Plötzlich in einer Diktatur
Er wollte mit Entwicklungszusammenarbeit ein Land an der Schwelle zur Demokratie begleiten. Stattdessen fand sich Peter Schmidt zusammen mit seiner Frau Käthi Hüssy in einer Militärjunta wieder.
Als Peter Schmidt und seine Ehefrau Käthi Hüssy 2017 nach Myanmar zogen, erwarteten sie das Land zwar in einem fragilen, aber auch spannenden Moment vorzufinden: Der Übergang zur Demokratie schien trotz aller Probleme leidlich gelungen zu sein – immerhin hatte das Land fast ein halbes Jahrhundert Militärherrschaft hinter sich. Es entstand eine Zivilgesellschaft, das Land öffnete sich für Investitionen und Tourismus. Myanmar galt nicht mehr als Pariastaat.
In den letzten Monaten nun hören die beiden von ihrer Wohnung in Rangun aus Schüsse, die meist in der Nacht fallen. Am 1. Februar putschte sich die Armee unter fadenscheinigen Gründen zurück an die Macht, seither unterdrückt sie alle Proteste mit massiver Gewalt. Gerüchte über einen Putsch gab es schon vorher. «Ich hatte aber nicht gedacht, dass sie es wirklich machen. Ich habe mich getäuscht», sagt Peter Schmidt heute.
Als Leiter des Helvetas-Büros in Myanmar ist Schmidt viel unterwegs, er trifft Bauern, Unternehmerinnen, Funktionäre, Arbeitsmigrantinnen. Im letzten Jahr blieb er jedoch fast durchgehend zuhause. Zunächst wegen der Corona-Pandemie und den verhängten Schutzmassnahmen. In den letzten Monaten aus Sicherheitsgründen. Umso mehr ist er online unterwegs – beruflich, aber auch um sich über das Geschehen im Land zu informieren: «Vor allem auf Facebook, das hier gleichbedeutend mit Internet ist.» Und als einer der weniger Schweizer im Land wird er häufig von Schweizer Medien interviewet.
Lesen Sie hier unser Interview von Februar mit Peter Schmidt:
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«Da baut sich gewaltiger Druck auf»
Aufgewachsen ist Schmidt in einem bürgerlichen Haushalt im zürcherischen Zumikon. Der Vater war ein begeisterter Jäger, zusammen waren sie viel unterwegs. Das Interesse an Fragen rund um die Natur war da schon geweckt, und für Schmidt war früh klar: Er wollte etwas «grünes» studieren. Nach einem Abstecher in den Journalismus Ende der 1970er folgte deshalb das Agronomiestudium an der ETH in Zürich.
Dazu gehörten Praktika auf Bauernhöfe in der Schweiz, «was mir besonders gut gefiel». Und auch ein sogenanntes spezielles Praktikum – das Schmidt 1986 zufällig nach Indien führte. «Das war eine prägende Erfahrung, ein richtiger Kulturschock.» Eines der ersten Bilder, die sich ihm einprägten, waren indische Frauen, die am Strassenrand Steine zu Schotter schlugen. «Unfassbar!», dachte er sich. Seither hat Schmidt immer wieder und in verschiedenen Ländern solche Arbeiterinnen gesehen.
Die ersten drei Tage verkroch sich der junge Schmidt im Haus, überwältigt von dieser neuen, unbekannten Welt. Die Gerüche, der Lärm, die Menschenmassen – er sollte sie noch besser kennenlernen: Einige Jahre später führte ihn seine erste Auslandsstelle nach Orissa (heute Odisha), zu Beginn der 1990er eine der ärmsten Gegenden in Indien, zusammen mit seiner Ehefrau und der neugeborenen Tochter Zarah.
Einfach war es für die junge Familie nicht: Ein schwieriges Klima, simple Lebensumstände, vor allem aber der mangelnde Kontakt mit den Einheimischen, deren Leben sich innerhalb ihrer indischen Grossfamilie abspielte und wenig Anknüpfungspunkte bot. «Käthi beschrieb es treffend als ’soziales Sterben›.» Beruflich war es hingegen eine bereichernde Zeit: Schmidt betreute Projekte in der Viehwirtschaft, betrieb landwirtschaftliche Beratung und baute die Unterstützung ethnischer Minderheiten auf. Und auch für Käthi war es spannend, die in dieser Zeit ihr Lizentiat in Ethnologie schrieb und dafür die Realität vor Ort studieren konnte.
Von der Jurte ins Internet
Es folgten wieder einige Jahre in der Schweiz, wo Schmidt in der Entwicklungszusammenarbeit tätig war und von wo aus er viele Reisen ins Ausland unternahm. Nach der Geburt von Sohn Niclo entschied sich die Familie, nochmals eine Stelle ins Ausland anzutreten und reiste 1998 nach Kirgistan. Dort baute Schmidt einen landwirtschaftlichen Beratungsdienst in einem äusserst dynamischen Umfeld auf – immerhin erholte sich das zentralasiatische Land noch vom Zusammenbruch der Sowjetunion. Auch die Lebensqualität war gut. «In Bischkek hatten wir wohl die beste Zeit unseres Familienlebens.»
Einerseits machte die Familie Ferien bei Nomaden in den Bergen, lebte wochenlang mit ihnen in Jurten, «sehr archaisch». Andererseits änderte sich mit dem Aufkommen des Internets die Arbeit von Schmidt stark, plötzlich kam man einfach in Kontakt mit der Heimat. Auch der einfachere Austausch mit den Einheimischen und der internationalen Expat-Gemeinde erleichterte das Leben für Eltern und Kinder. Nach einigen Jahren folgte die Rückkehr in die Schweiz, wo Schmidt für Helvetas in verschiedene Funktionen tätig war.
Blutige Eskalation
Als die Kinder ihre Ausbildungen abgeschlossen hatten und auf eigene Beine standen, beschloss das Ehepaar, noch einmal den Sprung ins Ausland zu machen. Es sollte der letzte Posten einer langen Karriere sein, «wir freuten uns auf Myanmar, dieses kulturell reiche Land mit der bewegten Geschichte.» Als Verantwortlicher für das Gesamtprogramm von Helvetas leitet Schmidt ein Team von 50 Leuten und ein Jahresbudget von 6 Millionen Franken, eine überaus spannende Aufgabe, da die Präsenz der Organisation im Land auch relativ jung ist.
Mittlerweile befand sich das Land auf dem Weg zu einer Demokratie, befriedet war das Land jedoch nicht. Mit mehr als 50 anerkannten ethnischen Minderheiten, die teilweise eigene Milizen halten und in gewalttätigen Konflikten mit dem Militär verwickelt sind, war – und ist noch immer – die Lage vor allem in ländlichen Regionen instabil. Die Weltöffentlichkeit wurde durch die Vertreibung von 700’000 muslimische Rohingya ins benachbarte Bangladesch im Sommer 2017 daran erinnert. «Damals zeigte das Militär sein wahres Gesicht.»
Überhaupt ist die Rolle des Militärs dominant geblieben, auch im wirtschaftlichen Sektor, wo es durch Konglomerate und Monopole kräftig mitmischt. «Mit jedem Bier, das ich in diesem Land getrunken habe, habe ich die Junta mitfinanziert.» Auch hier setzte die Protestbewegung an, wollte das Regime ökonomisch in die Knie zwingen.
Umso härter fiel die Reaktion aus: Bis heute sind knapp 800 MenschenExterner Link getötet worden, Todesurteile wurden ausgesprochen, es gibt Medienberichte über 300’000 Vertriebene – mit einer unbekannten Dunkelziffer. Polizisten und Soldaten kommen in der Nacht und verhaften Leute, wenn die Regierung das Internet abstellt und sich keine Informationen verbreiten können. Schmidt selber wurde vom Putsch überrascht – es war eine Nachricht des Sohnes aus der Schweiz, der ihn nach dem Aufwachen realisieren liess, das die Armee zurück an der Macht war.
Seit dem Putsch ist der Internet-Zugang im Land stark eingeschränkt worden. Zunächst während der Nacht, mittlerweile auch tagsüber. Damit will die Junta den Informationsfluss stoppen.
Confirmed: Mobile data has been cut in #MyanmarExterner Link for 50 days and online platforms remain heavily restricted limiting press freedom at a critical moment for the country's future :no_mobile_phones:#WorldPressFreedomDayExterner Link#WhatsHappeningInMyanmarExterner Link
— NetBlocks (@netblocks) May 3, 2021Externer Link
:newspaper:https://t.co/Jgc20OBk27Externer Link pic.twitter.com/3VIrbtJYkdExterner Link
Und nun? Die Anstellung von Schmidt in Myanmar läuft im Juni aus, er und seine Frau werden dann in die Schweiz zurückkehren. «Ehrlich gesagt schauen wir der Abreise entgegen», sagt Schmidt. Die letzten Monate haben zugesetzt, auch wenn sie beide als Expats nicht direkt gefährdet waren. Seine Mitarbeitenden leben jedoch unter der ständigen Angst vor Verhaftung oder einem Abgleiten des Landes ins Chaos. Was für Zukunftsperspektiven hätten da die lokalen Mitarbeitenden, fragt sich Schmidt? Vor allem die jungen unter ihnen, oder die mit Familien? «Es ist traurig, das Land in dieser Lage zu verlassen.»
Die UN-Sondergesandte für Myanmar, Christine Schraner Burgener, sprach mit uns über ihre Rolle im Konflikt:
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