammlung befunden werden müssen, die jedoch nicht abgehalten wurde.
Als Konsequenz haben alle drei ihren Wohnsitz in Nachbargemeinden verlegt und stehen somit nicht mehr für ein Amt in Bauen zur Verfügung.
Unregierbar?
Jetzt sind nur noch zwei Gemeinderäte im Amt, und damit ist die Gemeinde nicht regierbar. Um beschlussfähig zu sein, braucht es mindestens drei Exekutivmitglieder.
Sollten keine Ersatzmitglieder gefunden werden, die freiwillig ein solches Amt übernehmen, droht der Gemeinde die Zwangsverwaltung durch den Kanton.
Im Kantonshauptort Altdorf blicken die Behörden mit Sorge auf Bauen, denn eine Zwangsverwaltung ist sicher nicht die ideale demokratische Regierungsform.
Emanuel Strub, Direktionssekretär der Urner Justizdirektion, sagt gegenüber swissinfo: «Noch ist keine Zwangsverwaltung beschlossen. Doch die Kantonsregierung wird an ihrer Sitzung am nächsten Dienstag die Situation besprechen und Lösungen suchen.»
Tatsächlich müsste der Kanton unerlässliche Anordnungen, die von einer beschlussfähigen Gemeindexekutive getroffen werden müssen, anstelle der Gemeinde treffen. Darunter fielen laut Strub unter anderem Baubewilligungen, Vormundschafts- oder Beistandschafts-Entscheide.
Rettungsanker Gemeindefusion?
Emanuel Strub bestätigt, dass es auch in grösseren Gemeinden zunehmend schwierig wird, Mitbürger für die Gemeindeführung zu finden. Deshalb denken einige Gemeinwesen an eine Fusion mit Nachbardörfern.
Diese Gedanken hat man sich auch schon in Bauen gemacht. Die Bauener sind für einen Anschluss an die Nachbargemeinde Seedorf. Die Seedorfer sind aber noch nicht so weit. Sie haben zwar zugesagt, das Bauener Gesuch zu prüfen, haben jedoch noch keine Entscheidung getroffen.
Und da die Bauener Gemeindeführung im Moment nicht beschlussfähig ist, kann sie auch keine Verhandlungen mit den Behörden des Nachbardorfs führen – ein Teufelskreis!
Gemeindefusionen sind laut Strub im Kanton Uri aber nicht so einfach. Bedingt durch seine Lage – ein Längstal und viele abgeschlossene Seitentäler – seien Fusionen wegen der geografischen Abtrennungen schwieriger als in einem zusammenhängenden Gebiet.
Eidg. dipl. Gemeinderat?
Bauen steht mit seinem Schicksal nicht allein. Dasselbe blüht auch anderen Kommunen im ganzen Land. Der Schweizerische Gemeindeverband möchte diese Entwicklung stoppen.
Er will dem Desinteresse an lokaler Politik und öffentlichen Ämtern mit einem Ausbildungsgang mit eidgenössischem Fachausweis für Gemeindefachmänner und -frauen entgegentreten.
Mit diesem eidgenössisch anerkannten Titel will der Gemeindeverband die Kompetenzen der Behörden stärken und die Attraktivität der Gemeindearbeit erhöhen.
Emanuel Strub ist sich jedoch nicht sicher, ob das ein probates Mittel ist: «Es gibt einfach immer weniger Menschen, die sich für ein öffentliches Amt zur Verfügung stellen wollen.»
swissinfo, Etienne Strebel
Bauen am Vierwaldstättersee ist mit einer Bodenfläche von 570 Hektar die kleinste Gemeinde im Kanton Uri.
Im auf 440 Meter über Meer liegenden Dorf wohnen rund 180 Menschen.
Der wohl bekannteste Bauener ist Pater Alberik Zwyssig, der Komponist des Schweizerpsalms «Tritts im Morgenrot daher».
Das ganz in der Nähe der Schweizer Nationalwiese «Rütli» liegende Bauen wurde um 1150 erstmals urkundlich erwähnt.
Bauen liegt unterhalb Seelisberg am 35 Kilometer langen «Weg der Schweiz»-Wanderweg, der zum 700-Jahr-Jubiläum der Schweizerischen Eidgenossenschaft entstand.
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