Eine Schweizer Stadt öffnet allen ihre Arme
Zu viele Sozialfälle, zu wenig Glanz: Die Stadt Biel im Kanton Bern hat einen schlechten Ruf - so schlecht, dass er potentielle Neuzuzüger abschreckt. Jetzt hat die Stadt reagiert. In einer sympathischen Kampagne öffnen die Bewohner von Biel allen die Arme. Man kann sie buchen – als Kollegen, um mit ihnen den wahren Puls der Stadt zu erkunden.
Die Stadt Biel am Jurasüdfuss hat eine in der Schweiz einzigartige Bevölkerungsstruktur: Sie ist perfekt zweisprachig, das ist das eine. Das andere ist, es gibt so viele Sozialhilfebezüger wie sonst nirgends in der Schweiz, und jeder dritte Bewohner ist Ausländer. Gleichzeitig beherbergt Biel eine hoch spezialisierte Industrie, deren bekannteste Aushängeschilder die Firmen Rolex, Swatch und Omega sind. «Biel wurde erst durch die Uhrenindustrie um 1850 zu einer Stadt», sagt Stadtpräsident Erich Fehr, «darum haben wir auch keine alte Aristokratie. Sie war immer eine Industriestadt und ist es auch heute noch.»
Die Industrie braucht Fachkräfte
Das Problem dabei: Bis vor kurzem brauchte eine Industriestadt in erster Linie Arbeiter, heute braucht sie Spezialisten. Die Handarbeit ist automatisiert, gefragt sind Ingenieure, Programmierer, Informationstechnologen. Seit einigen Jahren verzeichnet die Industrie in Biel laut Stadtpräsident Erich Fehr Schwierigkeiten, die entsprechenden Stellen zu besetzen, zu unattraktiv wirkt die einstige Arbeiterstadt von aussen.
Die Stadt benötigt Mittelstand
Zudem hat die Stadt wachsende Probleme mit ihrer Bevölkerungsstruktur. Die Sozialhilfequote steigt kontinuierlich, derzeit liegt sie bei 12 Prozent, mehr als jeder zehnte Bewohner lebt also von der öffentlichen Hand. Das verursacht der Stadt hohe Kosten auf der Ausgabenseite. Auf der Einnahmenseite sieht es auch nicht besser aus: Die Bevölkerung liefert ein vergleichsweise mageres Steuersubstrat ab.
Wir müssen mehr Mittelstand und Besserverdiener anlocken, dachten sich darum die Stadtväter. Entstanden ist nun eine KampagneExterner Link, bei der über 200 Bieler spontan mitmachten – als Gastgeber und Fremdenführer für potentielle Neuzuzüger. «Ein Vorurteil kann man nicht verändern», sagt Werber Gabriel Peisker, der die Kampagne entwickelt hat. «Normale Werbung will oft beschönigen und schönreden, wir gingen hier den andern Weg.» Ziel der Kampagne ist Authentizität, die Stadt soll ihr wahres Gesicht zeigen. Peisker zählt auf eine einfache Formel: Wer diese Stadt kennt, liebt sie. «Wir wussten, dass die Menschen, die hier leben oder hingezogen sind, absolut begeistert sind und gerne darüber reden», sagt er.
«Biel ist Toleranz, Kreativität und Innovation»
Diese Begeisterung setzt Peiskers WerbeagenturExterner Link in der Kampagne ein. In den Worten des Bielers Salvador Atasoy klingt sie so: «Biel bedeutet für mich die Weltoffenheit und Toleranz der Romands kombiniert mit der Herzlichkeit der Berner. Biel ist für mich Kreativität und Kunst kombiniert mit Innovation, Technik und mechanischem Fachwissen. Eine wirklich absolut einzigartige Mischung in der Schweiz.» Atasoy ist einer von über 200 Bielern, die sich nun wildfremden Menschen online als Kollege zur Verfügung stellen, um zusammen mit ihnen in den Ort einzutauchen. «Wenn du neu in eine Stadt kommst, bist du oft alleine und musst dich neu vernetzen. Dieses Problem ist in Biel jetzt für alle gelöst», sagt Werber Gabriel Peisker.
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