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Zukunft der Berner Reitschule an der Urne

Der grün überwachsene Innenhof der Berner Reitschule. Keystone

Ein rechtsfreier Raum oder ein Hort der alternativen Kultur? Die Reitschule polarisiert und belebt seit zwanzig Jahren die politische Debatte. Am 26. September ist das Stadtberner Stimmvolk einmal mehr aufgerufen, über die Zukunft des autonomen Kulturzentrums abzustimmen.

Langsam fährt der Zug von Osten über den Bahnviadukt dem Berner Bahnhof entgegen. Die Reitschule, oder auch Reithalle genannt, entgeht kaum den Blicken der Passagiere.

Das imposante Gebäude mit den Türmchen und dem atypischen Fachwerk ist von oben bis unten mit Graffiti vollgesprayt.

Ein Relikt aus der Vergangenheit – an der Fassade, über dem unvermeidlichen Berner Bären mit herausgestreckter Zunge, ist die Jahrzahl 1897 in Stein gemeisselt und erinnert an die blühende Zeit der ehrwürdigen Berner Reitschule.

Die ursprünglichen Betreiber verliessen nach und nach das Gebäude. Anfang der 1980er-Jahre wurde es zum ersten Mal besetzt, im Sog der Zürcher Opernhauskrawalle vom Sommer 1980, als die Jugendlichen dort für ein alternatives Kulturzentrum kämpften.

Die Behörden liessen 1982 die Reitschule räumen, 1987 jedoch wurde sie definitiv besetzt und entwickelte sich in der Folge zu einem der wichtigsten alternativen Kulturzentren des Landes.

Fünfte Abstimmung

Sei diesem Datum ist die Reitschule in der Bundeshauptstadt immer wieder Gegenstand polarisierender Debatten. In den 23 Jahren des Bestehens der Reitschule wurde die Berner Bevölkerung bereits vier Mal über die Zukunft des Kulturzentrums zur Urne gerufen. Jedes Mal ist die Abstimmung zu Gunsten der Reitschule ausgefallen.

Am 26. September müssen die Berner und Bernerinnen über die von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) lancierte Initiative, die eine Schliessung und den Verkauf der Liegenschaft an bester Lage in Bern verlangt, abstimmen. Für die Gegner ist die Reitschule nichts weiter als eine Refugium für Krawallbrüder der extremen Linken und Drogenhändler.

Den Kampf gegen diesen «rechtsfreien» Raum führt Erich Hess, 29 Jahre, Präsident der jungen SVP. Er stammt aus dem Emmental und macht keinen Hehl aus seiner Vorliebe für Alphorn, Schwyzerörgeli und Fahnenschwingen.

Die Reitschule soll nach seinem Willen und jenem der Initianten dem Meistbietenden verkauft werden. Die zukünftige Nutzung bleibt jedoch unerwähnt – ein Schwimmbad, ein Einkaufszentrum, Büros?

Die SVP wird in ihrem Kampf durch die lokale Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) unterstützt, die über Jahre vom bekannten Mitglied Kurt Wasserfallen geprägt war.

Der ehemalige Berner Polizeichef und eifrige Verfechter der «Null-Toleranz» starb 2006. Er war der Erzfeind der Antifaschisten, die beschuldigt wurden, die Reitschule als Basis für ihre gewalttätigen Ausschreitungen zu missbrauchen.

Lokale Spannungen

Der bernische Sicherheitsdirektor, der Christlichdemokrat Reto Nause, lässt jedoch in der Lokalpresse verlauten, es gebe keinen Grund zur Beunruhigung: «Die Zeit, als die gewalttätigen Demonstranten die Reitschule als Rückzugsort benutzten, gehört seit zwei Jahren der Vergangenheit an», betont er.

Der Dialog zwischen der Berner Polizei und den Betreibern der Reitschule, die ständig von «polizeilicher Provokation» sprachen, habe sich in den letzten Jahren verbessert, so Tom Locher, Mitglied der Mediengruppe der Reitschule.

Marco Giugni, Politologe an der Universität Genf, stellt fest, dass die Spannungen im Zusammenhang mit autonomen Zentren oft einen konjunkturellen Hintergrund haben und mit der lokalen Politik verbunden sind. «In Genf hat der Druck der Behörden zu heftigen Konflikten mit den Hausbesetzern und dem alternativen Milieu geführt.»

Nüchtern betrachtet haben die meisten alternativen Zentren seit dreissig Jahren einen Prozess der Institutionalisierung durchlaufen. «Die Hauptsorgen fokussieren sich eher auf betriebliche Probleme als auf die politische Mobilisierung», so Marco Giugni.

Als treffendes Beispiel erwähnt Tom Locher die Einführung eines ausgeklügelten Schlüsselsystems: «Vor zwanzig Jahren konnte jeder in der Reitschule herumspazieren, wie es ihm beliebte.»

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Drogenabhängige

«Seit dem Aufkommen der Antiglobalisierungs-Bewegung Ende der 1990er-Jahre konnte rund um die Zentren eine politische Remobilisierung festgestellt werden», unterstreicht Marco Giugni. Die Anti-WEF-Demonstrationen in der ersten Hälfte der 2000er-Jahre endeten regelmässig in einem Chaos rund um die Reithalle.

Doch nicht nur die politischen Aktivitäten führten zu Kontroversen, sondern auch der Vorwurf, die Reithalle sei ein Zufluchtsort für den Drogenhandel und -konsum.

Der Mord an einem Drogenhändler vor der Reitschule im August 2008 provozierte eine heftige Diskussion in der Hauptstadt. Zu dieser Zeit nahmen die Drogenabhängigen den Vorplatz des Kulturzentrums in Beschlag und trugen zum «katastrophalen Bild der Institution» bei, erklärt Tom Locher.

«Wir waren Opfer von Entscheidungen der Stadtregierung, die die Drogenabhängigen aus dem Stadtzentrum verjagt hatten», so Tom Locher weiter.

Dank einem ständigen Dialog mit den Drogenabhängigen und der Rückeroberung des öffentlichen Raums vor der Reithalle, wo heute eine Bar betrieben wird und Konzerte stattfinden, konnte das Problem eingedämmt werden, was sogar von den Behörden anerkannt wird.

Führungen

In dieser Stadt, die seit 20 Jahren von einer rot-grünen Mehrheit regiert wird, sind die Chancen für einen Erfolg der SVP-Initiative am 26. September eher gering. «Die Reitschule ist zu einem Ausgehort geworden, der von mehreren Generationen von Bernerinnen und Bernern geschätzt wird», erklärt Tom Locher.

Daher organisierte die Reitschule im Vorfeld der Abstimmung Führungen mit dem Ziel, die verschiedenen kulturellen Angebote besser bekannt zu machen. Dazu gehören Kino, Theater, eine Bibliothek mit umfangreicher antifaschistischer, antisexistischer und anarchistischer Literatur – und die Spezialitäten wie etwa der «Frauenraum», ein Konzertraum von Frauen nur für Frauen.

Und schliesslich ist da noch der «Dachstock», der grosse Konzertsaal direkt unter den Dachbalken der alten Reitschule, dessen Ruf weit über die Hauptstadt hinaus geht.

Die meisten autonomen Kulturzentren entstanden in den 1980er-Jahren als Folge der Jugendunruhen, die sich gegen das damalige Kulturestablishment richteten.

Die heftigsten Demonstrationen gab es im Sommer 1980 in Zürich, als die jungen Leute ein autonomes Jugendzentrum (AJZ) forderten und sich erbitterte Kämpfe mit der Polizei lieferten.

Diese Jugendunruhen führten zu einem Umdenken in der Kulturpolitik der Stadt Zürich, die sich mehr öffnete: Am 25. Oktober 1980 öffnete die Rote Fabrik als erstes autonomes Kulturzentrum der Stadt ihre Tore.

Anschliessend wurde in mehreren Schweiz Städten der Ruf nach autonomen Zentren laut, die auch bewilligt wurden, ganz nach dem Vorbild der Kaserne Basel und der Berner Reithalle.

Die Protestbewegung dehnte sich auch auf die Westschweiz aus: Unter dem Slogan «Lôzane bouge» gab es während zweier Jahren (1980-81) Demonstrationen, bei denen es zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Lausanner Ordnungskräften kam.

Das AJZ Biel ist das älteste selbstverwaltete Jugendzentrum, das immer noch in Betrieb ist: Es entstand aus der 68er-Bewegung und befindet sich in der Kuppel des ehemaligen Gaswerks der Stadt, wie zahlreiche andere alternative Kulturzentren in der Schweiz auch.

Das Gebäude der Reitschule (auch Reithalle genannt) wurde 1897 errichtet und diente zuerst als Reitschule und dann bis in die 1980er-Jahre als Lagerraum.

Zwischen 1981 bis 1982 entstand aus der Reitschule zum ersten Mal ein Kulturzentrum, bevor sie wieder geräumt wurde.

Nach der Zwangsräumung des Zelt- und Wagendorfes «Zaffaraya» 1987 wurde die Reitschule im gleichen Jahr wieder besetzt und nicht mehr «hergegeben».

Die Reitschule ist eines der wichtigsten autonomen Kulturzentren der Schweiz: Sie verfügt über ein Kino, ein Theater, eine Druckerei, eine Schreinerei, verschiedene Bars und Konzertsäle sowie eine grosse Mehrzweckhalle.

Das Kulturzentrum wird als Hauptort des politischen Protestes der extremen Linken betrachtet. Die Kritiker beschuldigen die Betreiber, sich nicht genügend von der antifaschistischen Bewegung und der Gewalt zu distanzieren, die am Rande von Demonstrationen in der Hauptstadt immer wieder vorkommt.

(Übertragen aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

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