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Auf der Suche nach Krypto-Talenten

Studenten in einem Vorlesungssaal
Zwanzig Schweizer Hochschulen haben das Thema bereits in ihre Lehrpläne aufgenommen. © Keystone / Christian Beutler

Die Schweizer Blockchain-Branche expandiert so schnell, dass ihr die Fachkräfte ausgehen. Universitäten geben mit neuen Angeboten Gegensteuer.

Blockchain, das digitale System, das Bitcoin und anderen Kryptowährungen zugrunde liegt, floriert. Die Zahl der Unternehmen, die im Schweizer Blockchain-Markt tätig sind, ist von 300 im Jahr 2017 auf rund 1200 gestiegen. Sie beschäftigen inzwischen über 6000 Mitarbeiter:innen. Zu den neu gegründeten inländischen Start-ups gesellt sich eine wachsende Zahl ausländischer Firmen, zum Beispiel Fireblocks, BitMEX und FTX Europe.

Lugano hat kürzlich ehrgeizige Pläne angekündigt, um den lokalen Blockchain-Sektor anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Doch es gibt ein Problem. «Blockchain-Unternehmen brauchen qualifizierte Arbeitskräfte. Aber derzeit übersteigt die Nachfrage das Angebot bei weitem», sagt Pietro Poretti, Direktor für Wirtschaftsentwicklung in Lugano.

Ein Unternehmen, das sich gerne in Lugano niederlassen würde, ist Tether, das für die Schaffung des weltweit am häufigsten verwendeten Stablecoins bekannt ist – einer Kryptowährung, die ihren Wert an den US-Dollar bindet.

Tether und seine Schwesterfirma, die Kryptowährungsbörse Bitfinex, haben Lugano als potenziellen Standort ins Auge gefasst, um «von der Fülle an Schweizer Finanzfachwissen zu profitieren», sagte Paolo Ardoino, Chief Technology Officer beider Unternehmen.

«Wir haben Mühe, talentierte Entwicklerinnen, Kundenbetreuer, Compliance-Beauftragte und Marketingexpertinnen zu finden», betont Ardoino. «Tether und Bitfinex suchen Dutzende bis Hunderte von Leuten.»

Lugano und Tether versuchen, diesem Missverhältnis entgegenzuwirken, indem sie sich mit den Hochschulen der Stadt abstimmen und bis zu 500 Stipendien für Studierende bereitstellen wollen.

Die Botschaft dringt auch zu anderen Universitäten durch. Der Blockchain-Trend führt dazu, dass im ganzen Land Spezialkurse aufgebaut werden. Eine Umfrage des Blockchain-Inkubators CV VC und PwC hat 20 Schweizer Hochschulen identifiziert, welche das Thema in ihre Lehrpläne aufgenommen haben.

Eine der ersten Schweizer Hochschulen, die solche Kurse eingeführt hat, war die Universität Basel. Aus den anfänglichen Semestervorlesungen im Jahr 2017 sind mittlerweile elf separate Angebote auf Bachelor- und Masterstufe entstanden, die ein breites Spektrum von Finanz- und Rechtswissenschaften bis hin zu Projektmanagement abdecken.

Derzeit nehmen fast 500 Studierende teil, und mehr als 2000 Personen haben sich für zwei Kernkurse angemeldet, die kostenlos online zur Verfügung gestellt werden.

Alexander Bechtel weiss, was es braucht, um einen Spitzenjob in der Blockchain-Branche zu ergattern. Seit 2020 ist er Dozent an der Universität St. Gallen und zudem Head of Digital Assets bei Deutschlands grösster Bank, der Deutschen Bank.

Während Bechtel 2019 in St. Gallen in Geldtheorie promovierte, startete er einen eigenen Podcast über Kryptowährungen. «Er wurde rasch zu einem der beliebtesten deutschsprachigen Podcasts zum Thema», sagt er. «Ich machte mir einen Namen als Experte, was dazu führte, dass die Deutsche Bank mich fragte, ob ich sie beim Thema digitale Assets und Blockchain unterstützen würde.»

Bechtel räumt aber ein, dass dies kein nachhaltiger Weg für die Branche ist, um Stellen zu besetzen. Insbesondere angesichts des harten Wettbewerbs um die besten Talente zwischen Banken, Fintech-Start-ups und anderen Technologieunternehmen.

Ein Ungleichgewicht 

Ein Grund für das Missverhältnis ist die erhöhte Nachfrage aus traditionellen Sektoren wie dem Bankenwesen. Die andere Seite der Gleichung ist der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in der aufstrebenden Kryptoindustrie.

«Dies ist ein sehr komplexes Thema, das Kryptografie, Informatik, Wirtschaft und andere Fächer miteinander verbindet», sagt Bechtel. «Es gibt nur sehr wenige gute Programme an europäischen Universitäten, die auf eine Tätigkeit in dieser Branche vorbereiten. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass jemand, der jetzt seinen Abschluss macht, über genügend Kenntnisse verfügt. Man muss sich das Wissen in der Praxis aneignen.»

Deshalb plant die Uni St. Gallen, in naher Zukunft mehr Blockchain-Inhalte in ihren Lehrplan einzubauen. «Es gibt eine Nachfrage sowohl von Seiten der Studierenden als auch des Arbeitsmarktes», sagt Finanzprofessor Angelo Ranaldo. «Es gibt einige Kurse, die die Studierenden mit dem Konzept der Blockchain vertraut machen, aber es gibt nur wenige Programme, die ihnen beibringen, wie sie diese Theorie anwenden können. Wie hängt Blockchain mit den Finanzmärkten zusammen? Oder wie sieht der Markt für NFTs, also so genannte non-fungible token, aus?»

Die Universität Zürich (UZH) verfügt über ein eigenes Blockchain-Kompetenzzentrum, das unter anderem mit der Blockchain-Stiftung Cardano und Universitäten in Kanada, Japan und Indien zusammenarbeitet. Die Uni bietet auch eine Reihe von Lehrgängen an, darunter ein CAS-Sommerschulprogramm mit dem Titel «Deep Dive into Blockchain», an dem Student:innen aus 60 verschiedenen Ländern teilgenommen haben.

Der Kurs ermutige die Studierenden, den Blockchain-Hype kritisch zu bewerten, sagt der Vorsitzende des UZH Blockchain Center, Claudio Tessone. «Es ist wichtig, dass die Studierenden die Fakten über Blockchain lernen», sagt er. «Denn die Qualität der Informationen, die man online findet, ist in vielen Fällen schlecht und extrem einseitig.»

Nicht alle Universitäten tauchen so tief in die Materie ein. Die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) zum Beispiel hat sich dazu entschieden, die Blockchain-Thematik in bestehende Kurse einzubauen.

«Blockchain ist als technisches Konzept nicht sehr schwierig», sagt James Larus, EPFL-Dekan für Informatik und Kommunikationswissenschaften. «So gut wie alle unsere Studierenden, die einen Master-Abschluss haben, sollten Blockchain ziemlich gut verstehen. Sie sind vielleicht nicht auf dem aktuellsten Stand, aber verfügen sicherlich über ausreichende Kenntnisse in den wichtigen Bereichen.»

Doch wollen Absolvent:innen überhaupt in der unbeständigen Welt der Kryptowährungen arbeiten? «Ein grosser Teil der Studenten möchten für ein grosses, stabiles Unternehmen arbeiten und eine lebenslange Karriere haben», sagt Larus. «Ich versuche, sie davon zu überzeugen, in dieser Phase ihres Lebens für ein interessantes Start-up zu arbeiten. Einige hören zu, andere nicht.»

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