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Wie gut muss man in der Schweizer Politik aussehen?

Politarena: Das Aussehen ist zwar wichtig - aber nicht allein ausschlaggebend. Keystone

Die physische Attraktivität von Politikern und Politikerinnen zählt offenbar mehr, als wir uns eingestehen wollen. Aber wie entscheidend ist der Faktor Schönheit in der schweizerischen direkten Demokratie? Polit-Experte Georg Lutz erklärt.

Der Politologe Georg Lutz erläutert gegenüber swissinfo.ch, weshalb Mister und Miss Schweiz einen relativen Vorteil hätten, und in einer Parlamentswahl trotzdem keinen Sitz erringen würden.

Lutz, Experte für politisches Verhalten, erstellte seine Studie mit Daten aus den letzten Parlamentswahlen am Schweizer Kompetenzzentrum für Sozialwissenschaften der Universität Lausanne.

Nicht zum ersten Mal wurde aufgezeigt, dass nur wenige Wählerinnen und Wähler ihre Kandidaten-Wahl aufgrund komplexer politischer Erwägungen wie Parteiprogramm oder Performance der etablierten Parteien und Kandidaten treffen. Möglicher Grund: Mangelndes Interesse an der Politik.

Lutz wollte mit seiner Erhebung die Aufmerksamkeit auf das Wahlverhalten der Leute richten und sie gleichzeitig  auffordern, sich über die Mechanismen in einem Wahlkampf Gedanken zu machen.

swissinfo.ch: Wie wichtig ist es für eine Partei, körperlich attraktive Kandidatinnen und Kandidaten zu präsentieren?

Georg Lutz: Für den Wettbewerb zwischen den Parteien spielt es eigentlich keine grosse Rolle. Eine Partei möchte einfach so viele Sitze wie möglich gewinnen.

Aber jede Partei braucht ein paar Kandidaten, die das Parteiprogramm in kohärenter Weise präsentieren können. Und wenn sie dabei körperlich attraktiv sind, ist das wahrscheinlich von Vorteil.

Für den einzelnen Kandidaten ist dies sicherlich recht hilfreich, weil der Wettbewerb nicht zwischen den Kandidatinnen und Kandidaten der verschiedenen Parteien stattfindet, sondern zwischen den Kandidaten der eigenen Partei.

swissinfo.ch: Wäre einer Miss oder einem Mister Schweiz ein Parlamentssitz garantiert, wenn eine Partei sie oder ihn überzeugen könnte, zu kandidieren?

G. L.: Gut auszusehen hilft – es kann einen Unterschied machen, aber es reicht nicht. Die Kandidierenden müssen glaubwürdig sein und ein paar politische Wurzeln haben. Sie müssen auch in der Lage sein, grundlegende politische Aussagen machen zu können. Der Wettbewerb um einen Parlamentssitz ist in allen Parteien hart.

swissinfo.ch: Haben Sie mit ihrer Studie herausgefunden, für wen Attraktivität die grössere Rolle spielt: für männliche oder für weibliche Kandidierende?

G. L.: Wir haben nicht herausgefunden, ob Schönheit für männliche oder weibliche Kandidierende wichtiger ist. Aber wir fanden für beide Geschlechter zutreffende Hinweise: Attraktive Frauen und attraktive Männer erhalten mehr Stimmen als die weniger attraktiven.

swissinfo.ch: Worin äussert sich diese Attraktivität?

G. L.: In der wissenschaftlichen Literatur gibt es den Begriff «Attraktivitäts-Konsensus». In der ganzen Welt, von Europa über Asien bis zu den Vereinigten Staaten, gibt es eine Übereinstimmung, welche Gesichter attraktiv aussehen und welche nicht.

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Individuen, was diese als gut aussehend bezeichnen oder nicht. Interessanterweise ist jedoch die Bandbreite relativ begrenzt.

Wenn ein Kandidat gefunden wird, der in einem Land attraktiv ist, ist derselbe Kandidat wahrscheinlich auch attraktiv in einem Land mit einem komplett anderen Hintergrund.

swissinfo.ch: Welche Faktoren wie Position auf dem Wahlzettel, Beliebtheit oder Schönheit sind für Wahlerfolge am wichtigsten?

G. L.: Im Allgemeinen erhöht Bekanntheit die Chancen, gewählt zu werden. Dies aus dem einfachen Grund, weil es in einer landesweiten Parlamentswahl sehr viele Kandidierende gibt. Die meisten Kandidaten erhalten nicht genügend Aufmerksamkeit, und viele machen  in der Öffentlichkeit nicht viel mehr als ihre Wahlkampagne.

Erfolgreichn werden eher von einer ausreichenden Anzahl Wählerinnen und Wähler wahrgenommen. Das ist wichtiger als ein kohärentes politisches Programm.

swissinfo.ch: Wie überraschend sind Ihre Erkenntnisse über den Vorteil der Attraktivität?

G. L.: Die Tatsache, dass die wahrgenommene Attraktivität eine – ziemlich starke – Auswirkung auf die Anzahl der Stimmen hat, ist keine Überraschung. Sie steht im Einklang mit früheren Studien, die belegen, dass Attraktivität in sehr unterschiedlichen Kontexten wirkt.

Das Ziel unserer Studie war nicht, die Leute zu überraschen, sondern einen kritischen Blick auf das Wahlverhalten zu werfen.

Ein ideales demokratisches Modell geht nämlich davon aus, dass die Wähler und Wählerinnen die Parteiprogramme prüfen, dass sie die Kandidierenden durchleuchten, ihre Hintergründe, ihre Erfahrungen. Aufgrund dieser Recherchen sollte dann eine informierte und rationale Auswahl getroffen werden.

Es gibt jedoch simple Faktoren wie die Attraktivität oder die Position auf dem Wahlzettel, welche die Wählenden beeinflussen. Dies sind nicht unbedingt rationale Kriterien. Sie zeigen jedoch, wie schnell eine Entscheidung über eine Kandidatin, einen Kandidaten gefällt sein kann.

swissinfo.ch: Ist das nicht beunruhigend?

G. L.: Gutes Aussehen allein ist nicht wahlentscheidend. Aber es zeigt doch, dass die Wahl eines Kandidaten, einer Kandidatin nichts anderes ist, als ein Produkt von einem Supermarktregal zu nehmen. Eine Entscheidung, die zum Beispiel auch durch die Farbe der Verpackung beeinflusst werden kann.

Aber es gibt keinen Grund zur Beunruhigung, da solch oberflächliche Kriterien nicht für die Wahl einer politischen Partei gelten.

Die meisten Wählenden vergleichen nicht die Kandidaten aller verschiedenen Parteien, sondern nur von jener, mit der sie sich verbunden fühlen. Letztlich ist die Zahl der Sitze wichtiger als der einzelne Kandidat, der seine Partei im Parlament repräsentiert.

swissinfo.ch: Welche Reaktionen hat Ihre Studie in der akademischen Welt und bei den Medien ausgelöst?

G. L.: Den Medien gefällt sie. Es ist genau das, was sie mögen – beweist das nicht dieses Interview? (lacht).

Die anderen Reaktionen waren gemischt. Wissenschafter aus dem Bereich der politischen Psychologie schätzen diese Studie, ihre Versuchsanordnung, ihre Methoden. Dann gibt es jene, die sich am einfachen und offensichtlichen Ergebnis stossen. Sie betrachten die Studie als nutzlos.

Für andere Kritiker ist die Durchführung einer Studie, die zu einem solchen Schluss kommt, einfach schockierend. Es sei nicht sehr schmeichelhaft für die Demokratie, wenn herauskomme, dass das Stimmvolk aus rein rationalen Kriterien entscheide.

Meine Stelle an der Universität Lausanne wird vom Nationalfonds finanziert. Und ich geniesse die akademische Freiheit, solche Studien durchzuführen. Aus diesem Grund beeindrucken mich solche Kritiken nicht besonders.

Die Studie wertete 744 von insgesamt 3089 Kandidierenden aus, die sich im Jahr 2007 zur Wahl in den Nationalrat stellten.

Die Befragten wurden gebeten, die physische Attraktivität der Kandidierenden sowie deren Kompetenz zu bewerten.

Diese Entscheidungen wurden mit dem tatsächlichen Wahlergebnissen von 2007 verglichen.

Die Bilder in der Umfrage wurde randomisiert (zufällig verteilt), und die Teilnehmenden durften Pausen machen in der über 2-stündigen Online-Evaluation.

Das Ergebnis der Studie wurde in der schweizerischen Zeitschrift für Politwissenschaft im Oktober 2010 veröffentlicht.

Wahlen ins Schweizer Parlament finden alle vier Jahre statt. Die nächsten werden am 23. Oktober 2011 durchgeführt.

Das schweizerische Wahlsystem basiert auf dem Verhältniswahlrecht. Das Stimmvolk hat nicht nur die Wahl zwischen Parteien oder Kandidaten, sondern auch zwischen den Kandidierenden einer Partei.

Das Schweizer Parlament besteht aus dem 200-köpfigen Nationalrat und dem 46 Sitze zählenden Ständerat, der Kantonsvertretung.

Die Parlamentssitze teilen sich derzeit auf 12 Partien auf – fünf von ihnen sind in der Regierung verteten.

(Übertragung aus dem Englischen: Etienne Strebel)

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