Autonome Fahrzeuge kommen in Gang
Die 87. Durchführung des Internationalen Auto-Salons in Genf öffnet am Donnerstag seine Türen. Während zehn Tagen wird das Publikum dort die Entwicklung zum autonom gesteuerten Fahrzeug verfolgen können. Laut Yves Gerber, Westschweizer Mediensprecher des Touring Club lässt ein Boom autonomer Fahrzeuge nicht mehr lange auf sich warten.
Der Genfer Auto-Salon zeigt die grossen Modeströmungen auf dem Automobilmarkt auf. Die letzten Jahre waren geprägt von einer wachsenden Beliebtheit der Sport- und Nutzfahrzeuge (SUV) oder der Elektrofahrzeuge feststellen. An der 87. Veranstaltung fällt die immer schnellere Entwicklung in Richtung autonomer Fahrzeuge auf.
Der Touring Club SchweizExterner Link (TCS), der die Entwicklungen auf dem Schweizer Automarkt beobachtet, teilt diese Einschätzung.
swissinfo.ch: Wo stehen wir heute in der Entwicklung autonomer Fahrzeuge?
Yves Gerber: Technologisch sind wir nicht weit von der Marktreife entfernt. Gemäss Voraussagen der Spezialisten könnten total autonome Fahrzeuge ab 2020 auf den Markt kommen. Man erwartet eine steigende Verkaufskurve ab dieser Zeit und einen eigentlichen Boom bis 2035.
Aber bei den Käufern dürfte es sich nicht in erster Linie um einzelne Individuen handeln. Die ökonomischen Modelle, die wir erwarten und die es bereits als Pilotprojekte gibt, zeigen, dass wir uns auf die Entwicklung von Fahrzeug-Flotten fürs Car-Sharing zubewegen. Es ist eines der Modelle, die zum Aufschwung dieser Fahrzeuge im Verkehr beitragen werden.
Die einzelnen Individuen werden Kunden dieser Angebote sein, vor allem in städtischen Regionen, wo bereits heute ein wichtiger Teil der Haushalte kein eigenes Auto mehr hat. Man wird zum Beispiel mit dem Zug von einer Stadt in die andere reisen und das letzte Stück der Reise mit einem gemieteten autonomen Fahrzeug zurücklegen.
swissinfo.ch: Aber den gänzlich autonomen Fahrzeugen stehen noch rechtliche Hindernisse im Weg.
Y.G.: Die entscheidende Frage betrifft die zivilrechtliche Haftung. Vorläufig hält man sich an die Wiener Konvention von 1969Externer Link, die besagt, dass der Fahrer allein die Kontrolle des Fahrzeugs ausübt.
Kürzlich hat man in dieser Konvention den Begriff «Assistenz» aufgenommen, aber unter der Bedingung, dass der Fahrzeuglenker jederzeit die Kontrolle übernehmen kann.
Solange wir hier stehen bleiben, kann man nicht von total autonomen Fahrzeugen sprechen, in denen man während der Fahrt die Zeitung liest. Aber es bewegt sich etwas, und die Vorstellung, dass wir ab 2020 das erste total autonome Fahrzeug sehen werden, ist nicht abwegig.
swissinfo.ch: Hat der tödliche Unfall in den USA mit einem autonom gesteuerten Tesla die Begeisterung gedämpft?
Y.G.: Unfälle stellen die Technologie auf die Probe, aber die Entwicklung in diesem Bereich ist sehr schnell, und die Probleme dürften behoben werden. Die Tests zeigen bereits, dass autonome Fahrzeuge weniger Unfälle pro Kilometer verursachen als der Mensch. Heute sind die drei wichtigsten Unfallursachen die Unachtsamkeit, der Alkohol und unangemessene Geschwindigkeit, drei Fehler, welche die Maschine nicht macht.
swissinfo.ch: Ins Auto steigen, Anweisungen erteilen, wohin es steuern soll, und sich in Ruhe chauffieren lassen. Gehört dies in den Bereich der Fantasie oder der Realität?
Y.G.: Es dauert rund eine Generation bis sich der Fahrzeugpark erneuert. Die Herausforderung wird der Übergang sein von Fahrzeugen, welche diese Selbststeuerungs-Technologie noch nicht haben zu solchen, die sie haben.
Diese beiden Fahrzeug-Typen werden während Jahren miteinander auf den Strassen verkehren, was einige Probleme schaffen wird. Der erste Unfall mit einem Google-Auto, von dem letztes Jahr viel gesprochen wurde, wurde vom Lenker eines normalen Autos verursacht, der den Vortritt erzwungen hatte.
swissinfo.ch: Die Gesetzgebung und die Technik entwickeln sich. Aber wird der Mensch selber bereit sein, diesen Schritt zum autonom gesteuerten Fahrzeug zu machen?
Y.G.: Heute machen Freizeit-Fahrten rund 40% des Verkehrs auf der Strasse aus. Der Rest ist zwingende Mobilität. Ich glaube, dass die meisten Leute bereit sind, das Steuer aus der Hand zu geben. Aber es braucht einen Generationensprung. Die «digital natives» sind eher bereit, ihr Leben in die Hände eines Autos zu legen, als die über 50-Jährigen.
Ein Flugzeug-Pilot verfügt bereits heute über eine vergleichbare Technologie. Das Flugzeug steuert sich praktisch allein. Das gleiche gilt für die Eisenbahn, und in vielen U-Bahnen hat es keinen Lokomotivführer mehr. All dies wird nicht als Problem wahrgenommen, es gehört heute zum Alltag.
Früher gab es starke Hemmungen, in ein Auto zu steigen. Es war ein Symbol der Freiheit, des Eigentums. Aber das scheint sich zunehmend zu ändern. Die Leute vertrauen der Technologie immer mehr. Aber das ist ein gesellschaftlicher Wandel, der nicht von heute auf morgen stattfindet.
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
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