Wie menschliche Siedlungen die Arktis begrünen
Die Siedlung Barentsburg auf Spitzbergen wird hauptsächlich von russischen und ukrainischen Minenarbeitern und ihren Familien bewohnt. Viele alte Holzhäuser sind verfallen, aber es gibt auch neuere Wohnhäuser aus Betonfertigteilen und eine hübsche Bar, in der gutes traditionelles russisches Essen und europäische Gerichte serviert werden.
Alle heutigen Siedlungen auf Spitzbergen sind aus dem Kohlebergbau hervorgegangen, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts startete. In einigen Siedlungen gibt es den Bergbau bis heute. Es wurden Strassen und Häuser gebaut, und die Menschen importierten Vieh, Heu und sogar Erde, um ihr eigenes Gemüse anzubauen. Dies war für die Bevölkerung eine wichtige Ergänzung zum sehr begrenzten Angebot an importierten Lebensmitteln und entlastete den Transport aus den Heimatstaaten Grossbritannien, Russland und der Ukraine.
Feldnotizen aus der Arktis
Die Doktorandinnen Lena Bakker, Sigrid Trier Kjaer und Jana Rüthers (v.l.n.r.) von der ETH Zürich haben sich auf den Weg zur norwegischen Inselgruppe Spitzbergen gemacht. Im hohen Norden wollen sie die Begrünung der Arktis untersuchen; ein Prozess, der durch die globale Erwärmung ausgelöst und lokal durch die chemische und geologische Beschaffenheit des Bodens bestimmt wird.
Diese Siedlungen haben jedoch die unberührte Landschaft der Inseln gestört, unter anderem durch die Verlagerung und Einfuhr von Erde, Heu und Vieh. Der importierte Boden enthält mehr Nährstoffe als der einheimische Boden. Im Verbund mit den sich zersetzenden Exkrementen der Tiere und dem Heu machte dies den Boden immer nährstoffreicher und bot ganz andere Wachstumsbedingungen für Pflanzen und Mikrobiota.
In Longyearbyen, der nördlichsten dauerhaften Siedlung der Welt, arbeiteten wir neben einer alten, stillgelegten Scheune. Im Vergleich zur natürlichen Tundra, die hauptsächlich aus Gräsern besteht, konnten wir dort eine massive Veränderung der Pflanzenarten beobachten. Es fiel auf, dass die wenigen Tundra-Pflanzenarten, die wir an diesem Standort fanden, viel grösser wuchsen als in der Tundra. Unsere Erwartungen bestätigten sich auch unter der Erde: Der Boden hat einen sehr hohen organischen Gehalt, der dem von Torf ähnelt. Wir mussten tiefer graben, als wir erwartet hatten, um den Untergrund zu erreichen. Nur an einigen wenigen Stellen erreichten wir den Permafrostboden.
Unser Forschungsstandort in Barentsburg lag unterhalb eines Hundeplatzes und war sehr üppig und grün. Was wir dort vorfanden, war einfach unglaublich. Auch hier besteht die Vegetation überwiegend aus Gräsern, aber wir fanden sogar einige nicht einheimische Pflanzenarten, die sehr viele Blüten hervorbrachten.
Bei einem erneuten Besuch Ende August werden wir herausfinden, ob diese Pflanzenarten Samen produziert haben und sich weit verbreiten können. Bisher haben wir Arten gefunden, die noch nie zuvor auf Spitzbergen nachgewiesen wurden. Schockierenderweise haben wir einige dieser Arten auch in der nahe gelegenen, ungestörten Tundra beobachtet, was bedeutet, dass sie wahrscheinlich in der Lage sind, mit der einheimischen Vegetation zu konkurrieren, mit noch unbekannten Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem. Der Boden war völlig anders und enthielt grosse Mengen an altem Heu, Sägemehl und Viehkot. Deshalb ist der Boden so reich an Nährstoffen, möglicherweise auch an Stickstoff und Phosphat, was es nicht-heimischen Arten erleichtert, sich zu etablieren.
Diese Orte regten uns zum Nachdenken an. Was passiert mit dieser erstaunlichen Landschaft, wenn die Störungen mehr werden? Es ist sehr wahrscheinlich, dass mit wachsenden Tourismuszahlen auch die Zahl der eingeschleppten nicht-heimischen Arten zunehmen wird. Tourist:innen bringen Samen über schmutzige Schuhe oder Ausrüstungsgegenstände wie Zelte ein. Da die Tourist:innenzahlen steigen, wollen die Tourismusunternehmen immer weiter abgelegene Orte in ihr Angebot aufnehmen, so dass immer mehr Orte gefährdet sind.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die steigenden Temperaturen aufgrund der globalen Erwärmung, die wiederum die Ansiedlung und das Wachstum einheimischer, aber auch nicht einheimischer Pflanzen begünstigen und möglicherweise deren Konkurrenzverhalten beeinträchtigen. Es ist wahrscheinlich, dass die einheimischen Pflanzen bis zu einem gewissen Grad verdrängt werden. Diese Orte sind durch den menschlichen Einfluss und die Düngung zu Eintrittspforten für nicht einheimische Arten geworden, die nun die Tundra und die Felsen der Vögel besiedeln.
Adaptiert aus dem Englischen: Sibilla Bondolfi
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Sibilla Bondolfi
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