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Spitzenplatz und scharfe Kritik für die Schweiz

In der Schweiz können Bürgerinnen und Bürger regelmässig über Sachthemen abstimmen. Auf dem Bild hängen Mitglieder der Operation Libero Plakate gegen die Durchsetzungsinitiative auf. Daniel Rihs / 13 Photo

Eine neue Studie setzt die Schweiz in Bezug auf die politischen Mitbestimmungsrechte unangefochten auf den ersten Platz. Doch die Untersuchung der deutschen Bertelsmann-Stiftung legt den Finger auch schonungslos auf einen wunden Punkt der Schweiz – die seit Jahrzehnten kritisierte mangelnde Finanztransparenz.

Erstmals hat ein unabhängiges internationales Institut, die in Deutschland beheimatete Bertelsmann-StiftungExterner Link, die direktdemokratischen Volksrechte in 41 Mitgliedstaaten der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) und der EU (Europäische Union) miteinander verglichenExterner Link.

Bei der OECDExterner Link handelt es sich um weltweit wirtschaftlich und demokratisch entwickelte Staaten, zu denen neben den meisten europäischen Staaten (inklusive Türkei und Israel) auch Länder in Asien (Japan, Südkorea), Nord- und Südamerika (Kanada, USA, Mexico und Chile) sowie Ozeanien (Australien und Neuseeland) gehören.

Die StudieExterner Link vergleicht die verbindlichen politischen Mitbestimmungsrechte als Teil einer umfassenden Untersuchung zur nachhaltigen Regierungsfähigkeit der Länder, die eine Vielzahl von Kriterien umfasst.

Die Untersuchung belegt, dass die SchweizExterner Link in Bezug auf die direktdemokratischen Volksrechte weltweit den Spitzenplatz einnimmt. Als einziges der 41 untersuchten politischen Systeme erreicht die Eidgenossenschaft die Maximalnote 10. «Diese (direktdemokratische) Form der Entscheidungsfindung hat viele Vorteile», schreiben die Autorinnen und Autoren von Bertelsmann in einem Kommentar. Sie betonen, dass durch die geschickte Einbettung direktdemokratischer Verfahren in ein repräsentatives System die «Tyrannei der Mehrheit und das Aufkommen populistischer Strömung eingedämmt» und «die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger mit dem politischen System» maximiert werden kann.

Nach der Schweiz folgen in der Rangliste Länder wie Lettland, Litauen, Slowenien, die USA (alle Gesamtnote 8; 9 Punkte erreichte kein Land) sowie Bulgarien, Italien und Polen (Note 7). Am unteren Ende der Rangliste tauchen Dänemark, Niederlande (Note 4) sowie die Türkei und Norwegen (2) auf. Laut Bertelsmann bietet etwa das ölreiche Norwegen «keinerlei formelle Möglichkeiten der Mitsprache durch die Bürgerinnen und Bürger».

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«Krieg der Rankings»

Rankings und Weltranglisten haben es in sich: seit Jahren überbieten sich Institutionen unterschiedlichster Herkunft mit Untersuchungen, welche die Leistungsfähigkeiten von politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systemen messen und vergleichen. Dazu gehören etwa die Wettwerbs- und Innovationsrankings des WEFExterner Link (World Economic Forum), der Freiheitsindex des amerikanischen Think-Tanks «Freedom HouseExterner Link» oder auch jüngst der «Freundlichkeitsindex» des InterNations-Institut,Externer Link das die Lebensbedingungen von Ausländerinnen und Ausländer in 67 Staaten untersucht hat (und dabei Taiwan als das freundlichste und die Schweiz als das drittunfreundlichste Land einstuft).

Auch das britische Wochenblatt «The Economist»Externer Link sorgt mit seiner hauseigenen «Intelligence Unit» immer wieder für spannende weltweite Analysen.

Nicht selten konzentrieren sich solche Studien jedoch auf (günstige) äusserliche Kriterien, wie etwa der Organisationsgrad von Gewerkschaften, um etwa die politische Partizipation zu messen. Das kann dazu führen, dass ein Land wie Norwegen, wo die Bürgerinnen und Bürger nur sehr selten an der Urne mitbestimmen können und die politischen Kader massiv an Repräsentativität eingebüsst haben – zu einer «fast perfekten» DemokratieExterner Link geadelt wird, in der namentlich die politische Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger die Höchstnote erhält.

Stolpersteine

Es ist also eine gewisse Vorsicht geboten, wenn es um die Zuverlässigkeit von solchen Untersuchungen geht. Trotzdem ist der Versuch von Bertelsmann im Rahmen des «Sustainable Governance Indicators»Externer Link interessant. Und das nicht nur wegen der nun vorliegenden Direktdemokratie-Rangliste: Die Forscher der Stiftung versuchten etwa mit klaren Fragestellungen zur juristischen Verbindlichkeit von Volksrechten zweifelhafte Antworten weitgehend auszuschliessen.

Zum Teil haben wohl die angefragten Fachleute nicht verstanden, was beispielweise unter einer Volksinitiative zu verstehen ist. So heisst es zu Schweden, dass nationale Initiativen für landesweite Volksabstimmungen selten seien, «aber vorkommen», was weder juristisch noch politisch stimmt. In Schweden gibt es schlicht (noch) kein solches Volksrecht.

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Im Falle von Malta hingegen wird betont, dass die Bürgerinnen und Bürger keine Volksabstimmungen durch Unterschriftensammlungen auslösen können. Auch hier ist das Gegenteil der Fall: im Frühjahr 2015 kam es deshalb zum ersten durch die Bürger ausgelösten Volksentscheid über die Vogeljagd.

Schlusslicht in Sachen Finanztransparenz

Interessant sind aber vor allem auch die Kommentare zur Spitzenreiterin Schweiz: unvermittelt heisst es in der Auswertung der Stiftung, dass «nur sehr wenige Stimmbürger (40-50%)» sich an den Volksabstimmungen beteiligen, was alleine schon von den Zahlen her unlogisch ist. Zudem haben ForschungsergebnisseExterner Link klar gemacht, dass wirklich nur sehr wenige Stimmbürger (weniger als 10%) innerhalb von vier Jahren nie an einer Abstimmung oder Wahlen teilnehmen.

Stichhaltiger sind da schon die scharfen Kritikpunkte an der Schweiz zu Fragen der Finanztransparenz in der Politik: in diesem Untersuchungsfeld schneidet das Land mit der Note 1 als das Allerschlechteste aller verglichenen Staaten ab.

Das Bertelsmann-Ranking zu den Volksrechten ist als ein erster unabhängiger Versuch zu werten, im Kontext einer grösseren Untersuchung zur demokratiepolitischen Leistungsfähigkeit eines Landes, insbesondere dessen Beteiligungsrechte miteinander weltweit zu vergleichen. Und wie die Demokratien selber hat auch der Ländervergleich noch viel Luft nach oben.


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