Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Zuwanderungsprobleme spalten die Räte

Asylsuchende Ausländer: Sie werden kritisiert, erhalten aber auch Unterstützung. Im Bild: Eine Solidaritäts-Manifestation 2008 in Lausanne. Keystone

Die Sondersession über die Zuwanderung hat einen alten Graben im Nationalrat wieder zum Vorschein gebracht. Während die Rechte Personenfreizügigkeit und Einwanderung einschränken will, verlangt die Linke ein neues Integrationsgesetz.

Im vergangenen Jahrzehnt häuften sich die eidgenössischen Volksabstimmungen zur Ausländerthematik. Seit dem Jahr 2000 hat sich das Stimmvolk 12 mal zu Vorlagen wie Asylpolitik, Einwanderungsbremse, Integration, Einbürgerungen oder zum freien Personenverkehr geäussert.

Die Schweizerische Volkspartei (SVP), die sich gegen alle anderen für diese Themen stark macht, musste sich in den meisten Fällen geschlagen geben.

Die fremdenkritischen und -feindlichen Kampagnen der nationalistischen Rechten haben jedoch auf die Volksmeinung eingewirkt. Dies ermöglichte es ihr, ihre Wählerbasis in den letzten Parlamentswahlen zu verstärken.

Nach ihrem Sieg vom letzten Dezember, nachdem das Volk die Minarettverbots-Initiative angenommen hatte, entschied sich die SVP, an ihrem bevorzugtes Thema dranzubleiben und verlangte im Parlament eine Sondersession zum Thema Zuwanderung.

Aus SVP-Sicht habe die Annahme der Minarett-Initiative gezeigt, dass die bundesrätliche Einwanderungs-Politik das Vertrauen der meisten Schweizer nicht mehr geniesse, und dass ein echtes Missbehagen gegenüber Ausländern bestehe.

Demagogische Töne

Während der Debatte im Nationalrat hat die SVP als grösste Partei der Landes nun ihr Reservoir an Vorschlägen wieder aufgestockt. Sie will die Asylbedingungen verschärfen, die Ausländerkriminalität bekämpfen, den Vertrag mit der EU zur Personenfreizügigkeit widerrufen, den Zugang für Ausländer zu wichtigen öffentlichen Ämtern (wie Professuren) einschränken.

«Jedes Jahr nimmt die Zahl der Zugewanderten um 80’000 bis 100’000 Personen zu», sagt Hans Fehr, Zürcher SVP-Nationalrat. «Teils schätzen wir diese Leute, teils kommen aber auch andere.

Die Folgen sind tiefere Löhne, Arbeitslosigkeit und Rezession, aber auch importierte Kriminalität, Gewalt und Intoleranz.»

Gewisse Vertreter der Rechten zögerten nicht mit demagogisch anmutenden Argumenten. Ein Teil der jugendlichen Einwanderer seien wie ein Krebsgeschwür der Gesellschaft: «Diebstahl, Vergewaltigung und Schlägereien sind inzwischen gang und gäbe. Und was soll man von den Erwachsenen sagen, die ihre Frauen und Kinder schlagen, und das im Namen ihrer kulturellen Traditionen?», sagte der Genfer SVP-Vertreter André Reymond.

Die SVP erhielt auch Unterstützung von einigen Volksvertretern der Mitteparteien. So meinte der Luzerner Christdemokrat Ruedi Lustenberger: «Die Bevölkerung hat es satt, in den Schulen und den Stadtquartieren von Gruppen eingewanderter Jugendlichen terrorisiert zu werden. Von kriminellen Banken aus Osteuropa ausgenommen zu werden. Leuten Asyl zu gewähren, die nur kommen, um Drogen in Umlauf zu bringen.»

Bessere Integration

Die Ausländer seien nicht Grund für alle Übel in der Schweiz, sagen die Vertreter der Linken. Wie die Waadtländer Sozialdemokratin Ada Marra: «Man muss schon pragmatisch bleiben und aufhören, Pauschalurteile zu verbreiten wie das Herr Fehr macht».

Er habe heute vormittag immerhin zuzugeben, dass er gewisse Ausländer schätze: «Ja, Herr Fehr, Sie schätzen die Ausländer, die reich sind, aber nicht die armen. Und Sie sind nicht der einzige in diesem Saal.»

«Es nützt nicht viel, auf tiefem Niveau über deutsche oder kosovarische Einwanderer zu streiten», so der Schwyzer Sozialdemokrat Andy Tschümperlin. Das Ausländerproblem könne nur mit Integration gelöst werden, nicht mit Ausgrenzung.

Zu diesem Zweck erachten es verschiedene sozialdemokratische und freisinnige Ratsvertreter als notwendig, ein neues Integrations-Rahmengesetz vorzuschlagen.

«Wir brauchen qualifizierte Arbeitskräfte aus der EU, um unsere Wirtschaft in Fahrt zu halten und um unser Land am Funktionieren zu erhalten», sagte die Grüne Zürcher Marlies Bänziger.

Laut Bänziger sollte der Bund eine richtig gehende Berufsbildungs-Offensive starten: «Je mehr wir unser Schulsystem vernachlässigen, desto mehr werden wir gezwungen, Qualifizierte aus dem Ausland kommen zu lassen.»

30 Vorstösse angenommen

Am Ende der Riesendebatte hat der Nationalrat 30 von über 100 Motionen und Postulaten zum Zuwanderungs-Thema angenommen.

Darunter ist auch das Anliegen der Linken, sich den Vertrag zum freien Personenverkehr nochmals anzusehen und eine Studie zu dessen Folgen zu erstellen.

Lockern möchten die Volksvertreter die Bedingungen für die Arbeits-Erlaubnis für Nicht-EU-Ausländer, die in der Schweiz einen höheren Schulabschluss gemacht haben.

Angenommen wurden auch zwei Anliegen der SVP. Eine verlangt, dass die Einbürgerung von den Kenntnissen der Landessprache und der Integration abhängig gemacht werde. Die andere verlangt eine bessere Kontrolle der in der Schweiz aktiven muslimischen Geistlichen.

Der Nationalrat hat schliesslich auch einen christdemokratischen Vorschlag angenommen, wonach jugendliche Sans-Papiers (Papierlose mit irregulärem Aufenthalt), die die Schulen hier besucht haben, eine Berufslehre absolvieren dürfen.

Armando Mombelli, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Alexander Künzle)

21.Mai 2000: 67,2% Ja für die sieben bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der EU, darunter der Personenfreizügigkeit.

24. Sept. 2000: 67% Nein zu einer Volksinitiative, die die Einwanderung einschränken möchte.

24. Nov. 2002: 50,1% Nein zu einer Volksinitiative, die die Asylnormen verschärfen will.

26. Sept. 2004: 56,8% Nein für die erleichterte Einbürgerung von Jugendlichen der 2. Generation; 51,6% Nein für die automatische Einbürgerung der 3. Generation.

5. Juni 2005: 54,6% Ja zum Beitritt zum Schengenraum (Polizei, Recht) und Dublin (Asyl).

25. Sept. 2005: 56% Ja zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Länder.

24. Sept. 2006: 68% Ja zur Revision des Ausländergesetzes und 67% Ja zu einigen Vorschlägen, die das Asylgesetz verschärfen wollen.

1. Juni 2008: 63,8% Nein gegen eine SVP-Initiative, die verlangt, dass Einbürgerungen vom Volk gutgeheissen werden müssen.

8. Febr. 2009: 59,6% Ja für eine Ausweitung der Personenfreizügigkeit Schweiz-EU auf Rumänien und Bulgarien.

29. November 2009: 57,5% Ja für eine Initiative, die den Bau neuer Minarette verbietet.

Ende 2008 lebten 7,7 Millionen Einwohner in der Schweiz.

Mit 1,6 Millionen kamen die Ausländer auf einen Anteil von 21,7%.

Dieser Anteil hat sich in den letzten 50 Jahren verdoppelt: 1960 belief er sich auf 10%.

86,5% der Ausländer mit Wohnsitz sind Europäer, ungefähr zwei Drittel stammen aus einem EU-Land.

Nationalitätsmässig machen die Italiener immer noch die grösste Gruppe aus (17,5%), gefolgt von den Deutschen (14,1%), den Portugiesen (11,8%) und den Serben/Montenegrinern (11,1%).

Das Bundesamt für Migration ist bestrebt, seine Informationspolitik stetig zu verbessern.

Es wird deshalb künftig monatlich wichtige Kennzahlen aus den Bereichen Zuwanderung und Einbürgerung publizieren.

Der Monitor Zuwanderung wird jeweils in den ersten Tagen des Monats auf der Homepage des BFM aufgeschaltet.

Mit dem Monitor Zuwanderung werden ausgewählte Kennzahlen aus den Bereichen Zuwanderung, Arbeitsmarkt und Einbürgerung in kompakter Form präsentiert.

Er enthält Daten und Grafiken über die Einwanderung und die Auswanderung von Ausländern aus dem EU/EFTA-Raum sowie aus Drittstaaten.

Die erste Ausgabe ist ab sofort im Internet abrufbar.

Meistgelesen
Swiss Abroad

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft