«Bitte eine Kalaschnikow und drei Magazine»
Die Schweiz sei – was das Geschäft mit Waffen betreffe – ein liberales Land, heisst es. Ist es also ein Kinderspiel, hier Kriegsmaterial zu kaufen? Ja und nein: Wer es versucht, stellt fest, dass die Schranken zahlreich sind. Zahlreich sind aber auch die Schlupflöcher.
AK 47, ein mystisches Kürzel, wie kaum ein anderes. Die «Awtomat Kalaschnikowa 1947» und ihre Nachfolgemodelle werden seit bald 70 Jahren bei fast allen Kampfhandlungen eingesetzt, ob von Idealisten, wie bei Che Guevaras Guerilleros, oder eher für pragmatische Zwecke wie bei Geiselnahmen oder Banküberfällen.
Einfach, robust, zuverlässig, billig: Das Sturmgewehr sowjetischer Prägung ist in seiner Kategorie das auf der ganzen Welt am meisten verbreitete Gerät. Ob mit Einzelschuss oder Serienfeuer, die Kugeln vom Kaliber 7,62 zerreissen das Fleisch und zertrümmern die Knochen mit erschreckender Effizienz, selbst auf eine Distanz von 300 Metern.
In der Schweiz ist es einfach, eine Kalaschnikow zu beschaffen, sogar ohne ein Waffengeschäft zu betreten: Einige Klicks auf Internet-Annoncen und schon stösst man zum Beispiel auf eine «fabrikneues Gerät» für nur 900 Franken – weniger als der Marktpreis, verspricht der Verkäufer.
Nicht schlecht für den ersten Versuch. Im gleichen Preissegment findet sich eine VZ 58, die tschechoslowakische Ausführung der AK 47 («aber mit unterschiedlicher technischer Konzeption», erklärt der Verkäufer), oder eine israelische Mini Uzi, eine Maschinenpistole, die von Polizisten und Armeen auf der ganzen Welt, aber auch von Stars (vom Terminator über Rick Hunter bis Matrix) verwendet werden, und ein K31, einen alten Karabiner der Schweizer Armee aus dem Jahr 1931 für 350 Franken.
Soweit so gut. Aber dieses Arsenal lässt sich kaum diskret transportieren. Ich benötige auch Faustfeuerwaffen. In den kleinen Internet-Annoncen entdecke ich eine österreichische Glock 17, eine der ersten Pistolen weltweit mit integrierten Plastic-Komponenten, sowie den amerikanischen Revolver Dan Wesson, aus dem mit 357-Magnum-Patronen gefeuert wird. Eine seltene Waffe, ein wenig aus der Mode gekommen, aber wirksam genug, um einen Bären zu stoppen. Ab 3000 Franken erhält der Meistbietende den Zuschlag…
Mehr
Knarren überall und mehr, als man glaubt
Im Namen des Gesetzes
Ist das Geschäft damit abgeschlossen? So schnell geht es doch nicht. Unter den 6 Waffen, die sich in meinem Warenkorb befinden, darf nur der Karabiner 31 ohne Bewilligung gekauft werden. Dieses Repetiergewehr, mit dem die Schützen der Schweizer Armee bis in die 1970er-Jahre bewaffnet waren, kann immer noch sehr tödliche Wirkung haben, wie sich kürzlich bei ein Verbrechen mit drei Todesopfern und zwei Verletzten im Walliser Ort Daillon gezeigt hat.
Die Verkäufer, die ich ausgewählt habe, respektieren alle das Gesetz. «Ein Handwechsel kommt nicht in Frage», schreibt einer von ihnen, der mitteilt, dass er «viele Anfragen von komischen Leuten», meist von «ausserhalb der Schweiz» erhalten habe. Ich muss mich also um einen Waffenschein bemühen.
Auf dem Papier sind die Anforderungen ziemlich streng. Es braucht eine Identitätskarte und einen wenn möglich jungfräulichen Auszug aus dem Strafregister. Einfache Übertretungen des Strassenverkehrsgesetzes sind aber nicht zwingend ein Hindernis. Wenn Gewaltdelikte registriert sind, lässt man es besser bleiben.
Dass ich nicht von den Strafbehörden verfolgt werde und weder von Medikamenten noch von Alkohol oder andern Drogen abhängig bin, müsste ich ebenfalls amtlich bestätigen lassen. Schliesslich müsste ich erklären, wofür ich die Waffe gebrauchen möchte, zum Beispiel «fürs Sportschiessen, für die Jagd oder für Sammlungszwecke».
Waffengesetze in liberalen und restriktiven Ländern:
USA: Der zweite Zusatzartikel der Bundesverfassung garantiert das Recht, eine Waffe zu besitzen und zu tragen. Die Anwendung variiert aber von einem Staat zum andern. Laut der jüngsten Studie der Universität Chicago von 2010 hat es in dem Land mit 315 Millionen Bewohnern rund 300 Millionen legale Waffen. Das entspricht weltweit der höchsten Dichte.
Frankreich: Das neue Gesetz von 2012 klassiert die Waffen je nach Gefährlichkeit in 4 Kategorien. Es sieht dem schweizerischen sehr ähnlich. Automatische und Kriegswaffen sind verboten, die andern sind bewilligungs-, deklarationspflichtig oder frei käuflich (Sammelstücke, historische oder als wenig gefährlich beurteilte Waffen).
Deutschland: Das Land hat seine Gesetzgebung 2009 nach dem Amoklauf eines 17-jährigen Schülers, dem 15 Menschen zum Opfer fielen, verschärft. Waffenscheine erhalten nur noch Personen, die nachweisen können, dass ihre Waffen nicht in die Hand von Minderjährigen gelangen können. Die Polizei kann unangemeldete Kontrollen durchführen.
Dänemark, Niederlande: Das Gesetz verbietet «den Erwerb, den Besitz, das Tragen sowie die Verwendung von Feuerwaffen und deren Munition». Sonderregelungen werden für Jäger und Sportschützen gewährt. Die Sammler müssen ein Verzeichnis ihrer Waffen führen, das jährlich der Polizei zugestellt werden muss.
Grossbritannien: Fast alle Feuerwaffen sind verboten, ausgenommen Jagd- und Sportgewehre. Deren Halter müssen dem Gesuch eine «schriftliche Deklaration eines sauberen Leumunds» beilegen.
Japan: Seit 1958 verbietet die japanische Gesetzgebung den Besitz von Waffen. Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnis von bis zu 10 Jahren bestraft. Erlaubt sind lediglich Jagdflinten und Luftdruck-Gewehre. Aber deren Verkauf ist stark reglementiert.
26’000 im letzten Jahr
Aber wer überprüft all diese Angaben? In der föderalistischen Schweiz ist die Vergabe eines Waffenscheins Sache der Kantonspolizei. Ich habe als Beispiele die waadtländische und bernische ausgesucht. Angenommen, dass ich dort wohne und mir die lokale Justiz nichts vorzuwerfen hat, woher sollten die Behörden wissen, dass ich von einem andern Kanton nicht verfolgt werde?
Die Berner behaupten, dass sie «alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um dies zu überprüfen». «Aus taktischen Gründen» geben sie aber «ihre Methoden nicht bekannt». Die Walliser versichern, dass sie ihre Kollegen in allen Kantonen kontaktieren, in denen ich in der Vergangenheit gewohnt haben könnte. Wer im Wallis für seine Selbstverteidigung eine Bewilligung beantragt, hat «keine Chance», sofern er nicht Sicherheitsbeamter oder Geldtransport-Fahrer ist.
In Bern heisst es, dass «jede Anfrage individuell geprüft» werde. Aber mit welchen Mitteln dies geschieht, verrät die Polizei nicht. Aber wie kommt die Kantonspolizei zu Informationen über mögliche Abhängigkeiten, die einen Waffenbesitzer zur Gefahr machen könnte?
Die Berner Behörde erinnert daran, dass das Formular für einen Waffenschein zuerst bei der Gemeinde eingereicht werde, in welcher der Gesuchsteller seinen Wohnsitz hat und dort als bekannt gilt. Die Polizei bediene sich auch «verschiedener komplementärer Quellen, um diesen Punkt zu überprüfen», erklärt sie, ohne konkreter zu werden. Die Walliser lassen wissen, dass im Fall von «medizinisch bedingten Zweifeln» ein psychiatrisches Gutachten verlangt werde.
Im Kanton Bern werden «durchschnittlich 2 Prozent der Gesuche abgelehnt». 2012 wurden dort 3210 Waffenscheine ausgestellt. Im Kanton Wallis waren es in dieser Zeit 1080 bei ein paar Dutzend Ablehnungen.
Extrapoliert man diese Zahlen auf das ganze Land, erhält man eine geschätzte Zahl von 26’000 Schiesswaffen, die im letzten Jahr in der Schweiz bewilligt wurden (für Sport-, Jagd- oder Sammlungszwecke). Gemäss verschiedenen Schätzungen besitzen 29 bis 46 von 100 Einwohnern eine Waffe.
Der Kauf der meisten Feuerwaffen in Waffengeschäften oder bei Privaten bedarf einer Bewilligung der Kantonspolizei.
Wer eine Waffe kauft, die nicht bewilligungspflichtig ist (Kaninchenpistolen, Karabiner, Jagdgewehre mit Einzelschuss), muss mit dem Verkäufer einen Vertrag abschliessen und eine Kopie der Polizei zustellen.
Verboten sind Raketenwerfer, schwere Maschinengewehre, automatische Waffen, Geräte mit Laser- oder Nachtvisieren, Schalldämpfer.
Sport-Schusswaffen dürfen nur vom Wohnort bis zum Schiessstand transportiert werden. Zuhause und im Auto muss der Halter Waffe und Magazin getrennt aufbewahren
Eine Waffentrage-Bewilligung ist für alle Personen erforderlich, die eine Waffe im öffentlichen Raum tragen. In der Praxis wird sie nur für professionelle Sicherheitsleute ausgestellt, die eine praktische und theoretische Prüfung absolviert haben.
Unerbittlich
«Waffenliebhaber sind gute Menschen», versichert Pierre-Alain Dufaux, der 19-fache Weltmeister im Schiessen, der seine nationalen und europäischen Titel in den verschiedensten Schiessdisziplinen nicht mehr zählt. Sein Waffengeschäft in der Nähe von Freiburg i.Ü. gehört zu den grössten in der Schweiz. Es ist die letzte Station auf meiner Recherche nach legalen Waffen.
Hier findet man sie alle, von der Kalaschnikow bis zum Karabiner und vielen andern. Der Herr des Ortes zeigt sich unerbittlich, was das Reglement betrifft: Kein Waffenschein, kein Schiesseisen. Bei Munitionskäufen verlangt er von Personen, die er nicht kennt, systematisch einen Strafregister-Auszug.
«Mit der Zeit lernt man die Leute mehr oder weniger taxieren», sagt der Chef. «Und glauben Sie mir, wenn etwas passiert, handelt es sich fast nie um die Tat von Kunden eines Waffengeschäfts.»
«Die Gangster suchen ihre Waffen nicht in der Schweiz», sagt Pierre-Alain Dufaux. «Sie gehen nach Irland, wo geschmuggelte Waffen per Schiff ankommen und wo man alles bekommt. Und vergessen Sie nicht, dass das Gesetz in einigen Nachbarstaaten weniger strikt ist. In Frankreich können Sie diskret ein Gewehr des Typs 22 Long Rifle im Sportartikel-Geschäft kaufen, ein Gerät, das bei uns gänzlich verboten ist.»
Nun wären noch die zweifelhaften, intransparenten Adressen des Schwarzmarkts aufzuspüren. Aber ich will meine Jagd nach Schiesswaffen vor einem Abstieg in diese Niederungen beenden.
Mehr
Macht eine Waffe aus einem Mann einen Kriminellen?
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch