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Wird die Gesundheitsversorgung bald einheitlich finanziert?

Pflegepersonal am Bett eines beatmeten Patienten wird bei einem Pressebesuch am Rande der Einweihung der neuen Notaufnahme für Erwachsene des Universitätsspitals Genf
Die Schweizer:innen gehen erneut an die Urne, um über die Finanzierung des Gesundheitssystems zu entscheiden. Keystone / Valentin Flauraud

Am 24. November entscheiden die Schweizer Wähler:innen, ob sie die einheitliche Finanzierung der Gesundheitsleistungen annehmen. Ziel der Reform ist es, ambulante Behandlungen zu fördern und die Prämienlast für die Versicherten zu senken. Der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) hat das Referendum ergriffen, weil er negative Folgen für Pflegekräfte und Kranke befürchtet.

Bei der Vorlage handelt es sich um einen neuen Finanzierungsschlüssel im komplexen Dossier der Gesundheitskosten. Das Thema ist ein Dauerbrenner: In diesem Jahr haben die Schweizer Stimmbürger:innen bereits eine Volksinitiative zur Kostendämpfung und eine weitere zur Prämienverbilligung abgelehnt.

Nun folgt am 24. November eine weitere Abstimmung in Sachen Krankenversicherung. Die 2009 eingeleitete Revision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) wurde im Dezember 2023 nach vierzehnjähriger Arbeit im Parlament verabschiedet. Eine grosse Mehrheit der Parlamentarier hat die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (EFAS) gebilligt. Es handelt sich dabei um eine der umfassendsten Reformen für das 30 Jahre alte KVG, das eine obligatorische Krankenversicherung für jede in der Schweiz lebende oder erwerbstätige Person vorsieht.

Wie funktioniert die Finanzierung heute?

Wer sich im Spital behandeln lässt und mindestens eine Nacht dort verbringt, erhält so genannte stationäre Leistungen. Die Kantone finanzieren über ihre Steuereinnahmen mindestens 55 Prozent der Kosten der stationären Leistungen (mit Übernachtung im Spital), höchstens 45 Prozent werden über die Prämien der versicherten Personen bezahlt.

Ambulante Leistungen (ohne Übernachtung) werden hingegen vollständig durch Prämien der Krankenversicherung finanziert.

Bei der Langzeitpflege – in einem Pflegeheim oder zu Hause – wird die Rechnung von der obligatorischen Krankenversicherung (Grundversicherung) und den Patienten bezahlt (in festgelegte Beitragshöhen) sowie der Rest von den Kantonen übernommen.

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Was bedeutet EFAS?

Die einheitliche Finanzierung legt für alle drei Bereiche der Grundversicherung (ambulant, stationär, Pflege) den gleichen Verteilschlüssel fest. Die Kantone leisten demnach einen Beitrag von 26,9 Prozent der Nettokosten (das heisst nach Abzug der Kostenbeteiligung) an die Versicherer. Maximal 73,1 Prozent der Nettokosten werden mit Prämien finanziert.

Die Einführung erfolgt stufenweise: Ab 2028 sollen ambulante und stationäre Leistungen einheitlich finanziert werden, ab 2032 auch die Pflegeleistungen.

Gemäss dem revidierten KVG finanzieren die Kantone demnach in Zukunft auch die ambulanten Leistungen durch Steuergelder. Sie erhalten im Gegenzug einen bestimmten Gestaltungsfreiraum. Neu können sie für alle ambulanten Leistungserbringer (nicht nur wie bisher Ärztinnen und Ärzte) vorsehen, dass in einer bestimmten Kategorie keine neuen Zulassungen möglich sind.

Was soll die Revision des KVG bewirken?


Die Revision soll die Übernahme der Spitalkosten zwischen Krankenversicherungen und Kantonen neu austarieren, die Qualität der Pflege verbessern und die Prämienlast für die Versicherten verringern.

Die Revision zielt darauf ab, falsche Anreize innerhalb des Systems zu beseitigen. Heute muss beispielsweise nach einem chirurgischen Eingriff zwingend eine Nacht im Spital verbracht werden. Das ist nicht immer sinnvoll.

Anders gesagt: Die Versicherer haben heute keine Anreize, die kostensparende Verlagerung von stationär zu ambulant zu fördern. Soweit die Verlagerung trotzdem erfolgt, steigt dadurch der Anteil der Prämienfinanzierung.

Laut dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) wurde das Wachstum der ambulanten Leistungen in den letzten Jahren aufgrund der Verlagerung von stationären zu ambulanten Leistungen vollständig von der obligatorischen Krankenversicherung, das heisst über die Prämien, finanziert. Der Anteil der Steuerfinanzierung hat sich aus diesem Grund in den letzten Jahren laufend reduziert, während die Prämien angestiegen sind.

Gibt es offizielle Zahlen zu den geplanten Einsparungen?

Die einheitliche Finanzierung soll auch die Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren des Gesundheitssystems fördern. Überflüssige Leistungen wie Doppeluntersuchungen, unnötige Spitaleinweisungen oder ein zu früher Eintritt in ein Pflegeheim sollen verhindert werden. Eine vom BAG in Auftrag gegebene Studie hat ein Sparpotenzial von bis zu 440 Millionen Franken pro Jahr errechnet.

Wer unterstützt die Revision und warum?

Die KVG-Revision ist das Ergebnis eines Kompromisses im Parlament und wird vom Bundesrat, der Mehrheit der politischen Parteien und den meisten Akteuren des Gesundheitswesens unterstützt. Eine besser koordinierte Gesundheitsversorgung wird die Qualität der Behandlungen und die Betreuung der Patienten verbessern, so die Befürworter:innen.

«In Zusammenarbeit mit den Partnern in der Versorgungskette wird für jeden Patienten auf individuelle Weise die beste Lösung gefunden», heisst es in einer MedienmitteilungExterner Link der Allianz für EFAS, die 22 Berufsverbände vereint (darunter Spitex, Spitaldachverband H+, FMH, Curafutura, Interpharma) und sich klar für die Vorlage ausspricht.

Die Befürworter:innen argumentieren, dass EFAS die Verlagerung in

den ambulanten Bereich beschleunigt, die Genesungsphase zu Hause (auch dank Spitex-Diensten) fördert und so zu Einsparungen für die Prämienzahler führt.

Die Verlagerung in den ambulanten Bereich werde zudem auch für die Gesundheitsfachkräfte von Vorteil sein, da sie von geregelteren Arbeitszeiten werden profitieren können. Auf diese Weise könnten Gesundheitsberufe wieder attraktiver werden. «In Zukunft werden die Kantone auch bei den Tarifen für die ambulanten Leistungen ein Wörtchen mitzureden haben. Unter diesen Umständen wird die Macht der Krankenkassen nicht gestärkt, sondern verringert», betont der Wirtschaftsdachverband economiesusisse.

Warum sind die Gewerkschaften gegen die Reform?

Der Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) hat mit Unterstützung des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) unter dem Slogan «Stop EFAS» das ReferendumExterner Link gegen die Vorlage ergriffen. Die Gewerkschaften sind der Meinung, dass EFAS die Versorgungsqualität in der Alterspflege gefährdet, die Arbeitsbedingungen in den Altersheimen weiter unter Druck setzt und die Tarifmacht der Krankenversicherer erhöht. Damit steige schliesslich der Druck auf die Prämien. Die Kostenfrage habe Vorrang vor den Bedürfnissen der Patienten erhalten.

Für die Gegnerschaft der Vorlage geben die Kantone ihre Verantwortung an die Versicherer und damit an die Privatwirtschaft ab. Letztlich entledige sich die öffentliche Hand ihrer Pflicht, die Finanzierung der Pflegeheime und der häuslichen Pflege zu gewährleisten.

«Die Bewohner:innen von Pflegeheimen würden als Profitquelle betrachtet, obwohl sie verletzliche Menschen sind», meint die VPOD-Generalsekretärin Natascha Wey. Mit EFAS würde die Verantwortung der Finanzierung des Gesundheitssystems von den Kantonen auf die Krankenversicherer übertragen, die so noch mehr Macht erhielten. Diese Verlagerung sei unsozial. Laut VPOD drohen die Prämien und Kostenbeteiligungen noch weiter zu steigen.

Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Gerhard Lob

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