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Zürich will härtere Gangart in der Sozialhilfe

Wer in Zürich Sozialhilfe erschleicht, soll in Zukunft gebüsst werden. Keystone

Im Kanton Zürich sollen Personen, die missbräuchlich Sozialhilfe beziehen, mit Bussen bestraft werden. Diesem Beispiel könnten weitere Kantone folgen.

Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) bezeichnet diese Massnahme als unnötig. Die Probleme lägen anderswo.

In der Schweiz gibt es immer mehr Arme: Im letzten Jahr waren gemäss der schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe rund 500’000 Menschen von der öffentlichen Fürsorge abhängig. Aus Sicht der Caritas sind insgesamt rund eine Million, also rund ein Siebtel aller Menschen in der Schweiz, von Armut betroffen.

Die Folge: Die Kosten der Sozialhilfe-Ämter von Kantonen und Gemeinden laufen aus dem Ruder, und das nicht erst seit gestern. Verschiedene Gemeinden griffen deshalb zu verschärften Kontroll-Massnahmen. Im luzernischen Emmen prüft ein Sozialinspektor, ob tatsächlich nur Hilfe kriegt, wer es am nötigsten hat. Kürzlich delegierten die Städte Olten und Grenchen diese Aufgabe an Privatdetektive.

Zeitpunkt unklar

Als erster Kanton will nun Zürich die fürsorgerische Notbremse ziehen: Wer unrechtmässig Geld von der Sozialhilfe bezieht, wird künftig gebüsst. Mit 89 zu 58 Stimmen hat das Zürcher Kantonsparlament am Montag mittels einer parlamentarischen Initiative einer entsprechenden Änderung des Sozialhilfegesetzes zugestimmt. Bis das Gesetz eingeführt wird, dürfte noch über ein Jahr vergehen.

Die Verschärfung des Gesetzes geht auf eine Parlamentarische Initiative der drei bürgerlichen Parteien Christlichdemokraten (CVP), Freisinn (FDP) und Schweizerische Volkspartei (SVP) zurück, die auch Unterstützung von der Evangelischen Volkspartei (EVP) erhielt.

Der Zürcher Regierungsrat Ruedi Jeker (FDP) hatte bereits durchblicken lassen, dass er die neue Bestimmung in die laufende Revision des Sozialhilfegesetzes aufnehmen will.

Grosse Skepsis

Die Sozialdemokraten (SP) lehnten die Neuregelung ab. Eine Verschärfung sei nicht nötig, weil die bestehenden Sanktionsmöglichkeiten ausreichten, sagte ein Sprecher. Er glaubt auch nicht, dass Bussen eine präventive Wirkung haben.

Bei der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS), der wichtigsten Institution von Kantone, Gemeinden und Hilfsorganisationen im fürsorgerischen Bereich, ist man über den Zürcher Entscheid nicht glücklich. «Wir sind sehr skeptisch, weil es genügend andere Massnahmen gegen Missbräuche gibt», sagte SKOS-Geschäftsführer Ueli Tecklenburg gegenüber swissinfo.

Er verweist auf das Strafrecht, mit dem sich bereits heute Urkundenfälschung, ungenügende Angaben oder die Unterschlagung solcher ahnden lassen.

Ursprüngliches Übel ein anderes

Tecklenburg sieht auch Probleme bei der Umsetzung einer solchen Strafnorm. «In den meisten Fällen wird die Busse in Haft umgewandelt werden müssen, weil die Sozialhilfe-Empfänger gar nicht genügend Geld zum Bezahlen der Bussen haben.» Gemäss dem SKOS-Vertreter sind ähnliche Vorlagen auch in anderen Kantonen in Vorbereitung.

Ähnlich kritisch wird die Zürcher Bussenregelung im Kanton Basel-Stadt aufgenommen. Rolf Schürmann vom Sozialdepartement Kanton Basel-Stadt findet es sehr problematisch, dass solche Gesetze suggerierten, dass die steigenden Sozialhilfekosten mit Missbrauch gleichzusetzen seien. «Bei uns ist aber nicht der Missbrauch das Hauptthema, sondern es sind die Gründe für die Armut sowie deren Beseitigung», so Schürmann.

«Wir wollen den Missbrauch aber auch nicht verniedlichen, denn diesen gibt es immer, aber nur in ganz beschränktem Umfang», stellt er klar. Dies habe auch jüngst die Evaluation der Tätigkeit des Sozialinspektors in Emmen bestätigt, der in der Luzerner Gemeinde bisher lediglich sieben Fälle von Missbrauch entdeckt habe. Schürmann gibt aber an, die Auswirkungen des Zürcher Entscheids mit grossem Interesse zu verfolgen.

swissinfo

In der Schweiz ist die Sozialhilfe auf Bundesebene geregelt (Verfassung), die Ausgestaltung der Sozialpolitik liegt aber bei den Kantonen.

In der Schweiz hat Anrecht auf Sozialhilfe, wer nicht mehr für sich oder die Familie aufkommen kann.

In der Praxis variieren die Beiträge von Kantonen und Gemeinden, da die Lebenshaltungs-Kosten nicht überall gleich hoch sind.

Die Sozialhilfe deckt im allgemeinen den Grundbedarf, Miete und Krankenkassen-Prämien ab.

In der Schweiz sind schätzungsweise 250’000 bis 300’000 Menschen auf Sozialhilfe angewiesen.
Nicht alle Berechtigte melden sich bei den Behörden.
Gemäss SKOS ist jemand arm, wenn er oder sie im Schnitt nicht mehr als 2480 Franken verdient.
Die Grenze für eine Familie mit zwei Kindern liegt bei 4600 Franken.

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