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Wie stark 5G-Antennen strahlen dürfen in der Schweiz, wurde im stillen Kämmerchen bestimmt, und zwar so…

eine Mobilfunkantenne
Adaptive Antennen dürfen bei Sendespitzen mit einer zehnmal höheren Leistung als herkömmliche Antennen senden. © Keystone / Peter Klaunzer

Adaptive Antennen senden heute in Spitzenzeiten mit einer bis zu zehnmal höheren Leistung als herkömmliche Antennen. Die Leistungsgrenze dieser 5G-Anlagen wurde politisch fixiert, gegen den Rat von Umweltärzt:innen. Das enthüllt das Westschweizer Fernsehen RTS, nachdem sich der Sender unter Berufung auf das Öffentlichkeitsprinzip Zugang zu Dokumenten verschafft hat.

Seit Ende 2020 ist 5G in der Schweiz in Gebrauch, und es werden neue, sogenannte “adaptive” Antennen gebaut. Sie ermöglichen den Austausch mit den Telefonen der nächsten Generation auf gerichteter Basis. Da sie weniger breit (also nicht kugelförmig) senden, stellt sich die Frage, ob sie stärker senden dürfen.

Die Entscheidung darüber wurde hinter den Kulissen politisch getroffen, durch eine Arbeitsgruppe, die aus Vertreter:innen der Mobilfunkanbieter, der Bundesämter und der Kantone bestand. Im Gremium sassen auch Umweltärtz:innen.

Der entscheidende Punkt der Diskussionen war die Festlegung des “K-Faktors”. Diese Zahl ist es, die es den Netzbetreibern erlaubt, die Leistung der Richtantennen zu erhöhen oder nicht.

Nach einer Konsultation konnten die Akteur:innen keine Einigung erzielen. Die Umweltärzt:innen waren generell gegen eine Leistungssteigerung. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) wollte den Netzbetreibern erlauben, Richtantennen auf maximal das Vierfache der gesetzlich vorgeschriebenen Leistung einzustellen. Die Mobilfunkanbieter wiederum forderten, dass sie die Leistung auf das 15-fache einstellen dürfen. Und das Bundesamt für Kommunikation war sogar damit einverstanden, bis zum 20-Fachen der gesetzlich festgelegten Leistung zu gehen.

Entscheid der Bundesrätin

An einer Sitzung zwischen dem Departement und den Ämtern unter dem Vorsitz der damaligen SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga am 16. Dezember 2020 wurde beschlossen, dass die adaptiven Antennen bei Sendespitzen mit einer zehnmal höheren Leistung als herkömmliche Antennen senden dürfen.

Dies unter der Bedingung, dass der 6-Minuten-Mittelwert den Wert der konventionellen Antennen nicht überschreitet.

Textausriss
Auszug aus dem Dokument “Protokoll des Bafu-Berichts vom 16. Dezember 2020”, Sitzung unter der Leitung von PCSO, Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. Zu Deutsch: “…wir können auch einen Schritt auf die Branche zugehen: Der Korrekturfaktor für Antennen mit 64 Gliedern wird auf -10db festgelegt. Die Staffelung des Korrekturfaktors für Antennen mit 16 und 32 Gliedern wird entsprechend angepasst.” RTS

Eine Entscheidung, die im Sinne der Netzbetreiber war, die bei den Diskussionen in der Arbeitsgruppe den Faktor 10 ins Spiel gebracht hatten.

Grafische Darstellung
Auszug aus dem Dokument “Bericht des BAFU vom 25. Januar 2021”, der die Entscheidung des Departements (in blau) und die verschiedenen Vorschläge, darunter den des Bundesamts für Umwelt (in rosa), zeigt. RTS

Wirtschaftliche Herausforderungen

Bei der Erhöhung der Leistung dieser 5G-Antennen geht es um die Entwicklung des 5G-Netzes. In den Dokumenten, die RTS erhalten hat, finden sich Zahlen, welche das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation des Bundes (Uvek) lieber diskret behandelt hätte.

Sie zeigen, dass, wenn diese neuen Antennen nicht stärker senden könnten, 46’000 zusätzliche Antennen gebaut werden müssten. Diese Zahl sinkt mit der Lösung der Netzwerkanbieter auf 3100. Die heute geltende Realität liegt dazwischen.

Tabelle
Auszug aus dem Dokument “Bericht des BAFU vom 16. Dezember 2020”, in dem die Anzahl der zu errichtenden adaptiven Antennen abhängig von der erlaubten Leistung angegeben ist. RTS

Schäden für die Gesundheit nicht auszuschliessen

Laut den Umweltmediziner:innen, die in der Arbeitsgruppe vertreten waren, könnten die Strahlungsspitzen schädlich für die Gesundheit sein. Deshalb lehnten sie den Korrekturfaktor ab.

“Die neue Dynamik der Strahlenbelastung durch adaptive Antennen stellt für uns eine potenzielle Gefahr dar, die noch nicht vollständig untersucht wurde. Daher ist aus unserer Sicht als Ärzten die Aufrechterhaltung des Schutzniveaus mit dem vorgesehenen Korrekturfaktor nicht gewährleistet. Für uns ist es wichtig, dass weder in der Vollzugshilfe noch in den Erläuterungen und Pressemitteilungen der Eindruck erweckt wird, dass das gesetzlich geforderte Schutzniveau bei der geplanten Regelung erhalten bleibt”, heisst es in einem Brief der Umweltärzt:innen an Simonetta Sommaruga vom 14. Dezember 2020.

Eine politische Frage

RTS hat das Uvek aufgefordert, zu diesen Entscheidungen Stellung zu nehmen. Das Bundesamt antwortete: “Der Korrekturfaktor wurde auf der Grundlage von wissenschaftlichen Messungen bestimmt, die von den Bundesämtern für Umwelt und Kommunikation vor Ort durchgeführt wurden. Diese Messungen haben bestätigt, dass adaptive Antennen weniger strahlen als herkömmliche Antennen. Dadurch war es möglich, den Korrekturfaktor auf -10 dB festzulegen und gleichzeitig das Gesundheitsschutzniveau beizubehalten. In jedem Fall müssen die Grenzwerte von den Antennen eingehalten werden.”

Und weiter: “Wie in vielen Bereichen sind auch die Entscheidungen über adaptive Antennen das Ergebnis einer Interessenabwägung. Die Behörden reagieren auf die Bedürfnisse der Gesellschaft in Bezug auf die Digitalisierung und stellen gleichzeitig den Gesundheitsschutz der Bevölkerung sicher.”

Auf die Frage, warum das UVEK einen Schritt auf die Branche zugegangen ist oder warum man sich entschieden hat, seinem Umweltamt, dessen Aufgabe es ist, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, bei solchen Entscheidungen nicht zu folgen, wich das Departement aus: “Die politischen Fragen, die Sie stellen, beziehen sich auf ein Führungsteam, das nicht mehr im Amt ist und seine eigenen Überlegungen angestellt hat.”

Zu beachten ist, dass das neue Führungsteam unter dem heutigen Uvek-Vorsteher Albert Rösti bald über die Umsetzung einer Motion informieren wird, welche die Rahmenbedingungen für eine schnelle Verbreitung von 5G schaffen soll. Es ist also durchaus möglich, dass die Politik bald wieder Bewegung in die Sache bringt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Französisch auf RTSExterner Link.

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