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Zankapfel Heroinabgabe

Das Heroin wird aus der Pharma-Industrie bezogen. RDB

Die Schweiz war eines der ersten Länder, die versuchsweise Heroin an Schwerstabhängige abgegeben haben. Dies soll im revidierten Betäubungsmittelgesetz nun festgeschrieben werden. Es ist klar der umstrittenste Punkt der Vorlage.

Der Psychiater Christoph Bürki arbeitet seit 14 Jahren in der Berner Heroin-Abgabe (KODA), heute als leitender Arzt. Im Interview gibt er Auskunft über seine Erfahrungen in der Praxis.

swissinfo: Welche Leute kommen zu Ihnen?

Christoph Bürki: Die Patienten sind eine Auswahl von Schwerst-Drogenabhängigen. Es sind nicht durchschnittliche Drogenabhängige.

Das Minimalkriterium, dass jemand kommen dürfte, ist gemäss altem und neuem Betäubungsmittelgesetz zwei Jahre Abhängigkeit und mindestens zwei gescheiterte Entzugsversuche.

In der Realität sind unsere Patienten im Schnitt zwölf Jahre heroinabhängig und haben schon zehn Therapieversuche hinter sich, wenn sie eintreten.

swissinfo: Gibt es heute keine rechtliche Grundlage für die Abgabe?

C.B.: Ab 1994 wurde das im Rahmen eines Forschungs-Designs gemacht. Dazu brauchte es einen speziellen Bundesbeschluss. Im Rahmen dieses Projekts hat man sehr intensiv geforscht.

Da beneiden uns viele andere Länder. Ich war kürzlich in Kanada, die sind auch ganz neidisch über die Vielzahl von Studien und Untersuchungen, die wir in dieser Zeit gemacht haben.

Ende der 1990er-Jahre hat man dann gemerkt, dass das eine sinnvolle Behandlung ist, die wirksam und einigermassen kosteneffizient ist. Und vor allem, dass sie die Delinquenz senkt, dass sie ordnungs- wie auch gesundheitspolitisch sehr sinnvoll ist.

Dann hat man das in einem vorläufig temporären dringlichen Bundesbeschluss weitergeführt. Jetzt geht es darum, diesen umzuwandeln in eine definitive gesetzliche Lösung, damit man nicht alle paar Jahre wieder darüber abstimmen muss.

swissinfo: Wie funktioniert die Behandlung?

C.B.: Ein Patient meldet sich entweder selber telefonisch zur Behandlung oder wird von einer anderen Behandlungsstelle, einem Arzt oder Spital überwiesen.

Dann bekommt er innerhalb weniger Wochen einen Termin für ein Aufnahmegespräch, dann folgt ein zweites Gespräch.

Es braucht dann ein komplexes Bewilligungs-Prozedere. Der Kanton und das Bundesamt für Gesundheit müssen eine Bewilligung ausstellen. Das dauert in der Regel einige Wochen.

In der Zeit überprüft man auch, ob die Aufnahmekriterien nach Gesetz erfüllt sind und ob möglicherweise eine andere Behandlung sinnvoller ist – auch eine Entzugsbehandlung. Wenn man den Patienten motivieren kann, ist das immer sehr schön.

Dann beginnt der Patient mit der Behandlung. Er muss zweimal am Tag hierher kommen, auch am Wochenende. Man sieht schon daran: In der heroingestützten Behandlung zu sein, sieben Tage die Woche zweimal am Tag irgendwo vorbeigehen, in einer Warteschlage anstehen und das phasenweise über Jahre; das ist nicht lustig.

swissinfo: Staatliche Abgabe einer gefährlichen Droge. Damit haben viele Leute Mühe.

C.B.: Es gibt eine grosse Menge von Zahlen aus diesen Forschungs-Untersuchungen, die zeigen ganz deutlich, dass man mit der heroingestützten Behandlung, wie wir sie heute nennen, Verelendung stoppen, die Sterblichkeit der Drogenabhängigen unglaublich stark senken kann.

Und man kann ganz viele gesundheitliche und soziale Aspekte bei diesen Menschen verbessern. Es handelt sich um eine umfassende Behandlung, nicht einfach um eine Heroin-Abgabe.

swissinfo: Kritiker bemängeln besonders die kleine Ausstiegsquote.

C.B.: Es war nie primär der Anspruch der heroingestützten Behandlung, möglichst viele Leute in möglichst kurzer Zeit in eine Abstinenz zu führen.

Sucht, namentlich Heroin-Abhängigkeit, die im Schnitt schon zwölf Jahre gedauert hat, ist eine chronische und langwierige Geschichte, die im besten Fall mal in der Abstinenz endet. Das sind aber Ausnahmen.

swissinfo: Ein Argument der Befürworter ist, dass die Beschaffungs-Kriminalität abnehme.

C.B.: Das wurde sehr schön gezeigt von Martin Killias, einem unabhängigen Kriminologen. Er hat die Leute und die Polizei befragt, aber auch die Strafregister der Leute konsultiert.

Er hat in allen Bereichen – Diebstahl, schwere Betäubungsmitteldelikte, Gefängnisaufenthalte, Verurteilungen – eine massive, absolut eindrückliche Reduktion der Delinquenz festgestellt. Etwa 80% weniger.

Es ist auch volkswirtschaftlich extrem wichtig. Die drogenbedingte Delinquenz kostet sehr viel. Killias selber sagt, dass Heroinverschreibung für ihn die wirksamste der bekannten Methoden zur Kriminalprävention darstellt.

swissinfo: Was würde es bedeuten, wenn das Betäubungsmittelgesetz abgelehnt wird?

C.B.: Es hätte auf zwei Ebenen ganz gravierende Auswirkungen: Die eine ist die individuelle Patientenebene. Wir haben hier 210 Patienten, die sich zum grossen Teil gut und eindrücklich stabilisiert haben unter der heroingestützten Behandlung.

Sie haben nicht jedes Problem in ihrem Leben gelöst. Aber sie sind zum Teil mit bewundernswert viel Aufwand dran. Und das wäre gefährdet.

Die andere ist die ordnungspolitische Ebene. Wir hatten vor 10, 15 Jahren eine absolut desolate Situation mit riesigen, völlig ausser Kontrolle geratenen, offenen Drogenszenen in vielen Städten.

Meine grosse Befürchtung ist, dass das wiederkommen würde. Zusammen mit einer grossen Zahl von Überdosierungen, von drogenbedingten Todesfällen. Und das wäre für uns als Gesellschaft absolut verheerend.

swissinfo-Interview: Christian Raaflaub

Ende Juli 2008 waren in der Schweiz 1300 Heroin-Patientinnen und -Patienten in 21 ambulanten Zentren und 2 Gefängnissen registriert.

16’000 Personen beziehen in der Schweiz das Ersatzmittel Methadon. Dies kann fast in jedem Kanton oder beim Hausarzt bezogen werden.

Die Kontrollierte Drogen-Abgabe (KODA) in Bern heisst heute heroingestützte Behandlung. Sie existiert seit 1994, als die ersten Versuchsbetriebe eröffneten. Seit etwa 2000 betreut sie eine konstante Zahl von etwa 210 Patienten.

Sie beziehen dort an einem Schalter ihr Heroin und injizieren es unter Aufsicht im gleichen Raum. Wer wegen Ferien oder Arbeit ausserhalb des KODA injiziert, erhält Methadon.

35 Personen arbeiten in der heroingestützten Behandlung: Ärzte, Sozialarbeiterinnen, Pflegefachleute und Büropersonal.

Neben der beaufsichtigten Drogenabgabe bietet das KODA medizinische und psychiatrische Betreuung der Süchtigen sowie Beratung in den Bereichen Tagesstrukturen, Wohnen, Finanzen regeln, Krankenkasse usw.

Zudem hat jeder Patient einen Arzt, der für ihn verantwortlich ist.

Das Ausland hat die Versuche der Schweiz mit der Abgabe von Heroin genau beobachtet. Mehrere Länder haben seither ein eigenes Programm gestartet.

Als Exportprodukt würde Christoph Bürki, leitender Arzt des Berner KODA, die heroingestützte Behandlung aber nicht allen Ländern empfehlen. Es brauche ein relativ gutes System von Betäubungsmittel-Sicherheit und keine korrupten Angestellten, was nicht in allen Ländern gegeben sei.

Westliche Länder würden hingegen oft mit Neid auf das Schweizer System schauen, weil es sich gezeigt habe, dass man damit eine spezielle Gruppe besonders schwer Drogenabhängiger gut erreichen könne, so Bürki.

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