Wer bezahlt die Politik? Die Schweiz hat Zahlen, aber kein Wissen
Seit einem Jahr kennt die Schweiz neue Transparenzregeln in der Politikfinanzierung. Aber die erstmals dazu publizierten Zahlen geben keine Antworten, im Gegenteil.
Wieviel Geld erhalten die Parteien? Bei der Transparenz auf diese Frage war die Schweiz lange das Schlusslicht Europas, zusammen mit Belarus.
Dabei wäre die Parteienfinanzierung gerade in einem Land von Bedeutung, das von seinen Stimmbürger:innen viermal im Jahr informierte Entscheide an der Urne erwartet.
Entsprechender Druck aus der Bevölkerung führte schliesslich zu neuen Schweizer TransparenzregelnExterner Link. Für die nationalen Wahlen im Herbst 2023 sind diese in Kraft getreten.
Die OffenlegungspflichtExterner Link gilt für die im Schweizer Parlament vertretenen Parteien. Wer für seine Wahl ins Parlament oder für eine Abstimmung eine Kampagne führt, muss diese offenlegen, wenn dafür mehr als 50’000 Franken aufgewendet werden.
Anonyme Spenden oder Spenden aus dem Ausland sind grundsätzlich verboten.
Spenden von Auslandschweizer:innen sind aber zulässig.
Bei Einzelspenden an Politiker:innen im Parlament oder an Parteien ab 15’000 Franken müssen die Urheber:innen namentlich offengelegt werden
Doch ein Jahr später herrscht Ernüchterung. Die Eidgenössische Finanzkontrolle, die seither über alle Parteispenden akribisch Buch führte, publiziert ihre ErgebnisseExterner Link nun mit begleitenden Erklärungen und einigen Fussnoten.
«Nebel produziert»
Die Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen. «Eigentlich ist es primär Nebel, der mit diesen Zahlen produziert wird», bemerkte ein Journalist, als die Eidgenössische Finanzkontrolle ihre Resultate vorab den Medien präsentierte. Ein anderer sagte: «Wem, wie viele Mittel zufliessen, das kann man aufgrund von diesen Daten nicht sagen.»
Auffallend ist tatsächlich, was alles nicht in die Erhebung der Parteienfinanzierung eingeflossen ist. So fehlen beispielsweise alle Einnahmen der Kantonalparteien, denn untersucht wurde ausschliesslich auf landesweiter Ebene, also bei den nationalen Parteien. Ob und wie sehr dies das Gesamtbild verzerrt, bleibt offen. Denn jede Partei hat ihre eigene Struktur.
Die bekannten Resultate sehen so aus:
Unter dem Radar
Ebenso fehlen die Budgets von Akteuren, die von Gesetzes wegen nicht von diesem Transparenz-Radar erfasst wurden. Das können Unterstützungskomitees sein oder Interessensvertretende, die etwa über Werbeagenturen Einfluss auf die Politik nehmen. Es können Spendervereine sein oder Kampagnenorganisationen, die über eigene Kanäle zu eigenen Budgets gelangen. «Man kann ausserhalb der Partei Kampagnen machen, und die Mittel werden dorthin gezahlt», haben die Kontrolleure des Bundes festgestellt.
Oder es können Stiftungen sein, vielleicht vor allem, aber man weiss es ja nicht genau.
Stiftungen – gemacht, um Anonymität zu schaffen: Auch in der Schweizer Politik sind sie beliebt, und sie stellen die Prüfer:innen vor ein Dilemma. Diese hätten eigentlich die Aufgabe, die ursprünglichen Spender:innen zu evaluieren. «Aber Stiftungen können wir nicht prüfen», sagt Pascal Stirnimann, der Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle.
Gesetz ohne Zähne
Woran liegt es? Das Gesetz will es so. «Das Gesetz nimmt bewusst in Kauf, dass die Transparenz begrenzt ist», sagt Stirnimann.
Die Prüfenden können deshalb lediglich an die Sorgfaltspflicht der Parteien appellieren. «Die Partei muss bei den Stiftungen anklopfen. Wenn sie das nicht macht, kann sie sich strafbar machen», hiess es. Strafbar wären auch gestückelte Einzahlungen mit dem Ziel, die Meldeschwellen zu unterlaufen.
Ob und in welchem Ausmass solche getätigt wurden? Das bleibt intransparent.
Es gibt weitere Beispiele, die auf die fehlenden Zähne der neu geschaffenen Gesetze hinweisen. So kann es sein, dass die Kontrolleur:innen zwar wissen, dass Zahlen falsch sind – und müssen diese dennoch wie gemeldet publizieren. Das gilt selbst dann, wenn die Prüfenden Strafanzeige einreichen, weil ein politischer Akteur die Regeln absichtlich umgeht. Nicht einmal dann darf die Öffentlichkeit vom möglichen Fehlverhalten erfahren.
«Transparenz ist nicht absolut», lautet darum die Botschaft, welche die Kontrolleure ihren Ergebnissen mit auf den Weg in die Öffentlichkeit geben.
Für ihre mangelnde Transparenz ist die Schweiz in den vergangenen Jahren oft kritisiert worden, insbesondere von der Staatengruppe des Europarates gegen Korruption («Greco»). Was sagt diese heute? Sie anerkenne die erzielten Fortschritte, hiess es.
Wo geht das Geld hin?
Bei einer Evaluation der Schweizer Ergebnisse im Juni 2024 sah die Greco laut der Eidgenössischen Finanzkontrolle in sechs Punkten aber noch Verbesserungsbedarf. Drei davon seien bereits umgesetzt, informierte die Finanzkontrolle.
Kritisch aber bleibt: Die Greco wünscht auch Transparenz bei den Ausgaben der Parteien. Wo geht das Geld hin? Offenlegen müssen diese bisher nur ihre Einnahmen.
«Es gab eine intensive Zeit der Schulung, auch für die Parteien», hiess es zur erstmals durchgeführten Erhebung. Diese Zeit sei nun vorbei. Will heissen: In Zukunft schützt Unwissenheit nicht mehr vor Strafe.
Bleibt die Frage, ob Sorgfaltspflichten und Meldepflichten genügen, wenn politische Akteure ihre Finanzflüsse gezielt verschleiern wollen.
Einer, der dies öffentlich anzweifelt, ist ausgerechnet der frühere Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle, Michel Huissoud. Seit jeher ein kritischer Geist, arbeitet der einstige oberste Finanzkontrolleur der Schweiz heute als freier Journalist. Und als solcher verlangt er nun auf gerichtlichem Weg vertieften Einblick in die Resultate seiner einstigen Untergebenen. Es geht um die Stichproben, mit denen die Kontrolleur:innen die gemeldeten Angaben nachprüfen.
Auch diese Ergebnisse dürfen die Prüfenden – wie alles, das sie entdecken – nicht publizieren.
«Wir lesen Zahlen, die falsch sind»
Huissoud sagt, die Öffentlichkeit müsse erfahren, wenn Abstimmungskomitees oder Kandidierende Gelder falsch deklarieren. «Wenn die Finanzkontrolle Fehler festgestellt hat, dann muss man das auch wissen. Sonst lesen wir Zahlen, die falsch sind. Und das ist nicht das Ziel dieser Transparenzbestimmungen», sagt Michel Huissoud zu SRFExterner Link.
Sein Nachfolger Pascal Stirnimann äussert sich zu diesem laufenden Rechtsstreit nicht. Er sagt nur: «Es gibt Potenzial für Nachbesserungen.»
Editiert von Samuel Jaberg
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