Auslandschweizer: «Mit welchem Recht soll ich entscheiden, was in der Schweiz geschieht?»
Einige Auslandschweizer:innen verzichten freiwillig auf das Stimmrecht in ihrem Heimatland. Anderen ist es wichtig, weiterhin am politischen Leben in der Schweiz teilzunehmen. Die Reaktionen auf unsere Debatte.
«Ich lebe seit 50 Jahren in Deutschland. Ich habe das Stimmrecht in der Schweiz noch eine kurze Zeit lang ausgeübt, aber es war extrem anstrengend, mich in die umfangreiche Materie einzuarbeiten. Also habe ich aufgehört», schrieb ein Nutzer mit dem Pseudonym Beppi Basler in der von uns angestossenen Diskussion über die politische Partizipation von Auslandschweizer:innen.
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Der Auslandschweizer verzichtet also freiwillig auf die Ausübung seiner politischen Rechte in seinem Heimatland, weil er sich nicht ausreichend informiert fühlt. Dennoch ist er der Ansicht, dass man den Auslandschweizer:innen die Wahl lassen sollte, ob sie in der Eidgenossenschaft abstimmen wollen oder nicht.
«Das hängt unter anderem davon ab, wie oft man in die Schweiz reist und welche verwandtschaftlichen oder freundschaftlichen Beziehungen man in der Schweiz hat», schreibt er.
Der nach Deutschland ausgewanderte Nutzer plädiert somit für den Status quo. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern kennt die Schweiz keine zeitliche Begrenzung der politischen Partizipation ihrer Diaspora.
Deutsche Bürger:innen beispielsweise verlieren ihr Wahlrecht nach 25 Jahren Wohnsitz im Ausland. Das Vereinigte Königreich hat die Grenze bei 15 Jahren angesetzt.
Selbstzensur reicht aus
Wie Beppi Basler ist auch Gioboa der Ansicht, dass solche Einschränkungen nicht notwendig sind: «Die im Ausland geborenen Auslandschweizer:innen (zweite oder dritte Generation) gehen erfahrungsgemäss nicht wählen und haben somit keinen Einfluss auf wichtige Entscheide.»
Nicht alle Personen, die auswandern, wollen weiterhin in der Schweiz wählen und abstimmen. Von den 800’000 Auslandschweizer:innen haben sich rund 210’000 in einem Stimmregister eingetragen und können somit ihre politischen Rechte in der Schweiz ausüben.
Eine Userin namens Ademello glaubt, dass die Registrierten eine enge Verbindung zum Heimatland aufrechterhalten wollen. «Ich lebe seit 17 Jahren als Expat in Asien. Ich bin immer noch viel mehr mit der Schweiz verbunden als mit meinem Gastland. Ich komme mehrmals im Jahr hierher, meine Familie lebt hier, ich zahle hier Steuern. Ich bin der Schweiz sehr dankbar, dass ich mich weiterhin politisch engagieren und wählen kann», schreibt sie.
Der Fünften Schweiz das Wahlrecht entziehen
Andere Nutzer:innen plädieren dafür, das Stimmrecht der Fünften Schweiz einzuschränken. Unter dem Namen Max Obrist erzählt einer, dass er die Schweiz vor 55 Jahren verlassen habe. Obwohl er noch familiäre Verbindungen in die Schweiz habe, findet er: «Mit welchem Recht soll ich entscheiden, was in der Schweiz geschieht? Ich kann die lokalen Verhältnisse in der Schweiz nicht mehr beurteilen.»
Diese Meinung wird von mehreren Kommentierenden geteilt. «Wenn man weg ist, ist man weg. Man kümmert sich um den Teil der Welt, in dem man lebt», fasst Claude2011 zusammen. Thack schreibt: «Meiner Meinung nach sind zu viele Auslandschweizer stimmberechtigt. Viele haben keine Verbindung zur Schweiz.»
«Sie haben ihr Land verlassen und setzen sich aktiv für das Wohl eines anderen Staates ein. Ihre Meinung wird also nicht die Vorteile der Eidgenossenschaft in den Vordergrund stellen. Ich bin wirklich nicht der Meinung, dass sie in der helvetischen Welt etwas zu sagen haben sollten», schreibt eine andere Person.
Stimmrecht von Thema abhängig machen
Andere würden das Stimmrecht der Auslandschweizer:innen gerne auf Themen beschränken, die sie betreffen. «Ich finde nicht, dass die Auslandschweizer über lokale Themen abstimmen sollten, sondern nur über nationale», schreibt eine Person mit dem Pseudonym Lynx.
Die britische Staatsbürgerin bedauert, dass sie nach 15 Jahren das Wahlrecht im Vereinigten Königreich verloren hat: «Ich und viele andere im Ausland lebende Personen hätten gerne noch das Stimmrecht, denn wir hätten den Brexit verhindern können.»
Franz Muheim betont, wie wichtig es für die Schweizer Diaspora ist, über bestimmte Themen abstimmen zu können. «Viele Abstimmungen haben die soziale Sicherheit oder die Beziehungen zur EU zum Thema. Viele von uns leben in Europa oder haben jahrzehntelang oder sogar ihr ganzes Arbeitsleben lang in die Schweizer Sozialversicherungen eingezahlt. Deshalb sollten wir bei diesem Thema mitreden können.»
Es gibt auch Stimmen, die einen Ausbau der politischen Rechte der Fünften Schweiz fordern. «Die Auslandschweizer können auch neue Ideen in die politische Debatte einbringen und zum Fortschritt ihres Landes beitragen. Ich bin der Meinung, dass sie im Schweizer Parlament vertreten sein sollten», schreibt einer.
Eine Vertretung im Parlament
Der nach Mosambik ausgewanderte Berner Andreas Ziegler-Mendonça findet, dass die Fünfte Schweiz zwei Ständerät:innen und eine proportionale Vertretung im Nationalrat haben sollte. «Wie ein virtueller Kanton», schreibt er. Laut dem Unternehmer würde die Schweiz damit von der langjährigen Erfahrung ihrer Bürger:innen im Ausland profitieren.
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Tim Guldimann, der erste Auslandschweizer-Nationalrat, nimmt den Hut
Ein Vorschlag, der nicht allen gefällt. Ein User mit dem Namen Frodo hält es für unrealistisch, im Schweizer Parlament zu sitzen und gleichzeitig im Ausland zu leben. «Man kann nicht in einer Legislative sitzen, während man in einem Land lebt, in dem andere Gesetze gelten», argumentiert er.
Eine andere Person schreibt, es lohne sich nicht, das System für Personen umzugestalten, welche die Schweiz verlassen hätten. «Warum sollte man die Struktur eines Landes ändern wollen, in dem man gar nicht mehr leben möchte?»
Bisher hat erst ein Auslandschweizer im Schweizer Parlament Einsitz genommen. Der in Berlin lebende ehemalige Schweizer Botschafter Tim Guldimann wurde 2015 auf der Liste der SP seines Heimatkantons Zürich in den Nationalrat gewählt. Er trat jedoch 2018 vorzeitig zurück, da er sein politisches Mandat nicht mehr mit seinem Leben im Ausland vereinbaren konnte.
Übertragung aus dem Französischen von Sibilla Bondolfi.
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