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Zürich und die Franzosen meinen es ernst miteinander

Der von der französischen Kultur faszinierte Raffaele Sutter hat ein Restaurant ins Leben gerufen, das für die französische Diaspora in Zürich zu einem bevorzugten Treffpunkt geworden ist. swissinfo.ch

Franzosen mögen Zürich, und Zürich scheint sie auch zu mögen. Innerhalb von vier Jahren hat die Zahl der Einwanderer aus dem westlichen Nachbarland um 37% zugenommen. Der wichtigste Grund dafür sind die Arbeitsmöglichkeiten in der grössten Schweizer Stadt. Groll gegenüber den Neuankömmlingen gibt es kaum. Die Deutschschweizer scheinen den französischen Charme zu schätzen. Einer vollständigen Symbiose steht allerdings die Sprache im Weg.

Nostalgischer Schmuck, entspanntes Ambiente und festliche Stimmung vermischen sich mit der Konversation in der Sprache Molières. Einzig die Serviceangestellte drückt sich in der kleinen Bar im alternativen Zürcher Quartier auf Deutsch aus. Die rund 30 Gäste haben die Tische hinter sich gelassen, um sich vor dem Tresen zu versammeln. «Anstatt ruhig an seinem Tisch zu sitzen und sein Glas zu trinken, bleiben die Leute lieber an der Bar stehen. Das ist typisch französisch», sagt Jérôme Delmotte vom Comité des Jeudis francophones (Komitee der frankophonen Donnerstage).

Zu diesen monatlichen Apéros finden sich fast ausschliesslich Einwanderer aus Frankreich ein. Die französischsprachige Gemeinschaft hat mit einer Zunahme von 37% in vier Jahren eine der grössten Wachstumsraten in der Schweizer Metropole. 2012 hatten sich in Zürich 3111 französische Staatsangehörige niedergelassen. Heute zählt diese Gemeinschaft 4185 Mitglieder. Die Zunahme ist beträchtlich, obwohl die Gesamtzahl im Vergleich zur deutschen Präsenz in der Stadt (33’762) bescheiden ist.

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Sprache als Hindernis

Bei den Teilnehmern am «frankophonen Donnerstag» handelt es sich ausschliesslich um junge, aktive Leute, die Kontakte knüpfen wollen. Jérôme Delmotte schätzt, dass die Hälfte der Franzosen von Zürich in der Banken- oder Versicherungsbranche arbeiten.

«Dass ich hier bin, liegt an meinem Mann, der Banker ist», witzelt Sandrine Pérignon, die zum ersten Mal am «Donnerstag» teilnimmt. Sie selber würde –»aus Bequemlichkeit» – lieber in Lausanne, in einer frankophonen Stadt, leben.

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Auf Französisch, bitte!

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die frankophone Präsenz in Zürich existiert nicht erst seit gestern. Auf einem Spaziergang durch die Strassen der grössten Schweizer Stadt lassen sich zahlreiche Spuren der französischen Kultur entdecken.

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Für sie bildet die Sprache eine Barriere. Auf professioneller Ebene entsprechen ihre Deutschkenntnisse nicht den Anforderungen jener Stellen, die ihr gefallen würden. Trotzdem hat sie in einem Callcenter eines Telefonanbieters eine Anstellung für die Betreuung französischsprachiger Kunden gefunden. «Das Team besteht zu 90% aus Franzosen», sagt sie. Sie sei erstaunt, dass sich nicht mehr Schweizer für diese Stellen interessierten. Im privaten Alltag hat Sandrine Pérignon trotz Deutschkursen Mühe, Gespräche zu führen, weil der grösste Teil der Bevölkerung Deutschschweizer Dialekt spricht.

«Viele Franzosen wagen das Abenteuer, in der Schweiz arbeiten zu gehen», sagt sie. Der Hauptgrund für die Auswanderung sei der schlechte Zustand der französischen Wirtschaft. Diese junge Generation von Expats sei hoch qualifiziert und willens, Sprachbarrieren zu überwinden.

Wie attraktiv Zürich als Arbeitsort für Franzosen ist, zeigt die Internetseite einer französischen BloggerinExterner Link, die Ratschläge für Stellensuchende ohne Deutschkenntnisse gibt. Sie erhalte von ihren Lesern häufig Fragen zu solchen Themen, sagt sie. Aber das beste Mittel, um in der Limmatstadt eine Stelle zu finden, sei trotzdem, die Sprache Goethes zu lernen.

Mit hohen Löhnen geködert

Die Mehrsprachigkeit kann ebenfalls einen Reiz haben. Der Banker Stéphane hat aus finanziellen Gründen auf Zürich gesetzt, aber auch um seine Sprachkenntnisse zu verbessern. Er ist nicht der einzige. Die Hälfte seiner Arbeitskollegen sind Franzosen. Die Erklärung dafür ist eindeutig: «Hier verdienen wir drei bis fünf Mal mehr als in Frankreich, und es ist viel einfacher, eine interessante Stelle zu finden.»

Sandrine Pérignon (rechts) und Keri (in der Mitte) swissinfo.ch

Aber Vorsicht vor Illusionen! «Manche Kollegen rechnen damit, dass sie von ihren Schweizer Löhnen reich werden. Sie scheinen zu vergessen, dass die Lebenshaltungskosten sehr viel höher sind als bei ihnen», sagt Stéphane. Einige seien zurückgekehrt, obwohl ihnen bewusst war, dass sie dort nichts verdienten.

Das Geld ist nicht alles. Geschätzt wird auch das Arbeitsklima in der Schweiz. Jérôme Delmotte erwähnt den Pessimismus, der den Arbeitsalltag Frankreichs beherrsche. «Die Leute mögen ihre Arbeit nicht, geben diese aber trotzdem nicht auf, weil sie Angst haben, keine neue Stelle zu finden. In der Schweiz kündigen die Leute öfter, um sich auf eine neue berufliche Herausforderung einzulassen.»

Keri, eine weitere Teilnehmende am Apéro, bedient die Klischees. «Einige Schweizer kritisieren, dass sich die Franzosen dauernd beklagen, und sie haben Recht. Das stört mich auch.»

Zwischen Hass und Liebe

Während die Beziehung zwischen Deutschschweizern und Franzosen einer Romanze zu gleichen scheint, wird jene zwischen frankophonen Schweizern und den westlichen Nachbarn hier und dort als problematisch beschrieben. Im April 2016 hat die Publikation des Buchs «Bienvenue au paradis!» (Willkommen im Paradies) von Marie Maurisse wie eine Bombe eingeschlagen. Die französische Journalistin wirft darin den Westschweizern Rassismus gegenüber Franzosen vor. Kürzlich hat eine Reportage der Sendung «Temps Présent» des Westschweizer Fernsehens RTS Fälle von Fremdenhass gegenüber Franzosen ans Licht gebracht, die in der Westschweiz arbeiten oder leben. «Man wirft den Franzosen vor, sie würden den Schweizern die Arbeit wegnehmen und dies mit einer gewissen Arroganz», kann man auf der Website der Sendung lesen. Die Reportage kommt auf eine Affäre mit fatalem Ausgang zu sprechen. Im August 2011 schlug ein Angestellter der öffentlichen Genfer Verkehrsmittel (TPG) seinen französischen Chef nieder. Ein tragischer Vorfall, bei dem schlechte Gefühle gegenüber Grenzgängern eine bedeutende Rolle gespielt hatten.

Besser aufgenommen als die Deutschen

Erstaunlicherweise gibt es an den «Donnerstags-Treffen» kaum frankophone Schweizer, die sich in der Deutschschweiz niedergelassen haben. Sie scheinen sich gegenüber den französischen Einwanderern nicht besonders gastfreundlich zu verhalten. «Ein Westschweizer aus Zürich hält sich im Sommer im Paléo in Nyon (grösstes frankophones Musikfestival der Schweiz) auf, im Winter fährt er Ski im Wallis (Alpenkanton, in dem deutlich mehr als die Hälfte der Bevölkerung frankophon ist). Sie kommen nicht nach Zürich, um sich mit Franzosen zu treffen», sagt Jérôme Delmotte etwas ratlos.

Ressentiments oder sogar anti-französischen Rassismus, wie er von einigen ausgewanderten Franzosen oder Grenzgängern in der Westschweiz beklagt wird, haben die Franzosen, denen wir in Zürich begegnen, nicht erfahren. Sie fühlen sich von den Deutschschweizern willkommen geheissen. «Sie schätzen uns mehr als die Deutschen. Vielleicht auch, weil wir weniger zahlreich und deshalb weniger sichtbar sind», sagt der Banker Stéphane.

Der französische Charme ist einnehmend. «Pour les petites faims» (Für den kleinen Hunger), «pour l’apéro», alles ist französisch geschrieben auf der Speise- und Getränkekarte des Restaurants «Franzos», das sich in einer der wichtigsten Geschäftsstrassen der Stadt befindet. Innerhalb von zwei Jahren ist es zum geschätzten frankophonen Treffpunkt geworden. «Sie machen oft die Hälfte der Kundschaft aus. Wir hatten nicht mit dieser Nachfrage gerechnet», verrät Raffaele Sutter, Deutschschweizer Miteigentümer des Restaurants.

Das Etablissement ist aus Leidenschaft für Frankreich und dessen Hauptstadt entstanden. «In Zürich bewundert man die Franzosen», sagt Sutter. Die französische Gemeinschaft in Zürich sei untereinander sehr vernetzt. Die Mitglieder schätzten es, sich in ihrer Muttersprache auszutauschen. Es komme sogar vor, dass Gäste den Deutschschweizer Serviceangestellten erklärten, dass man im «Franzos» französisch spreche.

Treffpunkte, Vereine, eine französischsprachige Schule mit einer Elternvereinigung: ein Angebot, das einem Kommunitarismus ähnelt? «Die Franzosen sind in Zürich im Allgemeinen gut integriert. Aber im Einzugsgebiet der Schule gibt es eine Gemeinschaft, die sich wenig öffnet, weil die Integration der Kinder jene der Eltern bestimmt», sagt Sandrine Pérignon. Sie selber hat ihre Tochter in der französischsprachigen Schule eingeschrieben, um sie bei der Einschulung besser unterstützen zu können.

Antoine Milliez, Doktorand der Informatik, lebt seit vier Jahren in Zürich. swissinfo.ch

Schwierige Integration der 30- bis 40-Jährigen

Um sich zu integrieren, versucht Antoine Milliez den «Expat-Organisationen» zu entfliehen. «Ich habe kürzlich eine Gruppe Franzosen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren entdeckt, die oft unter sich bleiben. Das ist schade», bedauert der junge Informatik-Doktorand, der seit vier Jahren in Zürich lebt.

Antoine Milliez hat die Stadt so lieb gewonnen, dass er sich hier seine Zukunft vorstellen kann, obwohl die ersten sechs Monate hart gewesen seien. «Meine Mitbewohner sind Franzosen, meine Freundin ist frankophone Schweizerin. Am Arbeitsplatz komme ich am meisten mit Deutschschweizern zusammen, aber wir verständigen uns auf Englisch», sagt er. Milliez und viele andere Franzosen bezeichnen sich als «gut integriert» in der Stadt, obwohl sie sich ein frankophones Netz aufgebaut haben.

Simon Fleury, Ingenieur in der Automobilindustrie. swissinfo.ch

Reserviert, häuslich – einige Franzosen sprechen sogar von begriffsstutzig, um ihre ersten Eindrücke der Einheimischen zu qualifizieren. Freizeitaktivitäten scheinen immerhin das Eis brechen zu können. Simon Fleury hat sich vor vier Jahren in Zürich niedergelassen, wo er als Ingenieur in der Automobilindustrie arbeitet. Dank seiner Leidenschaft fürs Tanzen hat er sowohl französische wie schweizerdeutsche Bekanntschaften gemacht. «Ich bewege mich oft in Künstlerkreisen, wo die Leute vielleicht ein bisschen offener sind als der Durchschnitt.»

Fleury stammt aus Anger im Osten Frankreichs. Die Sprache Goethes ist ihm dank seiner Mutter vertraut, die Deutsche ist. In Zürich hat er sogar Schweizerdeutsch gelernt und dadurch auch Einblick in die helvetische Kultur bekommen. Zürich, Berlin, Paris oder Madrid: Der Ort hat für ihn keine grosse Bedeutung, die Integration sei eher eine Frage des Alters. «Die französischen Einwanderer hier sind mehrheitlich 30- bis 40-jährig. Wir gehören zu einer Generation, die bereits ein etabliertes soziales Gefüge und wenig Raum für Begegnungen hat, was die Integration schwierig macht.»

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(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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